Facetten einer Kulturlandschaft
Das neue Jahrbuch des Landesamtes für Denkmalpflege wartet mit vielen interessanten Aufsätzen zu den unterschiedlichsten Themen auf. Im Fokus steht auch ein schwieriges Erbe: Kriegsdenkmäler.
Die ästhetische Form eines Denkmals kam bereits in der Antike auf. In Band III seiner „Theorie der Gartenkunst“hielt Christian Cay Lorenz Hirschfeld 1780 schon fest: „Monumente oder Denkmäler sind wirksame Mittel, das Andenken einer Person oder einer Begebenheit für die Nachkommenschaft zu erhalten... allein die Griechen besaßen sie in einer Menge und Schönheit, als vor ihnen noch keine, von den Künsten aufgeklärte, Nation sie gesehen hatte. Schon früh belohnten sie Stärke und Tapferkeit mit Statuen und anderen öffentlichen Ehrenmählern ...“
Die Quellen des Denkmals waren Religion, Ruhm und Totenkult. Diese Trias war auch die Basis für all die Kriegsdenkmäler, die nach dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) entstanden, sowohl bei den Verlierern als auch den Siegern des vierjährigen Gemetzels, in das beide Seiten anfangs mit viel Hurra (das Bild suggerierte jedenfalls die Propaganda) gezogen waren.
Zumindest in der Bundesrepublik, wo, von Ausnahmen abgesehen, die Geschichtsvergessenheit grassiert, sind die Kriegerdenkmäler, die während der Weimarer Republik entstanden, mittlerweile ein eher ungeliebtes Erbe. Nicht selten sind sie nicht nur vergessen, sondern auch verwittert und verfallen. Nun lässt sich über die Funktionalisierung von Toten und eine unkritische Heldenverehrung gewiss diskutieren, aber Kriegerdenkmäler können nachfolgenden Generationen ins Bewusstsein rufen, dass ein Krieg nichts Abstraktes ist, sondern sehr reale Wunden in Familien und Ortschaften hinterlässt. Jeder Name eines Kriegstoten steht für ein konkretes Schicksal. Mag sein, dass ein in Stein gemeißeltes oder Bronze gegossenes Gedenken antiquiert ist. Aber selbst wenn es so wäre: Auch wie frühere Generationen mit der Erinnerung umgegangen sind, gehört zu unserem kulturellen Erbe.
Alte Kirchen mutierten zu Gedächtniskirchen für Gefallene Mit – zumindest einigen – Gedenkstätten für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges in Sachsens setzt sich nun der Kunsthistoriker und langjährige sächsische Landeskonservator Heinrich Magirius in einem Aufsatz auseinander, der im unlängst erschienenen Jahrbuch 2019 des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen erschienen ist. In der Publikation berichten in bewährter Manier Kunsthistoriker, Architekten, Landschaftsarchitekten und Restauratoren über Kulturdenkmäler der sächsischen Kulturlandschaft, wobei neben den Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz auch der ländliche Raum durch eindrucksvolle Denkmäler vertreten ist.
Magirius jedenfalls vermittelt, dass schon in den ersten Kriegsjahren seitens der Mitglieder des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz überlegt wurde, wie man wohl der Gefallenen in der Heimat gedenken könnte. Klar war rasch, dass man auf Siegesmonumente in Form von Pyramiden, Säulen und Obelisken, wie sie für die Krieger von 1870/71 en vogue gewesen waren, nicht zugreifen wollte. Auch das Übermaß der Pflanzung von „deutschen“Bäumen, vor allem Eichen, empfand man als unzureichend. Schon früh schlug man die Verwendung von Zweitkirchen als Gedächtniskirchen vor – vor allem in rasch gewachsenen (Industrie-)orten hatte man ja oft neue Kirchen erbaut, während die historisch eigentlich interessantere Kirche mehr oder minder leer stand. Sowohl die Nikolaikirche in Görlitz als auch die in Meißen wurde dann als Kriegergedächtniskirche umgestaltet, ebenso die in Colditz, wobei es in diesem Fall der Dresdner Architekt Oswin Hempel war, der die Nikolaikirche umgestaltete.
Was figürliche Kriegerdenkmäler angeht, widmet sich Magirius u.a. dem Denkmal an der Martin-lutherkirche in Dresden sowie auch dem vom Bildhauer Georg Wrba und dem Architekten Emil Högg geschaffenen Ehrenhain an der Lutherkirche in Radebeul. Von Wrba stammt auch das 1930 eingeweihte Bronzedenkmal eines aufgebahrten Kriegers in Wurzen am Bahnhofsvorplatz, wobei die architektonische Gestaltung des als Pfeilerhalle gestalteten Gesamtmonuments auf den schon erwähnten Oswin Hempel zurückgeht und trotz eindeutig patriotischer Botschaft alle Bilderstürme überstanden hat, sogar die DDR-ZEIT, in der sonst so vieles „geschliffen“wurde, was ideologisch nicht ins Konzept passte.
Festgehalten wird von Magirius auch, dass sich in Sachsen nur selten der in den 1920er- und 39er-jahren am häufigsten verwendete Typus eines Kriegerdenkmals findet, der aufgebahrte Soldaten in voller Uniform und mit Stahlhelm zeigt. Mit Befremden nimmt Magirius den „Missbrauch von Bibelsprüchen“zur Kenntnis, was von Zeitgenossen damals mit Sicherheit mitnichten als solcher empfunden worden sein dürfte. Und wenn Magirius ob Denkmälern in Gestalt „junger Kraftprotze mit Waffen“in der Hand schreibt „Auch durchaus potente Bildhauer wie Georg Kolbe waren sich nicht zu schade, solche Denkmäler zu produzieren“, zeigt sich, wie sehr er die Vorstellungen des heutigen, durchaus auch seine eigenen Dogmen setzenden Zeitgeists verinnerlicht hat.
