Die kleinen Risse beobachten
Daniela Danz stellt ihren neuen Gedichtband „Wildniß“in Dresden vor.
Wie groß die Vorräte auch sind, irgendwann sind sie aufgebraucht. So sehr man auch sucht, nichts ist mehr zu finden. Auch die Vorräte, die uns die Erde bietet, werden irgendwann verbraucht sein. Die Erdölvorkommen werden irgendwann erlöschen, die Regenwälder werden abgeholt sein, die Meere leergefischt, das Land verstrahlt und aller Sauerstoff in Kohlendioxid verwandelt. Zurück bleibt ein geplünderter Wüstenplanet, ein kosmisches Brachland.
Die in Kranichfeld in Thüringen lebende Autorin Daniela Danz nutzt in ihrem neuen Gedichtband „Wildniß“die Welt als Steinbruch für ihre Gedichte. Das beginnt bereits beim Titel „Wildniß“. Daniela Danz hat ihn, wie im Buch nachzulesen ist, Friedrich Hölderlins hymnischen Gedichtentwurf „Wenn aber die Himmlischen ...“entnommen: „Und dem Brande gleich, / Der Häußer verzehret, schlägt / Empor, achtlos, und schonet / Den Raum nicht, und die Pfade bedeket, / Weitgährend, ein dampfend Gewölk / die unbeholfene Wildniß…“Dieses Zitat stellt Daniela Danz ihrem Kapitel „Kaskaden“voran. Dabei lässt sie allerdings Hölderlins nächste Zeile weg, und das ist die entscheidende Zeile: „So will es göttlich scheinen.“In den Gedichten von Daniela Danz findet sich allerdings nichts Göttliches, nichts Transzendentes. Hölderlins „Wildniß“bleibt hier nur ein Materialsteinbruch.
Weiteres Material findet Daniela Danz etwa in der ukrainischen Stadt Prypjat, ursprünglich, wie in den Anmerkungen aufgeführt, die „Arbeiterstadt für das Kernkraftwerk Tschernobyl, ... seit dem Reaktorunglück 1986 wegen der hohen Strahlenbelastung verlassen“. Im Gedicht schreibt sie: „wir haben keinen Namen sonst für die Kiefern / deren Stämme nicht verrotten für das unterm Gras / verborgene nukleare Material wir haben überhaupt / zu wenig Namen um was wir sehen zu benennen“. Ein weiteres Gedicht thematisiert das Us-amerikanische Project West Ford, zu dem die Anmerkungen erklären: „experimentelles Kommunikationssystem, bei dem in den Jahren 1961-63 480 Millionen winziger Kupfer-dipolantennen im Weltraum ausgesetzt wurden“. Im Gedicht heißt es: „ich schicke dir das Bild / auf dem die Erde unter dir blau und wunderbar / und malerisch von unserem Schrott gerahmt ist“.
Ein ganzes Langgedicht mit dem Titel „Stadt der Avantgarde“, das ein eigenes Kapitel des Buches einnimmt, thematisiert die russische Stadt Beresniki. Unterhöhlt von einem Kalibergwerk, kommt es immer wieder zu Tagesbrüchen, senkt sich die Stadt immer weiter ab. „sitzen bis zum Verrücktwerden, die kleinen Risse beobachten“, schreibt Daniela Danz. Ebenso finden sich in dem Band Gedichte zur Zerstörung der Ruinen Nimruds durch den IS, zu den mit einem LKW verübten Anschlägen von Nizza und Berlin, sowie, obwohl das Buch gerade erst erschienen ist, vier Corona-gedichte. Hier erkennt man eine Einheit zwischen dem Inhalt der Gedichte und ihrem Material: So wie die Erde ohne Rücksicht auf die Folgen mehr und mehr ausgebeutet wird, so werden die Ereignisse der heutigen Zeit als Steinbruch für die Gedichte, als bloßes Material verwendet. Oder, anders gewendet, viele Gedichte basieren auf von den Medien vermittelten Informationen.
Wildnis, das ist in diesen Gedichten weniger die von den Menschen unberührt gebliebene Natur. Die Wildnis ist da zu finden, wo der Mensch glaubt, die totale Kontrolle über sein Handeln und über die Folgen seines Handelns zu haben, tatsächlich aber bereits die Grundlage für unbeherrschbaren Folgen seines Tuns legt. Insofern sind die Gedichte von Daniela Danz von Melancholie und Weltschmerz bestimmt. „wir stören alles immerzu“, schreibt sie im Gedicht.
Am Dienstag, 19.30 Uhr, liest Daniela Danz im Landhaus Dresden in der Reihe „Literarische Alphabete“