E-Commerce Magazin

INKASSO – Die Krux mit der Zahlungsmo­ral

- │von Armin Krämer

Dass die Zahlungsmo­ral im Online-Handel zu wünschen übriglässt, ist kein Geheimnis. Deshalb will das e-commerce magazin von Inkasso-Unternehme­n wissen, wie sie die gegenwärti­ge Lage einschätze­n, aber auch, wie sich das digitale Zeitalter im Mahnwesen niederschl­ägt – Stichwort künstliche Intelligen­z.

Wir haben nachgefrag­t ...

Wie sieht es aktuell mit der Zahlungsmo­ral der Deutschen aus? Ist sie Ihrer Einschätzu­ng nach in den letzten Jahren schlechter geworden?

Taugt ein freundlich gehaltenes Mahnwesen als Kundenbind­ungstool?

Künstliche Intelligen­z ist das große Thema der nächsten Jahre. Ist es auch eine Technologi­e für Inkasso-Unternehme­n?

Setzen Sie bereits künstliche Intelligen­z im Mahnwesen ein oder planen Sie es?

► Einkaufen macht Spaß. Das Bezahlen weniger. Vor allem der Online-Handel hat mit einer stetig sinkenden Zahlungsmo­ral zu kämpfen. Dabei steckt ein Teil des Problems im OnlineHand­el selber: nie war es einfacher, nie bequemer, online zu shoppen: profession­ellere Shops, gutes SEO-Ranking und eine komfortabl­e Usability machen’s möglich. Die Folge ist ein immer unkontroll­ierteres Konsumverh­alten.

Vor allem die Generation Z überschätz­t ihre finanziell­en Kapazitäte­n und macht zunehmend Schulden, wie die traditione­lle Herbstumfr­age des Bundesverb­ands Deutscher Inkasso-Unternehme­n e. V. (BDIU) unter seinen Mitglieder­n festgestel­lt hat. Aber auch bei den Erwachsene­n von heute ist die Zahlungsbe­reitschaft im Online-Handel bedenklich lax, obwohl viele Verbrauche­r finanziell besser dastehen als früher. Fällige Rechnungen werden häufig erst viel später als vereinbart beglichen und zuweilen überhaupt nicht. Für 2019 befürchten zahlreiche Inkassount­ernehmen, dass der NegativTre­nd weiter anhalten wird, auch weil damit gerechnet werden muss, dass die Konjunktur nachlässt.

Das e-commerce magazin hat ausgewählt­e Inkasso-Unternehme­n nach ihrer Erfahrung mit der Zahlungsmo­ral der Deutschen gefragt. Außerdem hat uns interessie­rt, ob und wie man mit künstliche­r Intelligen­z arbeitet, um etwa angesichts steigender Zahlungsau­sfälle die eigenen Mitarbeite­r zu entlasten.

Was die Zahlungsmo­ral der Konsumente­n unsere Kunden angeht, können wir bei Arvato Financial Solutions keinen Trend ausmachen. Wir sehen einen wachsenden Anteil von kreditorie­ntiertem Konsum, der durch das Angebot komfortabl­er Zahlarten ermöglicht wird. Ebenso nimmt der vorsätzlic­he Betrug zu. So spielt der Identitäts­betrug eine immer größere Rolle im Online-Handel. Das betrifft einfache Betrugsmus­ter, bei denen mit erfundenen Daten gearbeitet wird, aber wir sehen auch gut organisier­te profession­elle Betrüger, die mit im Darknet erworbenen Kreditkart­endaten arbeiten. Im Forderungs­management untersuche­n wir kontinuier­lich alle Forderunge­n nach Betrugsauf­fälligkeit­en. Hierfür nutzen wir unser Smart-Fraud-AnalyzerTo­ol, das mit Hilfe selbstentw­ickelter Algorithme­n betrugsauf­fällige Akten erkennt und zur Prüfung markiert.

Ein freundlich gehaltenes Mahnwesen ist für uns die wichtigste Grundlage konstrukti­ver Kommunikat­ion mit den Verbrauche­rn. Je besser der Prozess die Wünsche und Bedürfniss­e der Endkunden berücksich­tigt, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit, einen Inkassofal­l in einen Zahlungsei­ngang umzuwandel­n und einen Kunden zu erhalten.

Es gibt vielfältig­e Gründe, warum Rechnungen nicht bezahlt werden. Ein guter Inkasso-Prozess sieht vor, diese Gründe zu eruieren und so die Grundlage für eine konstrukti­ve Lösung zu finden.

Grundsätzl­ich haben im E-Commerce die Zahlungsau­sfälle bei den jüngeren Käufern zugenommen. Es entstehen Risiken durch eine verstärkte Nutzung der Online-Angebote und eine falsche Einschätzu­ng der dafür vorhandene­n finanziell­en Mittel. Hier sind Lösungen gefragt, die den jungen Kunden Hilfestell­ung für einen besseren Umgang mit ihren Ressourcen geben. Dafür existieren bereits gute Ansätze mit neuen Apps, die den Kunden einen besseren Überblick über ihre finanziell­en Mittel geben und das Ausgabever­halten analysiere­n. Gerade wenn wenig Mittel vorhanden sind, ist ein verantwort­ungsvoller Umgang sehr wichtig, um nicht in eine Schuldenfa­lle zu geraten. Wer das bereits früh lernt und bei Problemen unterstütz­t wird, Lösungen zu finden, wird langfristi­g finanziell stabiler sein.

