Die Natur erzählt uns was
Vogelbeobachtung, Wandern und Genießen: An der Mecklenburgischen Seenplatte ist der Herbst dafür die ideale Jahreszeit
Grus Grus kommt.“Was, wer, wie bitte? „Grus Grus, das ist das Wort für Kranich“, sagt der Mann mit Tarnfleckweste und verrückt das Stativ seiner Kamera. Erst ist nur ein Trompeten, ein Schreien zu hören. Niemand spricht mehr in der Hütte, die auf Stelzen am Rederangsee im Müritznationalpark steht. Andächtige Stille herrscht. Der See öffnet sich dem Blick wie ein Breitwandkino.
Es ist Brunftzeit. Eben noch hat der Wind das Röhren der Hirsche über den See geweht. Jetzt aber naht Grus Grus, der Kranich. Erst kreisen 20 über dem See, bald zieht ein Zug von 200 Vögeln vorüber, mal sind es mehr, mal weniger. Die Sonne verschwindet langsam am Horizont, die Kraniche suchen sich Schlafplätze.
Herbst an der Mecklenburgischen Seenplatte ist ideal für Wanderurlaub, Naturbeobachtung, Aktivität und Genuss. 3000 Kraniche sind an diesem Abend bis zur Dunkelheit über den See gezogen, schätzt Ranger Uwe Lemke. Nur zehn, zwölf sind am sumpfigen Ufer gelandet, schlafen dort im Stehen. „Das sind sehr wenig heute“, sagt Lemke auf dem Rückweg nach Federow, dem nördlichen Eingangstor zum Nationalpark.
Lemke trägt seit 2003 den Rangerhut mit der Feder des Eichelhähers. „Vielleicht haben sie den Seeadler am Ufer gesehen und sind deswegen weitergezogen“, mutmaßt er und erzählt vom Sommer, der kein guter war für den Kranich – zu trocken. Rund 80 Brutpaare hatten sie im Nationalpark, nur ein Viertel brütete.
Die Müritz ist der größte See, der vollständig zu Deutschland zählt. Der Müritz-nationalpark ist Deutschlands größter Nationalpark. Stephan Kinkele interessieren solche Superlative nicht. Er kennt rund um die Müritz jede Pflanze, jeden Baum, jeden Vogel, die ganze Geschichte und jede Anekdote. Lange hat er auf Kythira gelebt, einer kleinen griechischen Insel. Seit zwölf Jahren lebt er im hügeligen, grünen und winddurchzogenen Mecklenburg, das er liebt. Angekommen sei er, sagt der 63-jährige Ethnologe, Autor und Reiseführer.
Kinkele will nicht nur von seiner Wahlheimat erzählen, er rät auch zum „achtsamen Wandern“, zum stillen Hinschauen, zum bewussten Wahrnehmen. „Die Natur erzählt uns etwas“, sagt er beim Gang vom Zuckerdorf Dahmen, dessen Zuckerfabrik längst geschlossen ist, zum Malchiner See, auf dem im Herbst
Hierher kommen Menschen, die abseits von Seenplatte und Küste etwas erleben wollen.
Ralf Koch, Leiter des Naturparks Nossentiner/ Schwinzer Heide
Tausende Grau-, Bläss- und Saatgänse rasten, beäugt vom Seeadler, der hier wie am gedeckten Tisch sitzt. Ein Milan kreist, ein Storch stakst über eine Wiese. Kinkele zerbröselt eine Wildhopfendolde. Was für ein aromatischer Duft!
Kein Trompeten, kein Schnattern, höchstens mal ein bollernder Trecker stört die Stille wenige Kilometer weiter im Naturpark Nossentiner/ Schwinzer Heide im Westen der Seenplatte – dem schönsten Naturpark Mecklenburgs. „Hierher kommen Menschen, die abseits von Seenplatte und Küste etwas erleben wollen“, sagt Ralf Koch.
Das muss er sagen, der 56-jährige Mann mit Vollbart und roter Strickmütze ist Leiter des Naturparks und führt zu Tieren, deren Kommunikation Menschen nicht hören. Koch ist Spezialist für Fledermäuse.
Auf einem früheren Militärgelände haben sie einen attraktiven Lehrpfad rund um die Fledermaus angelegt. 17 Arten gibt es in Deutschland, elf davon jagen in der Nossentiner Heide Mücken und Co. In aufgelassenen Bunkern und in schwarzen und weißen Kästen an den Kiefern finden die Fledermäuse ideale Schutz- und Schlafräume. Mitmachstationen und der Gang in mehrere der Bunker wecken Sympathie für die kleinen Säugetiere – und für ihren Schutz.
Ralf Koch wirkt wie jemand, der sich einen Traum erfüllt hat. Mecklenburg bietet dafür viel Platz.
Bernd Kleist im 65-Einwohnerort Gessin zählt auch zu dieser Spezies. Der Mann hat seine Lebensaufgabe gefunden: „Wir zeigen, dass sich eine Region weitgehend selbst ernähren kann.“Kleist hat „in the middle of nowhere“einen Bio-laden samt Café aufgemacht, der weitestgehend Produkte der Region anbietet. „Region, das sind im Querschnitt in etwa 50 Kilometer“, sagt er. Hier haben sie eine Genossenschaft gegründet, zu der rund 80 Produzenten gehören. Per App wird die Vermarktung bedarfsgerecht gesteuert. Geliefert wird mit zwei E-transportern.
Eine Begrüßungskiste mit typisch Mecklenburgischem von Brot bis Bier liefern sie Urlaubern in Appartments und Ferienhäusern.
Es lohnt sich, die Geschmäcker Mecklenburg-vorpommerns kennenzulernen. In Zeislers Esszimmer in Plau am See wissen sie, wie man Steckrübensuppe zum Genuss erhebt, und sie bereiten den Tagesfang des Müritzfischers zu.
Noch besser: selbst kochen. Mit zeitiger Anmeldung lässt sich ein Platz beim Kochkurs in Jana Schäfers Kräuter-erlebnishaus ergattern. Die 50-Jährige kommt aus Luplow, einem der schönsten Dörfer der Seenplatte. 160 Kräuter, nicht alle aus heimischem Garten, verwendet sie in ihrem Eine-frau-unternehmen. Sie schwärmt beim Kräuterkochen von Schottischem Liebstöckel statt Petersilie und vom chinesischen Gemüsebaum.
Was tun, wenn es nass ist in Mecklenburg mit Landregen, grauem Himmel und Nebelluft? Auch für Natursucher gibt es ein Schlechtwetterprogramm: Das Müritzeum in Waren inszeniert Wald und Seen, Fisch- und Vogelwelt auf sinnliche und sinnige Weise. Bei Regen aber wird es voll im Haus der 1000 Seen, ideal eignet sich der Besuch zum Einstieg in die Region.
Bei Schietwetter gibt es trotzdem viel zu sehen und zu entdecken, und dafür lohnt ein Weg zur Kunst – ins Schloss Kummerow. In die barocke Anlage des Herrenhauses sollte ein Hotel einziehen. Die Pläne platzten. Der mittlerweile verstorbene Berliner Unternehmer Torsten Kunert kaufte das Schloss am See und restaurierte behutsam das Haupthaus. Heute ist – von April bis Oktober – auf 3500 Quadratmetern eine der besten deutschen Sammlungen zeitgenössischer Fotografie zu sehen. Stars von Andreas Gursky über Wolfgang Tillmans bis Candida Höfer sind mit großformatigen Werken vertreten. Mecklenburg überrascht.
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