Wer sich gegen Pocken impfen ließ, bekam in Zittau einst eine Medaille
Neues Oberlausitzer Hausbuch 2021 wartet einmal mehr mit einer Fülle von Beiträgen auf.
Zittau. Als man ab etwa 1820 in Zittau daran ging, die Stadtmauer niederzureißen, war allen klar, dass sie keine verteidigungstechnische Bedeutung mehr hatte. Durch den Abriss erhofften sich die „Inwohner“aber auch künftig mehr Frischluft gegen „Übel und Krankheiten“in der Stadt.
Zu den Krankheiten, die eine latente Gefahr bildeten, gehörten seinerzeit die Pocken, die damals meist „Blattern“hießen. Ende des 18. Jahrhunderts starb etwa jedes zehnte Kind an dieser Krankheit. Und wer die Pocken überlebte, blieb nicht selten fürs Leben gezeichnet – durch die Narben der Pusteln im Gesicht sowie an Beinen und Armen.
Goethe hatte Glück: In seiner Autobiografie „Dichtung und Wahrheit“hielt er bezüglich seiner Erkrankung als Kind fest: „Das Übel betraf nun auch unser Haus und überfiel mich mit ganz besonderer Heftigkeit. Der ganze Körper war mit Blattern übersät, das Gesicht zugedeckt, und ich lag mehrere Tage blind und in großen Leiden … Endlich … fiel es mir wie eine Maske vom Gesicht … Ich selbst war zufrieden …, nach und nach die fleckige Haut zu verlieren.“
Die Blattern rafften den jungen Kurfürsten dahin
Den Blattern zum Opfer fiel hingegen im April 1694 Sachsens gerade mal 25-jähriger Kurfürst Johann Georg IV., was seinem jüngeren Bruder, der als August der Starke in die Geschichtsbücher eingehen sollte, den Weg zum Thron ebnete.
Aber schließlich und endlich fand 1796 der englische Arzt Edward Jenner ein Mittel gegen Pocken: Er impfte einen Jungen zunächst mit den mehr oder minder harmlosen Kuhpocken und Monate später mit dem Pockenvirus. Der Junge zeigte dank der Impfung keinerlei Symptome.
In Zittau, ja in der ganzen südlichen Oberlausitz, war es der Arzt Wilhelm Ludwig Hirt (1761–1827), der sich Verdienste um die Ausrottung der Blattern erwarb. 1801 führte Hirt erstmals in Zittau die Schutzimpfung mit Kuhpocken durch. Dafür, aber auch ob all seiner anderen Leistung als Arzt in der Region um Zittau, verlieh ihm der sächsische König Friedrich August I. im Jahr 1812 die „Große Goldene Civildienst-medaille“.
Hirt hatte übrigens auf eigene Kosten auch Kinder-medaillen herstellen lassen – die dienten als Anreiz und Auszeichnung für diejenigen Mädchen und Jungen, die sich bei ihm gegen die Blattern impfen ließen. Für Impfgegner, die es auch zu Zeiten Hirts gab, ein klarer Fall von Bestechung. Aber letztlich sprach sich in der Landbevölkerung herum, dass man Kinder, wenn man sie denn behalten wollte (unentstellt und auch sonst gesund an Leib und Seele), doch besser impfte.
Der Blick geht sogar über den Oberlausitzer Tellerrand
Hirt ist eine der Persönlichkeiten, an die im Oberlausitzer Hausbuch 2021 erinnert wird. Dazu gehört aber auch der katholische Bischof Franz Löbmann, dem die Neugründung des Bistums Meißen mit Sitz in Bautzen anno 1921 maßgeblich zu verdanken ist. Oder da wäre der dichtende Uhyster Förster Gottfried Unterdörfer, dessen 100. Geburtstag sich am 21. März 2021 zum 100. Mal jährt. Gewürdigt wird auch der gebürtige Görlitzer Hans Jürgen „Dixie“Dörner, der zu den ganz Großen des deutschen Fußballs zählt und dessen Name selbst denen ein Begriff sein sollte, die, als sie sich an Liegestützen versuchten, zur Erkenntnis kamen: „Liegen kann ich. Stützen nicht.“
Das Hausbuch vermittelt, welche Jubiläen Oberlausitzer Orte 2021 feiern können (vor 950 Jahren wurde Görlitz etwa erstmals urkundlich erwähnt), aber auch, wo zur Kirmst (Kirchweih) geladen wird und welche Gedenk- und Aktionstage im kommenden Jahr anstehen. Also: Am 13. März steht der nicht zu verschlafende Welttag des Schlafes an, am 6. Juli ist Weltkusstag und am 15.10. der Welttag des Händewaschens, was man bekanntlich auch dann gelegentlich tun sollte, wenn es nicht ums Waschen der Hände in Unschuld oder Unfug geht.