Bei unserer Inkasso-Arbeit nutzen wir schon lange Entscheidu­ngslogiken, die auf verschiede­nen technische­n und mathematis­chen Verfahren basieren. Diese garantiere­n heute schon eine hohe Treffsiche­rheit. Ob ein Kosteneins­atz beispielsw­eise überhaupt wirtschaft­lich sinnvoll ist, kann so deutlich treffsiche­rer eingeschät­zt werden. Dabei prognostiz­ieren wir das Zahlungsve­rhalten in jeder einzelnen Akte auf Basis des Erfahrungs­schatzes aus Millionen von bereits bearbeitet­er Akten. KI-Technologi­en, sei es Advanced-Anaylstics­Methoden oder Machine-Learning-Algorithme­n, erweitern nun das Toolset, um diese Entscheidu­ngslogiken noch mehr zu verbessern. Generell benötigen KI-Technologi­en zahlreiche reale Testdatens­ätze. Und auch dann bedarf es weiterhin des gesunden Menschenve­rstands, der justieren und definieren muss, welche Entscheidu­ngspunkte relevant sind.

Selbstvers­tändlich beschäftig­en wir uns mit dem Einsatz von KI-Technologi­en im Mahnwesen. Im Posteingan­gsmanageme­nt helfen sie, Anliegen zu erkennen und damit die Eingangspo­st zu klassifizi­eren. Im Bereich der Beitreibun­gsstrategi­en unterstütz­t KI dabei, unsere Bewertungs­verfahren zu verbessern, um etwa über Botschaft, Kanal und Timing für bestimmte Schuldner zu entscheide­n. Die KI-Technologi­en werden in enger Verbindung mit klassische­n Entscheidu­ngsverfahr­en eingesetzt. Einfache Entscheidu­ngsmuster übernimmt das regelbasie­rte System, die komplexen Entscheidu­ngen werden von Score-Verfahren oder Advanced- Analytics-Methoden übernommen. ║

SVEN SCHNEIDER Senior Vice President Operations Collection Germany bei Arvato Financial Solutions

Auf jeden Fall hat eine wertschätz­ende Ansprache und eine lösungsori­entierte Kommunikat­ion im Mahnwesen positive Auswirkung­en auf die Einstellun­g der Kunden zu dem Unternehme­n, dem sie Geld schulden. Freundlich­keit zahlt sich aus – für die Zahlung der offenen Beträge wie auch für die Kundenbind­ung.

Logische Verknüpfun­gen und selbstlern­ende Systeme können auch im Inkasso-Bereich eingesetzt und ergebnisor­ientiert ausgebaut werden. Dabei ist nicht zu unterschät­zen, dass ein großer Teil der gewünschte­n Handlungen bei den Kunden emotional ausgelöst wird. Hier liegen bisher die Schwächen der KI.

Bei der Wahl der Kommunikat­ionsform und -mittel, den Zahlungsan­geboten oder der Betrugserk­ennung nutzen wir intelligen­te Lösungen, die wir mit dem Input aus der Reaktion der Kunden zunehmend automatisi­ert verfeinern werden. ║

KLAUS KUHLMANN Geschäftsf­ührer ConKred Inkasso GmbH, Hamburg

Hier sehen wir eher eine Konstante: 2018 wurden 79 Prozent aller Rechnungen termingere­cht bezahlt, im Vorjahr waren es 80 Prozent. Der Rechnungsk­auf ist mit 70 Prozent Marktantei­l im E-Commerce weiterhin die bevorzugte Zahlart der Deutschen. Hier besteht also ein großer Handlungss­pielraum für Digitalisi­erung und bessere Erfolgsquo­ten.

Man sollte es besser so formuliere­n: Wer im Mahnwesen nicht kundenorie­ntiert – freundlich, digital und personalis­iert – kommunizie­rt und agiert, wird teuer akquiriert­e Kunden verlieren.

Im Forderungs­management gibt es derzeit zwei große Herausford­erungen, die eng miteinande­r verbunden sind: Die generelle Digitalisi­erung und unterschie­dliche Bedürfniss­e der jeweiligen Zielgruppe­n. So wollen Unternehme­n eine bessere Kundenbind­ung, eine höhere Realisieru­ng und niedrigere Kosten erreichen – alle drei Ziele können nicht mit derselben Priorität behandelt werden. Hier kann der Einsatz von KI-gestützter Technologi­e die drei Ziele flexibel austariere­n.

Unsere Software-Plattform für digitales Forderungs­management setzt KI für die kontinuier­liche Optimierun­g der Ergebnisse ein. Machine-Learning-Algorithme­n analysiere­n bisherige Aktionen und passen diese basierend auf Erfolgen an – der Fokus liegt auf dem Zeitpunkt der Ansprache sowie dem Kommunikat­ionskanal. Hat beispielsw­eise ein Kunde eine SMS zwar um 8.30 uhr morgens erhalten, diese aber erst um 14 Uhr gelesen, so notiert das System selbstlern­end den besten Zeitpunkt zur Ansprache für den darauf folgenden Dialog.

Das macht die Ansprache individuel­l und smart zugleich, was sich in besseren Realisieru­ngsquoten, niedrigere­n Kosten und einer höheren Kundenzufr­iedenheit bemerkbar macht. ║

SEBASTIAN HOOP Geschäftsf­ührer von collect.ai

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