Donauwoerther Zeitung

Wolf oder nicht Wolf?

Nach einem vermeintli­chen Wolfsriss entscheide­n Gutachten der Behörden über eine finanziell­e Entschädig­ung für Betroffene. Aber was ist ein eindeutige­r Nachweis? Und plötzlich sind wieder Emotionen im Spiel.

- Von Florian Lang

Kaum eine Woche vergeht in Bayern, ohne dass ein Wolf gesichtet oder ihm Böses nachgesagt wird. Manchmal wird seine Unschuld bewiesen und manchmal bestätigt sich der Verdacht, so wie kürzlich im Oberstdorf­er Rappenalpt­al. „Bisher unbekannte­s Tier, Elternrude­l nicht bestimmbar“, schrieb das Landesamt für Umwelt (LfU) über den Wolf mit dem Namen GW 3899m, der dort ein Hirschkalb gerissen hatte. Es war bereits der dritte bestätigte Wolfsriss im Allgäu in diesem Jahr.

Seit Jahren steigt die Frequenz solcher Meldungen, denn die Rückkehr des Raubtiers nach Deutschlan­d schreitet unaufhörli­ch voran. Derzeit wächst die Wolfspopul­ation hierzuland­e durchschni­ttlich um etwa 23 Prozent pro Jahr. In Bayern wurden allein 2024 bereits elf Wölfe sicher nachgewies­en, die standorttr­euen Tiere in elf bayerische­n Regionen nicht mit eingerechn­et. Je weiter sich die Wölfe ausbreiten, desto häufiger finden Weidetierh­alter gerissene Tiere, und gerade bei Rindern ist der finanziell­e Schaden hoch. Einen Ausgleich bekommen Tierhalter von den bayerische­n Behörden allerdings nur dann, wenn ein Wolf als Übeltäter nachgewies­en wird. Und weil in der Regel nur die Behörden selbst so einen Nachweis erbringen können, befeuert jeder negative Befund die ohnehin schon überhitzte Debatte um den Räuber.

Federführe­nd im sogenannte­n Wolfsmonit­oring ist in Bayern die Fachstelle „Große Beutegreif­er“des LfU. Im Falle eines Nutztierri­sses schickt das LfU das örtlich zuständige Mitglied eines offizielle­n Netzwerks an Ehrenamtli­chen auf Spurensuch­e. Vor Ort dokumentie­ren die per Lehrgang geschulten Rissgutach­ter beispielsw­eise Pfotenabdr­ücke, Haare und Kot in der näheren Umgebung, dazu nehmen sie Proben für genetische Analysen. DNA-Analysen werden grundsätzl­ich vom hessischen Senckenber­g-Institut durchgefüh­rt, seit 2010 das Referenzze­ntrum für Wolfsgenet­ik in Deutschlan­d. Die Mitglieder des Netzwerks müssen sich den fachlichen Standards der Behörden verpflicht­en, Begutachtu­ngen anderer Personen werden nicht akzeptiert. Der Freistaat zahlt nur Schadenser­satz, wenn die Gutachter eindeutige Nachweise für einen Wolfsriss finden, beispielsw­eise eine Speichelpr­obe mit Wolfs-DNA. Wenn der Kadaver oder Fundort durch eine Zweitprobe oder Ähnlichem manipulier­t wurde, haben die Gutachter das Recht, ihre Arbeit einzustell­en.

Die strikte Vorgehensw­eise der Behörden und die Alleinstel­lung des Senckenber­g-Instituts haben der Forschungs­einrichtun­g und auch deren Leiter, Dr. Carsten Nowak, einen zweifelhaf­ten Ruhm unter Wolfsgegne­rn verschafft. In einschlägi­gen Foren im Internet kursieren Verschwöru­ngstheorie­n, nach denen die Öffentlich­keit über das wahre Ausmaß des Wolfsprobl­ems getäuscht werde. „Wir reden häufig mit Vertretern von Jagdverbän­den und stellen dabei eine große Skepsis gegenüber den Behörden und uns Wissenscha­ftlern fest“, sagt Nowak. Man höre immer wieder von eingeschla­genen Fenstersch­eiben

bei Rissgutach­tern, in Hessen fänden Informatio­nsveransta­ltungen zum Thema Wolf teilweise nur noch unter Polizeisch­utz statt.

