„Zehn Tage, die die Welt erschütterten“
Vor 100 Jahren starb John Reed
Er war Idealist und Sozialist, Abenteurer und Lebemann, Zeitzeuge und Aufklärer, Journalist und Poet. Einer, der aus reich behüteter Kindheit in Harvard kam – und eine Welt entdeckte, durch die ein tiefer Riss ging. Dichter wollte dieser John Reed werden. So schrieb er Lyrik (Sammlung „Tamburlaine“1917), Storys, Skizzen Dramen – und Reportagen. Da lag sein Talent.
John Reed wurde Sozialist aus Neugier und Anschauung. In New York, wo er nach Studium und Europareise lebte, stößt er auf Armut und Ungleichheit, als er Redakteur beim sozialistischen Magazin „The Masses“wird. 1913 geht er nach Paterson und berichtet vom Seidenarbeiter-streik gegen Hungerlöhne. 2300 Streikende werden verhaftet, auch John Reed – für vier Tage. Prägende Erlebnisse. Die sich 1914 in Ludlow (Colorado) wiederholen, wo Bürgerkrieg gegen die streikenden, von den Grubenbesitzer aus ihren Häusern vertriebenen Bergarbeiter herrscht. Sein langer Bericht ist eine empörte Reportage des Zorns. John Reed wird zum Kritiker des Kapitalismus und Arbeiter-sympathisant.
Da war er bereits ein gefragter Journalist mit üppigen Honoraren. Im Herbst 1913 hatte ihn das „Metropolitan Journal“in die mexikanische Revolution geschickt. Vier Monate zog er mit den Truppen Pancho Villas durchs Land, schrieb zahlreiche Berichte und das Buch „Mexiko in Flammen“. Entflammt war auch der 26-jährige John Reed. So zieht er weiter in die Welt: an die Westfront des Ersten Weltkrieges. Er plädiert für die Us-neutralität im Krieg der Profiteure (Reed), reist durch Osteuropa (Balkan, Türkei, Russland, Frankreich, Italien, Deutschland), schreibt realistische Reportagen und ist enttäuscht von den Arbeitern, die dort Krieg führen. Er heiratet Louise Bryant, muss sich eine Niere entfernen lassen und reist schließlich im September 1917 nach Petrograd.
Er läuft durch die Stadt, hört überall genau hin, geht im Smolny aus und ein, erlebt Kundgebungen und den Sturm der Bolschewiki aufs Winterpalais, fährt nach Zarskoje Selo, wo der gestürzte Kerenski den Gegenangriff versucht, und wird dort um ein Haar von Roten Matrosen erschossen, besucht die Front und Moskau, sammelt Proklamationen, Zeitungen, Plakate, trifft Lenin, macht sich endlos Notizen – und schreibt 1918, wieder in den USA, seinen berühmten Erlebnisbericht „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“.
John Reed zieht durch die USA, verbreitet in Vorträgen seine erlebte Wahrheit über die Novemberrevolution, wird aus der Sozialistischen Partei ausgeschlossen, gründet die Kommunistische Arbeiterpartei der USA, versucht in dem langen Poem „Amerika 1918“eine Selbstverständigung, fährt im Herbst 1919 zurück nach Russland, wird bei der Rückreise in Finnland verhaftet, lebt elf Monate in Einzelhaft und geht wieder nach Sowjetrussland: zum Komintern-kongress, zum Kongress der Völker des Ostens in Baku. Im Kaukasus erkrankt er an Typhus und stirbt, vor 100 Jahren, drei Tage vorm 33. Geburtstag, am 19. Oktober 1920. Beigesetzt wird er an der Kremlmauer.
1980 drehte Warren Beatty „Reds“(drei Oscars), ein 195-minütiges Epos über John Reed. In die DDR kam es nicht, wohl auch wegen der Hervorhebung des von Stalin ermordeten Sinowjew.