„Deals sind bei Sanktionen fehl am Platz“
Außenminister Heiko Maas über das deutsch-russische Verhältnis und die Us-wahl
Herr Minister, erfüllt Sie der Us-wahlkampf mit Sorge oder Hoffnung?
Wahlkämpfe besorgen mich nicht. Wahlkämpfe sind Ausdruck von Demokratie. In der Sache und im Stil kann man geteilter Meinung sein. Wir haben auch in Deutschland schon geschmacklose Wahlkämpfe erlebt. Ich zeige nicht mit dem Finger auf die USA, sondern sehe in diesem Wahlkampf einen ernsten demokratischen Wettstreit, bei dem es um viel geht.
Würde es mit Joe Biden als Us-präsident einfacher?
Ich gehöre nicht zu denen, die meinen, dass mit einem Präsidenten Biden „alles wieder gut“würde. Die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik ist seit Jahren dabei, ihre im Kalten Krieg angenommene Rolle in der Welt strategisch neu auszurichten. Wir müssen uns darauf einrichten, dass sich an dieser Grundtendenz strukturell nichts ändern wird. Möglicherweise sprechen wir uns unter einer anderen Regierung mit den Amerikanern besser ab. Es bleibt aber die Lehre: Wir Europäer müssen mehr Eigenverantwortung übernehmen.
Nachdem die EU im Fall Nawalny Sanktionen verhängt hat, droht Moskau mit Gegensanktionen. Bricht eine diplomatische Eiszeit an?
Nein. Daran kann auch keiner ein Interesse haben. Auf den Fall Nawalny haben wir schnell eine klare europäische Antwort gegeben. Das war bei einem so schweren Bruch des Völkerrechts auch nötig. Bedauerlicherweise haben wir in Deutschland aber auch andere Konfliktthemen mit Moskau wie etwa den Tiergartenmord und den Hackerangriff auf den Bundestag. Unser Verhältnis zu Russland bleibt kompliziert. Deshalb werden wir auch in Zukunft auf inakzeptable Aktionen aus Russland eine europäische Antwort geben müssen.
Die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik ist seit Jahren dabei, ihre im Kalten Krieg angenommene Rolle in der Welt strategisch neu auszurichten.
Sie sagen oft, ohne Russland gebe es keine Lösung – etwa in Libyen, Syrien, der Ukraine …
... Belarus, Armenien-aserbaidschan, Venezuela …
... aber gibt es denn mit Russland eine Lösung?
Das ist unsere Erwartung. Wir sitzen mit den Russen im Un-sicherheitsrat, im Berliner Libyen-prozess und auch zum Thema Ukraine an einem Tisch. In all diesen Runden geht es um Lösungen zur Beendigung von Kriegen. Und mit Blick auf die Ukraine und Libyen gibt es durchaus auch positive Entwicklungen. Der Waffenstillstand in der Ostukraine hält bisher am Längsten seit Beginn des Konflikts. Ein Ende des Dialogs mit Moskau kann es deshalb nicht geben. Zu viele Menschen auf der Welt sind darauf angewiesen, dass die internationale Staatengemeinschaft sich auch im Dialog mit den Russen um das Beendigen von diesen Konflikten kümmert.
Bei den neuerlichen Sanktionen gegenüber Moskau zeigten die Europäer schnell Einigkeit – die sie etwa gegenüber Belarus vermissen ließen.
Das Gezerre um die Belarus-sanktionen wurde durch die schnelle, geschlossene Entscheidung für Sanktionen im Fall Nawalny zumindest ein bisschen wiedergutgemacht. Wir haben uns im Fall von Belarus nicht darauf eingelassen, dass Sanktionen gegen die belarussische Führung mit ganz anderen Sanktionsfragen, wie gegen die Türkei wegen ihrer Erdgaserkundungen im Mittelmeer, verknüpft werden. Ein solches Koppelgeschäft hat die deutsche Eu-ratspräsidentschaft klipp und klar zurückgewiesen. Vielleicht hat diese Haltung auch dazu beigetragen, dass im Fall Nawalny die Entscheidung schnell ging. Alle haben verstanden, dass Deals bei Sanktionen fehl am Platz sind.
Die Türkei zeigt sich unbeeindruckt von Sanktionsdrohungen. Braucht es einen Strategiewechsel?
Die Türkei hat mit der neuerlichen Entsendung des Forschungsschiffes „Oruc Reic” zu Wochenbeginn die zuvor mühsam auch von uns vermittelte Vertrauensatmosphäre schwer beschädigt. Deswegen sah ich in dieser Woche von einer geplanten Reise nach Ankara ab. Aber: Auch die Türkei kann kein Interesse an einem dauerhaften Fortbestand all der Konflikte haben, auf die sie Einfluss nimmt. Die Türkei ist an den Konflikten in Libyen, Syrien, im östlichen Mittelmeer sowie in Armenien und Aserbaidschan beteiligt. Strategisch sollte der Türkei auch daran gelegen sein, diese Konflikte zu entschärfen.
Interview: Marina Kormbaki