Kostenproblem Rücksendung: Jede Retoure ist eine zu viel
Der E-Commerce boomt – das ist die gute Nachricht. Doch mit der anhaltenden Nachfrage im Online-Geschäft steigt auch das Retouren-Aufkommen – das ist die schlechte Nachricht. Hinzu kommt der Trend hin zu Einzelbestellungen, was zu einer noch höheren Anzahl an Rücksendungen führt. Was Händler jetzt am besten tun sollten.
►Wer erinnert sich nicht an den eingängigen „Schrei vor Glück oder schick‘s zurück“-Slogan. Er machte den Modehändler Zalando bei einem breiten Publikum schlagartig bekannt. So einfach lässt sich das Retourenmanagement unter Marketingaspekten nutzen. Ebenso wichtig ist aber das Bewusstsein für die daraus resultierenden Kosten für Transport, Bearbeitung, Aufbereitung, Verwertung und den möglicherweise vorhandenen Wertverlust. Im Durchschnitt schlägt eine Retoure mit Vollkosten in Höhe von etwa 15 Euro zu Buche. Da jeder Artikel vor dem endgültigen Verkauf mehrfach versendet und retourniert werden kann, wirken sich Retouren-Kosten direkt auf das Unternehmensergebnis
aus. Dies gilt insbesondere für Sortimentskategorien mit sehr hohen Rücksendewahrscheinlichkeiten, Mode etwa und Schuhe, aber auch bei Warengruppen mit hohen Kostensätzen, etwa bei Elektronik und Möbeln. Doch dem Händler kann es ergehen wie Goethes Zauberlehrling: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“Deshalb gilt stets: zwischen der Kosten- und der Erlöswirkung des Retourenmanagements muss man weise abwägen. Das beschriebene Spannungsfeld spiegelt sich auch in institutionellen Zielkonflikten wider. Während es für die oftmals an Umsatz und Marktanteil gemessenen Organisationseinheiten Marketing und Vertrieb gar nicht liberal und kundenfreundlich genug sein kann, ist für die anhand der Kosten beurteilte Logistikabteilung jede Retoure eine zu viel.
Retourenmanagement immer wieder anpassen
In welche Richtung das Pendel ausschlägt, das heißt, wer über die besseren Argumente verfügt, hängt dabei maßgeblich von der jeweilig vorherrschenden Markt- und Wettbewerbssituation ab. Da sich das Marktumfeld stetig verändert, darf auch die Ausrichtung des Retourenmanagements nicht in Stein gemeißelt sein. Es muss stattdessen laufend aktiv hinterfragt und gegebenenfalls angepasst werden. Dies bezieht sich auch auf die Annahmen der genutzten Entscheidungsunterstützungssysteme. In der Vergangenheit legten es Kundenwertmodelle oftmals nahe, hohe Retourenkosten als Investitionen in die Kundenbindung zu verstehen. Langfristig zeichne
ten sie sich durch eine höhere Bestellfrequenz und/oder größere Warenkörbe aus. Allerdings zeigt die Realität, dass diese Annahmen zumindest zum Teil nicht mehr zutreffen.
Einzelbestellungen boomen
Bedingt durch Versandkosten-Flatrates, wie sie Amazon mit Prime oder Otto mit der Upgrade Lieferflat anbieten, und den zunehmenden Anteil spontaner Bestellungen über mobile Kanäle, steigt die Zahl der Einzelbestellungen. Die Folge: Sie belasten bisherige Mischkalkulationen und stellen sie grundsätzlich in Frage. Da ein Großteil der Kosten für Versand und Retoure pro versendetem Paket anfallen, reduziert sich der realisierte Deckungsbeitrag deutlich. Folgendes Zahlenbeispiel veranschaulicht dies: Angenommen, ein Händler verschickt eine Million Pakete, die im Mittel zwei Artikel mit einer Handelsmarge von je 20 Euro enthalten. Die Retourenquote von 50 Prozent führt zu 500.000 Rückendungen mit insgesamt einer Million Artikeln. Der Versand soll 5 Euro, der Rückversand 7.50 Euro pro Paket kosten. In diesem Szenario beträgt der realisierte Deckungsbeitrag.
