Altersweise und so charmant
Beim Literaturfestival Nordschwaben liest und erzählt Fritz Egner von seinen Begegnungen mit Musik und Musikern. Das Publikum in der Alten Brauerei in Mertingen hing an seinen Lippen.
Eine Besucherin wird sich an diesen Abend bestimmt ganz besonders erinnern: Wen sich Fritz Egner denn aktuell noch als Interviewpartner wünsche, fragt sie und bekommt zur Antwort: „Taylor Swift – die Frau schreibt bemerkenswerte Texte, hat etwas zu sagen. Vielleicht klappt das ja noch.“Da gerät die jubelnde Fragestellerin fast außer Rand und Band, hat sie doch selbst eine „Swiftie“zu Hause …
Fritz Egner ist zu Gast beim Literaturfestival Nordschwaben. In der Alten Brauerei in Mertingen erzählt er und liest aus seinem Buch „Mein Leben zwischen Rhythm & Blues“und das Publikum hängt an seinen Lippen. „Man hatte das Gefühl, die ganze Welt hört einen“schildert er seine Arbeit und das könnte ein Schlüsselsatz für seinen Erfolg und den seiner Radiosendungen sein. Er beschreibt damit auch seinen Anspruch als Moderator, den er ernst nimmt. Trotzdem scheint Fritz Egner in seiner mehr als zweistündigen Lesung fast überrumpelt von den sachkundigen Fragen seines Publikums.
Er ist um keine Antwort, um keine Anekdote verlegen, erweist sich als amüsanter Plauderer, kokettierend mit dem noch offenen Ende seines Moderatoren-Daseins: „Diese Frage stelle ich, 75-jährig, mit Sondererlaubnis vom Hörfunkdirektor länger als 65 Jahre Arbeitender, mir beim 75 Jahre alt werdenden Bayerischen Rundfunk jeden Tag. Vielleicht höre ich in diesem Jahr einfach mitten in einer Sendung auf…“
Hoffentlich nicht! Denn sein Gastspiel in Mertingen, fein organisiert von der örtlichen Bücherei, ist kurzweilig und fesselnd. Mit leicht angerauter Rundfunk-Moderatorenstimme, die den Zuhörer nicht einen Sekundenbruchteil auslässt, erklingt die Lebenserzählung dieses altersweisen Mannes, der den reichen Schatz seiner Erfahrungen teilt. Ees ist eine Zeitreise – weniger zu der Musik, die er moderiert – Blues,
Rockabilly, Rock and Roll, Jump Blues, Rhythm & Blues, Jazz, Soul und Funk – als zu den Menschen, die diese Musik erfanden, gestalteten, lebten, die er – man spürt es – liebt, die er immer ernst nahm.
Von seinem Leben erzählt er, in dem sich alles um „Rhythm & Blues“dreht. Schon in sehr jungem Alter hat sich ihm offenbart, dass es das Einzige ist, das er wollte: im Rundfunk Musik hören machen. Nicht die Musik des Elternhauses. Little Richard, und dessen „Tutti Frutti“hatten es dem Münchner Eisenbahnersohn, der mit sechs Jahren die Mutter
durch Krebs verlor, angetan. Jenem Buben, der den Klavierunterricht schwänzte, vom Geld dafür stattdessen Schallplatten kaufte oder sie auch klaute, weil das Taschengeld nicht reichte. Nach dem Abitur studierte er Ton- und Studiotechnik, wurde 1975 als Starkstromtechniker in München beim amerikanischen Sender AFN, dem Sender, der das Musikempfinden von Generationen prägte, eingestellt.
Egner nutzte damals jede Chance, sich Wissen anzueignen, behielt diese Neugierde sein Leben lang. Anfangs Verkehrsdurchsagen,
dann Einspringen für einen US-Diskjockey, schließlich Moderator. Er lernte von den amerikanischen Kollegen, wie man vor dem Mikrofon performte, perfektionierte sein Englisch, knüpfte Kontakte zu Künstlern, Produzenten, Anwälten.
„Der (Fritz) Egner“, als der er zur Legende geworden ist, wurde 1979 „geboren“. Thomas Gottschalk holte den Popspezialisten als Moderator zum Bayerischen Rundfunk. Es wurden 36 Jahre B3 mit der freitäglichen Abendsendung „Fritz &Hits“, die jetzt im ersten Programm, B1, läuft. Eine
Kultursendung, für die er aus der schier unglaublichen Fülle seiner LP (es waren 40.000), seiner rund 35.000 CDs und den auf dem Rechner gespeicherten 68.337 Tonzeugnissen schöpft. In fast fünf Jahrzehnten gelebter Musikgeschichte hat er „Superstars, Träumer, Sozialromantiker, Kämpfer, Traumtänzer, Scharlatane“getroffen.
Seine TV-Vergangenheit spielt an diesem hoch konzentrierten Erzählabend (fast) keine Rolle. Lieber sei er im Hörfunkstudio, auch ohne unmittelbares Feedback, erzählt er. Interviews frage man an, müsse oft lange warten; andererseits sei er seit Langem international bekannt, werde angefragt. So kam auch sein aktuellster Scoop zustande: Ein Anruf von Mick Jagger bei ihm – der wollte eine Single promoten, die sich ironisch Corona vorgenommen hatte. Die Sendung wurde am Tag des Anrufs gespielt. „Auf dieses Exklusiv-Interview bin ich stolz!“
Beim Zuhören wird er sichtbar – mit einem einnehmenden Charme, seiner Kunst des SichEinfühlens. Dass ihm Vertrauen geschenkt wird, liegt ganz sicher an seiner eher leisen, warmherzig-sympathischen Art des Fragens. Und: Auf jedes seiner 400 bis 500 Interviews habe er sich akribisch vorbereitet – aus Respekt. Jedem seiner Interviewpartner widme er volle Aufmerksamkeit. So passt zu ihm, wenn er unter all der gespeicherten Musik Lieder wie Sam Cookes eher leises, soulig-bluesiges „A change is gonna come“immer wieder hört.
Es gebe auch Interviews, die er bedauere, nicht geführt zu haben – mit Ray Charles, Aretha Franklin. Ansonsten sind die Menschen, die er traf, das Who is Who der Popmusik, Sänger, Produzenten, Moderatoren, von Diana Ross über die Beatles, Tina Turner, James Brown. Die Rattles. Lionel Ritchie. Mick Jagger, Little Richard, und, und… – Kein Wunder, dass der Abend letztlich noch zu kurz ist: Insbesondere den Musikbeispielen hätte man noch lange lauschen mögen ...