„Wir haben zu wenig Zeit für die Kinder“
Personalmangel ist das größte Problem in Sachsens Kindertagesstätten, so die Ergebnisse aus dem „Familienkompass 2020“. Für des Engagement der Erzieher vergeben die Eltern aber eine Bestnote.
Dresden. „Für mich als Mutter wäre das Wichtigste, dass ich meine Kinder in der Kindertageseinrichtung stets gut versorgt wüsste“, hat eine Dresdnerin in das Kommentarfeld geschrieben. Die 34-Jährige gehört zu den 15000 Sachsen, die den „Familienkompass“-fragebogen beantwortet haben. „Leider ist der Personalmangel so hoch, dass die vorhandenen Mitarbeiter an ihre Grenzen gehen, krankheitsbedingt lange ausfallen und die Situation immer prekärer wird“, kritisiert die zweifache Mutter.
So wie die junge Frau denken offensichtlich viele Sachsen. Denn die Frage, ob sie den Personalschlüssel in Krippen, Kindergärten und Horten als ausreichend empfinden, beantworten 46 Prozent der Befragten mit Nein und vergeben eine Gesamtnote von 3,4. Nur drei der 101 abgefragten familienrelevanten Themen schneiden noch schlechter ab: das Wohnungsangebot, der Schulweg mit dem Rad und der Platz beim Wunschkinderarzt.
Unabhängig davon meinen die meisten Eltern, dass die Kitas gut organisiert sind. Die beste Note des gesamten Familienkompasses aber erhält mit einer 1,89 das Engagement der Erzieher.
Nirgendwo in Sachsen wird deren Einsatz für die Kinder besser bewertet als im Landkreis Zwickau. Angela
Bretschneider leitet die Kita „Wassertröpfchen“im Zwickauer Stadtteil Eckersbach, eine Kneipp-kita mit Tretbecken, Sauna und Wassermatschanlage. „Eine gute Erzieherin kann mit dem Herzen sehen“, sagt sie. „Sie hat einen Bezug zum Kind, kommt mit ihm ins Gespräch, nimmt seine Bedürfnisse wahr und hat gleichzeitig einen Blick fürs Ganze.“
Die Lehren des Naturheilkundlers Kneipp basieren auf fünf Säulen. Die unterste, die alles trägt, ist das Wohlbefinden. „Ohne das geht gar nichts“, sagt Bretschneider und meint nicht nur optimale Entwicklungsbedingungen für die Kinder, sondern auch den Zusammenhalt im Team und den regelmäßigen Austausch mit den Eltern. Sind die Gruppen zu groß, sind alle gestresst. „Wir Erzieher haben zu wenig Zeit für die Kinder. Wir wollen unsere Arbeit gut machen, aber das braucht Zeit. Deshalb wünsche ich mir mehr Wertschätzung in Form von Zeit.“Sachsen bei Betreuung auf vorletztem Platz Betreuungsschlüssel ist das Stichwort. Der liegt in sächsischen Krippen bei 1:5 und in Kindergärten bei 1:12. Das bedeutet, dass eine Erzieherin fünf beziehungsweise zwölf Kinder betreut, ihnen zuhört, mit ihnen singt, bastelt, spielt, ihnen Essen auftischt, den Po abwischt, sie zum Mittagsschlaf hinlegt, sie tröstet, umarmt und zur Ordnung ruft. Bundesweit liegt Sachsen damit auf dem vorletzten Platz. Nur in Mecklenburg-vorpommern ist das Verhältnis noch schlechter. Im Bundesschnitt kommen 4,2 Krippenkinder oder 7,8
Kindergartenkinder auf eine Erzieherin. Generell ist der Schlüssel in den Ost-bundesländern höher als in den West-ländern.
Doch der Vergleich hinke, meint Susann Meerheim vom Kultusministerium. „Es ist schlichtweg falsch, lediglich den Blick auf den Personalschlüssel zu richten und die deutlich höheren Betreuungsquoten außer Acht zu lassen“, sagt sie. In den alten Ländern wird nur gut jedes dritte Kind unter drei Jahren betreut, im Osten mehr als jedes Zweite. Um sie zu versorgen, brauchen die Länder mehr Platz Personal und Geld.
Angela Bretschneider mit ihrer 16-jährigen Leitungserfahrung will den westdeutschen Betreuungsschlüssel gar nicht haben. Für sie wäre ein Verhältnis von 1:10 im Kindergartenbereich und 1:4 in der Krippe ideal. „Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre es das“, sagt sie. Aber dieser Wunsch ist teuer.
Es ist nicht so, dass in Sachsen diesbezüglich nichts passieren würde. Seit fünf Jahren ist der Betreuungsschlüssel schrittweise verbessert worden. Zudem macht das Gutekita-gesetz von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) Bundesgeld für zwei wöchentliche Vor- und Nachbearbeitungsstunden der Erzieher frei. Denn mit Spielen und Singen ist der Job bei Weitem nicht getan. Knapp 4000 Vollzeitstellen sind allein wegen dieser Maßnahmen in Sachsen geschaffen worden. Sie kosten jährlich 200 Millionen Euro. 1200 offene Stellen in Sachsens Kitas
Und dann ist da noch der Fachkräftemangel. Etwa 800 Stellen müssen in sächsischen Kitas jedes Jahr neu besetzt werden, weil Erzieher in Rente gehen. Schwangerschaft, lange Krankheit, Umzug oder Teilzeitarbeit – das Kultusministerium schätzt den Bedarf auf rund 1200 neue Erzieher pro Jahr. Rein rechnerisch könnte der aus eigener Kraft gedeckt werden, denn jährlich verlassen 2000 Absolventen die 61 Fachschulen Sachsens.
Aber zu wenige kämen in den Kitas an, so das Ministerium. Deshalb investiert das Land aktuell mehr als fünf Millionen Euro in die Umschulung zum Erzieher und hat 200 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen. Im „Wassertröpfchen“in Zwickau-eckersbach sind die freien Plätze „fast nahtlos“neu besetzt worden. „Wir hatten das Glück, dass genügend Bewerber da waren“, sagt die Kita-leiterin Bretschneider.
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