Hartes Urteil gegen Messerstecher
Einer Frau rammte er in Augsburg ein Messer in den Hals, in der JVA Kaisheim versuchte er, einen Insassen umzubringen. Nun ist das Urteil gegen Sebastian S. gefallen. Der Richter spricht deutliche Worte.
Kaisheim/Augsburg Dieser Prozess am Augsburger Landgericht gab tiefe Einblicke in menschliche Abgründe. Als der Angeklagte Sebastian S. sechs Jahre alt ist, beginnt er zu zündeln, steckt reife Kornfelder und Gartenhütten in Brand. Sein Vater, ein Alkoholiker, prügelt ihn, die Mutter sieht zu. In der Schule wird er gemobbt, geschlagen. Mit 13 Jahren interessiert er sich für Serienmörder, schaut sich Dokus an, hört zu, wie Mörder von wohligen Gefühlen bei der Tat erzählen. Schließlich möchte er es selbst ausprobieren. Das Töten. Zusehen, wie ein Mensch stirbt. Jahrelang hängt Sebastian S. solchen Tötungsfantasien nach. Bis er sie schließlich in die Tat umsetzt.
Er sticht seiner Ex-Freundin 2017 ein Messer in den Hals, verfehlt knapp die Hauptschlagader. Das Opfer überlebt. Dafür wird Sebastian S. zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. In der JVA Kaisheim sticht er im März 2023 einem Mithäftling ein selbst geschärftes Anstaltsmesser ebenfalls in den Hals. Auch das zweite Opfer wird nicht lebensgefährlich verletzt. In einem mehrtägigen Prozess hat das Augsburger Schwurgericht am Freitag dem weiteren Lebensweg des 31-Jährigen enge Leitplanken gesetzt.
Bereits zuvor, am fünften Prozesstag, hatte der psychiatrische Sachverständige Fabian Lang den 31-jährigen Angeklagten als „Psychopathen“und gefährlichen Hangtäter eingeordnet. Das Gutachten fußt unter anderem auf einem Gespräch mit dem Angeklagten. Auch um den blutigen Angriff auf seinen Mithäftling Naser J. am 6. März 2023 im Kaisheimer Gefängnis ging es darin. Sebastian S. habe gesagt, er habe sein Opfer töten wollen, selbst wenn er dabei selbst getötet worden wäre. Der Gutachter schilderte, wie der Angeklagte geäußert habe, er wolle einmal eine ganze Familie „irgendwo“töten. Er, der Angeklagte, habe sich während seiner Haft ständig mit „1000 Tötungsfantasien“beschäftigt. Lang sagte, er habe diese Fantasien teils als „überzogen, als etwas zu dick aufgetragen, als Schauermärchen“empfunden. Dass Sebastian S. tatsächlich Tötungsfantasien nachhängt, davon sei er aber überzeugt.
Die Persönlichkeit des Angeklagten charakterisierte der Gutachter als „kalt, gefühllos und innerlich leer“. Der Angeklagte könne keine Emotionen wahrnehmen, habe ein geringes Selbstwertgefühl. „Andere Menschen sind ihm vollkommen gleichgültig“. Aufgrund einer wissenschaftlichen Analyse ordnete der Sachverständige den Angeklagten als „Psychopathen“ein, also als einen Menschen, dem laut Definition Empathie, soziale Verantwortung und ein Gewissen völlig fehlen. Und Fabian Lang untermauerte seine Ansicht, dass Sebastian S. ein voll schuldfähiger Hangtäter sei, mit einem hohen Risiko weiterer Gewalttaten, seine Zukunftsprognose sei negativ. Der Gutachter bejahte am Ende die Voraussetzungen aus psychiatrischer Sicht für die Anordnung einer Sicherungsverwahrung des 31-Jährigen.
Den Ball des Gutachters nahm Staatsanwalt Thomas Junggeburth auf. Sebastian S. habe die Kriterien eines Psychopathen „übererfüllt“. Sein Motiv für die Messerattacke im Gefängnis sei die „Faszination des Tötens“gewesen. Es sei vielen Zufälligkeiten zu verdanken, dass der Messerstich nicht zum Verbluten geführt habe. Junggeburth forderte wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung eine Haftstrafe von zehneinhalb Jahren. Und: Sebastian S. solle in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden.
Zu einer etwas anderen Einschätzung kam Verteidiger Jörg Seubert. Einmal habe sein Mandant freiwillig von seinem Opfer abgelassen. Das Opfer habe sich nach einem Gerangel zwar selbst befreien können, Sebastian S. hätte jedoch ohne Weiteres nachsetzen können. „Aber er hat es nicht getan“, so Seubert. Es komme also ein strafbefreiender Rücktritt vom versuchten Mord infrage, es bleibe die gefährliche Körperverletzung. Eine Strafe von sechs Jahren Haft hielt der Verteidiger für angemessen. Die Forderung nach der Sicherungsverwahrung sah er zwiespältig. „Niemand hat Interesse, Herrn S. zu begegnen, wenn er Mordfantasien hat“, meinte der Anwalt. Sollte die Sicherungsverwahrung angeordnet werden, dann sollte Sebastian S. in einer Einrichtung untergebracht werden, in der er Hilfe erhalten könne.
Am Tag der Urteilsverkündung wird Sebastian S. von mehreren Polizisten in den Sitzungssaal gebracht. Er trägt Fesseln an Händen und Füßen. Er ist blass im Gesicht. Er weiß, was auf ihn zukommt. Genau 45 Minuten lang begründet der Vorsitzende Richter Franz Wörz das Urteil der Kammer, das dem Antrag von Staatsanwalt Thomas Junggeburth folgt. Der Richter sieht ganz klare Parallelen zwischen dem Messerangriff
auf seine Ex-Freundin und der neuerlich zur Debatte stehenden Gewalttat im Gefängnis. „Es war wieder eine Messerattacke ohne ein rational nachvollziehbares Motiv. Und es waren wieder Tötungsfantasien. Er wolle erneut jemanden umbringen“, ist Wörz überzeugt.
Das Schwurgericht geht juristisch von einem „beendeten Mordversuch“aus mit den Mordmerkmalen der Heimtücke und der Mordlust, also der Lust am Töten eines Menschen. Dieses Mordmerkmal komme in der Rechtsprechung sehr selten vor, sagt der Richter. Der Angeklagte habe „Freude gehabt an der Auslöschung menschlichen Lebens“, wie ein sportliches Vergnügen. Töten sei für ihn ein Synonym für „Spaß haben“.
Sebastian S. hört den Worten des Vorsitzenden ruhig zu. Als Franz Wörz bedauert, dass der Angeklagte kein Wort der Reue und Einsicht geäußert habe, reagiert dieser: „Ich wäre sonst ein Heuchler gewesen.“Die an die Haft anschließende Sicherungsverwahrung begründet Wörz so: „Der Angeklagte ist für die Allgemeinheit gefährlich.“Der 31-Jährige muss bis etwa Ende 2037 die beiden Haftstrafen absitzen, ehe er in der Sicherungsverwahrung untergebracht wird.