Neben kalendarischen Informationen präsentiert die Publikation einen bunten Reigen spannender und kurzweiliger Erzählungen zu Geschichte und Gegenwart, Kunst und Kultur, Natur und Brauchtum. Sie ist also selbst interessant für Leser, die nicht in der Oberlausitz leben, ihr aber wie auch immer verbunden sind.
Die Beiträge beziehen alle Regionen der Oberlausitz ein. Der Blick schweift aber auch über den Tellerrand hinaus und manchmal weit in die Ferne. Da reist beispielsweise Trudla Malinkowa nach Hochkirch (heute: Tarrington) in Australien und Hochkirch (heute: Noack) in Texas, zwei Orte, die einst sorbische Auswanderer im 19. Jahrhunderts gegründet hatten. Man erfährt, was es mit dem Bautzener Brotmarkt auf sich hat, warum 1945 in Zittau großer Handwagenmangel herrschte und in einem Bericht vermerkt wurde: „Die Beschaffung der benötigten Fahrzeuge stellt die Stadtverwaltung vor eine schwere und sofort zu lösende Aufgabe... Auf Anordnung des Oberbürgermeisters mußten die Bezirksvorsteher gebrauchte, aber noch verwendungsfähige Wagen von Zittauer Einwohnern beschlagnahmen, von denen bisher 160 an abziehende Flüchtlinge mitgegeben wurden.“
Neues Fastentuch für die Zittauer Museen
In der Reihe „Böhmische Exklaven in der Oberlausitz“steht dieses Mal Ullersdorf im Fokus, ein Straßendorf, das im 13. Jahrhundert im Zuge der deutschen Ostsiedlung entstand und heute, da östlich der Neiße gelegen, zu Tschechien gehört. Diverse Mundart-episoden beschwören Lokalkolorit und vermitteln, dass für viele Heimat(-gefühl) mit Dialekt verbunden ist.
Annelies Schulz erinnert sich, wie in ihrer Kindheit Kirmes gefeiert wurde. Vorgestellt wird auch – als Denkmal der modernen Architekturgeschichte – das Neueibauer Schulgebäude, das als Ausdruck der Reformbewegung in etwa zur gleichen Zeit wie die ebenfalls von den Ideen des Werkbunds geprägte Gartenstadt (Dresden-)hellerau errichtet wurde.
Auch erfährt man, dass die städtischen Museen Zittau im Frühjahr diesen Jahres auf einer Kunstauktion in Stuttgart ein neues Fastentuch erwerben konnten. Es ist 1,92 mal 1,50 Meter groß. Im Vergleich zu den beiden Fastentüchern, für die Zittau bislang berühmt ist, ist es also vergleichsweise klein. Es stammt aus Betznau am Bodensee und zeigt nur eine Szene: den mit einem Krönungsmantel bekleideten Jesus umgeben von römischen Soldaten.
Informationen gibt es darüber hinaus zur Familie des kläglich gescheiterten Napoleon-attentäters Ernst von der Sahla auf Sohland. Dieser trat übrigens im Mai 1810 in Dresden zum katholischen Glauben über, nachdem er vorher Mitglied der Herrnhuter Brüdergemeine gewesen war. Napoleon starb letztlich am 5. Mai 1821 auf der kleinen Insel St. Helena im Südatlantik, Ernst von der Sahla im August 1815 in der Charité in Paris, wohin der mittellose Attentäter gebracht worden war, nachdem ein Selbstmordversuch in der Seine missglückt war.
Prof. Dr. Bernhard Klausnitzer stellt in der Reihe „12 für’s Jahr“dieses Mal Wanzen vor. Alles in allem kommen über 500 Wanzen-arten vor. Obwohl Wanzen harmlos sind, die meisten nuckeln an Pflanzen, wenige saugen andere Insekten aus, hat die Spezies einen schlechten Ruf – wegen der nachtaktiven Bettwanze. Mag Goethe auch das Zitat „Flöh’ und Wanzen gehören auch zum Ganzen“zugeschrieben werden – faktisch kann der Mensch die (Bett-)wanze nicht ab. Allenfalls im Kinderlied „Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt ’ne kleine Wanze“gesteht er ihr Daseinsberechtigung zu.
Lars-arne Dannenerg, Matthias Donath (Hrsg.): Neues Oberlausitzer Hausbuch 2021, Via Regia Verlag, 190 Seiten, durchgängig farbig bebildert, 8,90 Euro, ISBN 978-3-944104-37-9