Noch ein ganz anders geartetes Denkmal steht dann im Fokus des Beitrags von Tim Tepper: Nämlich das an sich für das Staatszentrum der DDR in (Ost-)berlin gedachte Marxengels-denkmal, das heute den Platz der Opfer des Faschismus in Chemnitz „schmückt“. Während in der von Russland angegriffenen Ukraine in jüngster Zeit über 1300 Lenin-denkmäler und sonstige Götzen der Sowjetdiktatur von Aktivisten vom Sockel geholt oder per Stadtratsbeschluss entsorgt sowie über 50 000 Straßen umbenannt wurden, auf dass sie nicht mehr an die von den meisten nur noch als unselig empfundene kommunistische Vergangenheit erinnern, hat in Chemnitz nicht nur der „Nischel“die Zeiten überdauert, sondern auch diese künstlerisch allenfalls mäßig überzeugende Doppelstatue. Tepper erörtert, wie es generell um Denkmäler als Medium und Produkt der Systemauseinandersetzung zu Zeiten des Kalten Krieges bestellt war, und vermittelt, wie es dazu kam, dass das, was quasi als „Nationaldenkmal“, als symbolische Überhöhung des Staatszentrums konzipiert wurde, „lediglich als bildkünstlerische Bestückung einer Bezirksstadt endete.“
Sachsens bedeutendster Wandmalereizyklus
Auch sonst ist das Spektrum an Themen in der reich illustrierten Publikation des Landesamtes für Denkmal breit gefächert. Wer mittelalterlicher Kunst etwas abgewinnen kann, wird vom Beitrag über die gotische Ausmalung der St. Just-kirche zu Kamenz ungemein entzückt sein. Es handelt sich „um den bedeutendsten Wandmalereizyklus in Sachsen“, sowohl nach Alter als auch nach Vollständigkeit und Erhaltungszustand, wobei die Gewölbekappen mit Engeln bemalt sind und an den Wänden die christliche Heilsbotschaft wiedergegeben ist. Es geht weniger um eine kunsthistorische Betrachtung, sondern vielmehr um die Entdeckung dieser Chorausmalung und die Schwierigkeiten ihrer Erhaltung.
An gartendenkmalpflegerischen Themen werden die Schlossparks von Rötha und von Tiefenau behandelt, die Schlösser selbst gibt es nicht mehr – sie wurden zu Ddr-zeiten abgerissen, wodurch die sächsische Kulturlandschaft einmal mehr unter der Ägide des Sozialismus um kunsthistorisch bedeutende wie geschichtsträchtige Orte ärmer wurde. Festgehalten wird u.a., dass nicht zuletzt der Röthaer Lustgarten Ausdruck eines anspruchsvollen Lebensstils und der Orientierung an der Dresdner höfischen Gartenkultur war, auch wenn er zunächst hinsichtlich seiner Gliederung und Gartenelemente, die dem üblichen Gestaltungskanon barocker Lustgarten entsprachen, „als wenig innovativ anzusehen ist.“Aber nicht zuletzt dank der Vielzahl der Skulpturen als auch ob des Vorhandenseins von drei großen Wasserbecken „mit Fontainen, die auf den hohen Anspruch der Gartenbesitzer verweisen“, habe der Röthaer Lustgarten „zweifelsohne Qualitäten“aufgewiesen, „die über jene viele anderer Gutsgärten im Kurfürstentum hinausreichten.“
In den Blick genommen wird auch die Schinkelwache am Dresdner Theaterplatz, die einerseits ein „Werk des Berliner Klassizismus“sei und in der sich wie auch bei der Neuen Wache in Berlin Schinkels Talent zeige, seine Bauten „in die Umgebung zu stellen.“Als Themen des 20. Jahrhunderts werden – neben den Gedenkstätten für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges – zudem das Historiengemälde im ehemaligen Lehrerseminar zu Frankenberg sowie die von Schilling & Graebner entworfene Leichenhalle auf dem Dresdner St. Pauli-friedhof aufgegriffen.
Der Industrie- und Verkehrsgeschichte Sachsens widmen sich Beiträge zum eisenbahnhistorischen Areal Chemnitz-hilbersdorf und den in Leipzig erhaltenen ältesten deutschen Bauten für die Luftfahrt. Ein Aufsatz behandelt die durch den Klimawandel steigende Bedeutung des Lichtschutzes für Kunst- und Kulturgut, informiert wird zudem über die für die regionale Geschichte wichtigen Zeugnisse der Kartengeschichte: die Viermeilenblätter der Oberlausitz, die im Kontext der damaligen politischen Verhältnisse und der anderen damals erfolgten Landesvermessung zu betrachten sind. Einfach war die Vermessung nicht gewesen – allein deshalb nicht, weil die Signalstangen, die man für die Triangulation aufstellte, oft gestohlen wurden und dadurch die Vermessungspunkte ihres Standortes verlustig gingen. Informationen über Veranstaltungen, Ausstellungen sowie Personalia runden dieses Jahrbuch inhaltlich ab.
Landesamt für Denkmalpflege (Hg.): Denkmalpflege in Sachsen. Jahrbuch 2019. Sandstein Verlag, 176 Seiten mit zahlreichen, meist farb. Abbildungen, 15 Euro, ISBN 978-3-95498-549-4