„Das sickert ein“
Neues Buch fragt: Ist Sachsen Hochburg des Rechtsextremismus?
Man muss kein Sachse sein, um zu wissen, dass es hier Rechtsextremismus gibt. Eher ist es sogar so, dass der Freistaat gerade außerhalb seiner Grenzen als ein Land von besonderer Bräune gilt – wo Afd-hardliner Richter sein dürfen, Pegida seit Jahren halbwegs ungestört demonstriert und Flüchtlingsheime angegriffen werden. Aber stimmt dieser Eindruck? Oder ist Sachsen gar nicht so viel rechtsextremer als andere Bundesländer und man hat sich nur gut an das Bild gewöhnt?
Das fragen die beiden Politikwissenschaftler Uwe Backes und Steffen Kailitz von der TU Dresden in ihrem neuen Band „Sachsen – eine Hochburg des Rechtsextremismus?“, in dem sie mit Daten des Leipziger Psychologen Oliver Decker arbeiten.
Die drei Forscher haben ihr Buch gestern in Dresden vorgestellt und als Diskussionsgast Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) eingeladen. Ein „drängendes Problem“nennt dieser den sächsischen Rechtsextremismus im Festsaal der TU Dresden. Schließlich nehme der Rechtsextremismus im Bericht des sächsischen Verfassungsschutzes zwei Drittel ein, erst dann kämen die andere Extremismen.
Und anderswo ist das anders? Darauf haben die Forscher eine klare Antwort: Im Westen schon, im Osten nicht. So habe es 2015 im deutschlandweiten Vergleich in Sachsen mehr als dreimal so viele rechtsextreme Gewalttaten gegeben. Dasselbe gelte aber auch für die anderen vier Ostländer. In Mecklenburg-vorpommern waren es sogar noch mehr.
Das ist ein erstes Nein auf die Frage, ob Sachsen eine Hochburg das Rechtsextremismus sei. Richtiger wäre: Der Osten ist es. Und das, so begründen es die Forscher, aufgrund der Erfahrung der Ddr-diktatur. Und der Probleme, die die Wendejahre über den Osten brachten.
Es gibt aber noch ein zweites Nein, das zunächst überrascht. Sachsen, erklärt der Leipziger Decker, sei das Land mit dem geringsten Anteil an Bürgern mit einem „verfestigten rechtsextremen Weltbild“– nämlich nur 3,5 Prozent. Nirgends in Deutschland gebe es weniger. Das gehe aus Antworten aus seinem Fragebogen hervor, mit dem er langjährig Bürgerinnen und Bürger befragt habe.
„Moment“, lenkt da Uwe Backes ein. Die Ausdrucksformen von Rechtsextremismus seien ja auch völlig unterschiedlich. In Sachsen mögen besonders wenige rechtsextrem denken, aber dafür handelten oder wählten viele rechtsextrem, wenn man sich die sächsische AFD ansehe.
Da meldet sich Michael Kretschmer zu Wort. Ja, sagt er, das Problem mit dem Rechtsextremismus sei, dass er so viele verschiedene Formen annehme. Zur Zeit sei Islamfeindlichkeit ein prägendes Merkmal, oder es sind Verschwörungstheorien, zum Beispiel über Corona. Und das treibe ihn besonders um. „Ein Gerücht kann eine unglaubliche Faszination ausüben“, sagt er. „Da hat einer das Gefühl, er wisse etwas, was andere nicht wissen – und fühlt sich dadurch erhaben.“
Um an krude Theorien zu glauben, müsse man auch gar nicht rechtsextrem sein, sagt Kretschmer. Er höre solche Dinge auch im Gespräch mit Unternehmern, ganz normalen Leuten. „Das sickert ein“, sagt der Ministerpräsident. Darin liege die größte Gefahr des Rechtsextremismus.