„Immer das olle Gekritzel“
Ein Buch mit Postkarten von Dora Fritsche ist ein Lese-bilderbuch für Erwachsene.
Es werden immer weniger Bücher gekauft. Womöglich ist der Tag, an dem in Deutschland mehr Leute smartphonewischen als lesen können, gar nicht mehr so fern. Diese Mitmenschen sagen höchstens noch: „Alexa, lies mir ,Moby Dick‘ vor“, bevor sie zwei Minuten später einschlafen. Von der darbenden Buchbauerbranche wird die Regierung gemahnt, sie möge endlich eingreifen. Man könne es ja mit einer Abwrackprämie versuchen. Wer drei Dutzend Bücher aus seinem Bestand verschrottet, erhält einmalig 200 Euro Zuschuss bei der Anschaffung eines Neuwerks. Auch könnten buchlose Wohnzimmer mit einer Bibliothek nachgerüstet werden.
Nun gibt es aber auch Menschen im Land, die mit dem Lesen so ihre Schwierigkeiten haben. Für die sind jene Bücher gedacht, die im Verlag des Instituts für sprachliche Bildung erschienen sind. Dieser Fachverlag für den Lese- und Rechtschreiberwerb hat Publikationen im Angebot, die durch große Schrift und viele Bilder „eine optimale Leseunterstützung für Erwachsene und solche, die es werden wollen“, bieten sollen.
Ein solches Buch ist „Immer das olle Gekritzel“. Bei den Texten (im Großdruck) und Bildern von Dora Fritsche handelt es sich „weitgehend um Familienkorrespondenz, die Einblicke in die damaligen Verhältnisse ermöglichen“sollen. Vorwiegend sind es Postkarten aus der
DDR-ZEIT – apart illustriert und mit „frechen, treffenden Texten“, wie im Vorwort versichert wird. Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer sollen die Postkarten „einen zeitgeschichtlichen Eindruck deutschdeutscher Familienkorrespondenz aus fünf Jahrzehnten“vermitteln.
Zunächst wird erhellt, wer Dora Fritsche überhaupt war. Geboren wurde sie 1907 in Düsseldorf, als Kind war sie dicklich und galt als unansehnlich. Schon früh musste sie sich der Dominanz der Mutter erwehren, weshalb sich Dora zum enfant terrible entwickelte. Neben einem musikalischen Talent zeigte sich schon früh eine zeichnerische Begabung, die Fritsche selbst jedoch als „Gekritzel“geringschätzte. Sie erhielt gleichwohl ein Stipendium, setzte aber letztlich das Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie in den Sand. Letztlich landete sie 1937 als technische Zeichnerin bei Rheinmetall, der Betrieb wurde ob der ständigen Bombenangriffe ab 1942 gen Sachsen ausgelagert. Bei Kriegende saß sie in Höhnstedt/ Grimma fest, blieb danach in der
SBZ/DDR. Fritsche lebte mit einer Kriegerwitwe zusammen, sie erzog deren Tochter und die Enkel, ansonsten arbeitete sie in einem Stahlbetrieb und brachte es gar zur „Heldin der Arbeit“– für Fritsche ein „Anlass zu großer Heiterkeit“, wie es im Vorwort heißt.
Wer die Empfänger der Postkarten waren, erschließt sich nicht immer, allenfalls von den unten stehenden Grüßen her. Therese ist die Schwägerin, Michael der Neffe. Die Grüße sind frank und frei, so heißt es auf einer Postkarte: „Es grüßt, umarmt, schmatzt dich und Manfredchen recht innig deine Dora“. So manche Sentenz lässt tief blicken, etwa wenn Dora Fritsche einmal schreibt: „Ich grüße dich zu deinem Geburtstag und wünsche dir artige Kinder und einen Mann, der nicht mit der Pulle liebäugelt .... “Für den Leser, der nicht mit Ddr-interna vertraut ist, drängt sich die eine oder andere Frage auf. Nicht jeder weiß nun mal, welches literarische Werk gemeint ist, wenn Fritsche dem lieben „Hildemausi“u.a. mitteilt, dass sie den zweiten Band von „Der Laden“bekommen hat. Apropos Laden. In einem Brief an Frau Hülligardt von Ende Januar 1988 bedankt sich Fritsche für ein Westpaket, freut sich über all die schönen Sachen inklusive „neue Sorten Kaffee und Schokolade“und lässt aber auch wissen, dass das Paket „in einem einwandfreien Zustand war“. Jeder wusste, viele der Westpakete, die so manche Versorgungslücke der Ddr-mangelwirtschaft stopften, wurden durchsucht und zum Teil geplündert. Interessant auch eine Sentenz in einem Brief an „Frau Gildapupilda“vom 27. Juni 1990, also nach dem Fall der Mauer. Darin heißt es u.a. „Im Augenblick sind die Regale in den Läden wie ausgekehrt. Na, ich bin mal gespannt, wie das hier weitergeht.“
Ein Jahr später starb Dora Fritsche, deren Karten belegen, dass sie ein sehr authentischer Mensch gewesen sein muss, der zu seinen Schwächen stand, was den intensiven Zuspruch zu Alkohol und Tabak miteinschloss.