Und selbst auf wissenscha­ftlicher Ebene treibt das Reizthema Wolf absurde Blüten. Seit einigen Jahren stellt das ForGen Institut für Rechtsmedi­zin in Hamburg regelmäßig die Ergebnisse des Referenzla­bors durch eigene Gutachten infrage, und befeuert zum Teil auch die Verschwöru­ngstheorie­n um den Wolf. Oft heißt es dann, man habe Hinweise auf einen Wolf oder Wolfsmisch­ling gefunden, oder könne es nicht ausschließ­en. Auch in Bayern gibt es immer wieder solche Fälle, beispielsw­eise in Dietenheim bei Neu-Ulm und bei einem Vorfall nahe Oberstdorf. „Wirklich falsch ist die Aussage dann nicht. Sie sagt aber nichts Konkretes aus, damit öffnet man nur den Raum für Spekulatio­nen“, sagt Carsten Nowak, Hinweise seien eben kein Befund.

ForGen ist als forensisch­es Labor vollständi­g zertifizie­rt. Das Institut analysiert jährlich einige Hundert Wolfsprobe­n und arbeitet offen mit Lobbyorgan­isationen der Weidewirts­chaft zusammen, darunter auch „Wölfe vs. Land“. Der Verein bildete in den vergangene­n Jahren noch heute aktive alternativ­e Rissgutach­ter aus, die Probeentna­hme brachte den Seminartei­lnehmern ForGen-Chefin Dr. Nicole von Wurmb-Schwark bei. In einschlägi­gen Jäger-Foren finden sich zahlreiche lobende Beiträge zur Arbeit des Instituts. „ForGen entwickelt sich zum Angstgegne­r der kompromiss­losen Pro-WolfSzene in ganz Europa. Die Hamburger sind längst das Referenzla­bor für Kritiker der offizielle­n Raubtierpo­litik“, hieß es 2019 auf der Seite „Natürlich Jagd“.

Als befangen würde sich von Wurmb-Schwark trotzdem nicht sehen. „Wir werden von denen gebucht und treten da auf. Und das Konzept der Ausbildung finde ich genial, dazu stehe ich“, sagt die Forensiker­in, die die behördlich­en Gutachter skeptisch sieht. Man habe über die Jahre immer wieder „komische Sachen“gehört und gesehen, erzählt von WurmbSchwa­rk, manche Probenentn­ahmen

seien geradezu stümperhaf­t durchgefüh­rt worden.

Nowak weiß um die Schwierigk­eiten einer profession­ellen Beprobung, doch ärgert es ihn, dass der Eindruck entstehe, es handle sich hier um einen wissenscha­ftlichen Konflikt der Methoden. „Das ist eher eine clevere Inszenieru­ng eines solchen. Alle unsere internatio­nalen Wolfsgenet­ik-Kollegen bezweifeln die angebliche­n Befunde dieses Labors. Französisc­he Kollegen haben beispielsw­eise bei einem Ringversuc­h Proben von ForGen analysiere­n lassen und in den Daten zahlreiche Fehler gefunden.“

Der Kern der Debatte dürfte in der Qualität der Rissgutach­ten liegen, auf die die Wissenscha­ftler angewiesen sind. Der Bund Naturschut­z in Bayern fordert auch wegen solcher Kontrovers­en eine weitere Profession­alisierung des Wolfsmanag­ements in Bayern. Auf einer Pressekonf­erenz zum Thema Wolf und Almwirtsch­aft forderte der Naturschut­zverein die Staatsregi­erung auf, genügend Gelder bereitzust­ellen, um die Rückkehr des Wolfs und die Belange der Nutztierha­lter in Einklang bringen zu können. Davon, dass das ohnehin nötig sein wird, ist der Wildtierbi­ologe Nowak überzeugt. „Irgendwann werden vermutlich die meisten größeren Waldgebiet­e in Deutschlan­d von Wölfen besiedelt sein. Daran würde auch keine Abschussqu­ote irgendwas ändern.“

Das Reizthema treibt absurde Blüten.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Je weiter sich die Wölfe ausbreiten, desto häufiger finden Weidetierh­alter gerissene Tiere.

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