Nettomarge (abzgl. Retouren) – Versandkosten – Retourenkosten = 1.000.000 x 20 € – 1.000.000 x 5 € – 500.000 x 7,50 € = 11.250.000 €
Im zweiten Szenario versendet der Händler bei sonst gleichbleibenden Parametern stattdessen zwei Millionen Einzelbestellungen. Der realisierte Deckungsbeitrag reduziert sich drastisch um fast 78 Prozent auf nur noch:
1.000.000 x 20 € – 2.000.000 x 5 € – 1.000.000 x 7,50 € = 2.500.000 €
Die Rechnung zeigt den offensichtlichen Rückgang der realisierten Deckungsbeiträge. Außerdem wird deutlich, dass die vermehrten Einzelbestellungen nicht nur zu einer größeren Anzahl an ausgehenden Sendungen, sondern auch zu mehr eingehenden Retourenpaketen führen. Sollte die vorhandene Kapazität nicht ausreichen, um diese zusätzlichen Paketmengen zu bewältigen, werden weitere Kosten fällig (zusätzlicher Flächenbedarf usw.). Im vorangegangenen Beispiel wurde dies noch gar nicht berücksichtigt. Dies bedingt die Frage, welche Ansätze E-Tailer im Retourenmanagement verfolgen können, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig und profitabel zu bleiben. In Anbetracht des aktuellen Marktumfelds drängen sich aus Sicht der Forschungsgruppe Retourenmanagement (www. retourenforschung.de) drei Handlungsfelder auf:
1. Verbraucherseitige Retourenbündelung ermöglichen und offensiv kommunizieren: Um aus einer Vielzahl an Einzelbestellungen nicht entsprechend viele Sendungsrückläufer werden zu lassen, ist es wichtig, dem Kunden die Möglichkeit einzuräumen, Artikel verschiedener Sendungen in einem Retourenpaket zusammenzufassen und gemeinsam zurückzuschicken. Sofern diese Möglichkeit besteht, sollte diese Option im Blick auf die positive Umweltwirkung offensiv kommuniziert werden, damit Kunden rege davon Gebrauch machen.
2. Konsequenter Einsatz von Lean Management im Retourenmanagement: Das Lean Management verfolgt das Ziel, den Wertstrom, zu dem auch das Retourenmanagement beiträgt, effizient zu gestalten. Es geht darum, Aktivitäten optimal aufeinander abzustimmen und Verschwendung jeglicher Art zu vermeiden. Sind die Prozesse effizienter gestaltet, ermöglicht dies niedrigere Stückkosten, die unabhängig von den aktuellen Entwicklungen die Kostenwirkung der Retouren reduzieren. Ansatzpunkte ergeben sich hierbei insbesondere in jenem Teil des Retourenmanagements, der nicht vom Kunden wahrgenommen wird, zum Beispiel die Nivellierung der Bearbeitungsprozesse.
3. Laufende kritische Selbstreflektion der Retourenpolitik und gegebenenfalls Anpassung: Wenn sich das Marktumfeld verändert, muss das Retourenmanagement darauf abgestimmt werden. Dies sollte eine interdisziplinäre Diskussion (Marketing, Vertrieb, Logistik) über den angemessenen Umgang mit Vielretournierern beinhalten. Oftmals ist ein kleiner Kundenteil für einen überproportionalen Anteil an Retouren verantwortlich. Zwar schrecken viele E-Tailer in Zeiten sozialer Netzwerke und Bewertungsportale vor Kontensperrungen zurück, doch zeigt der Erfolg des Branchenprimus Amazon seit Jahren, dass die Furcht vor der Verbraucherreaktion bei einer entsprechend offensiven und transparenten Kommunikation der Maßnahme unbegründet ist. Sobald den „guten“Kunden bewusst gemacht wird, dass sie dieses Verhalten über höhere Preise mitfinanzieren, endet die für einen Shitstorm notwendige Solidarität abrupt. Darüber hinaus müssen sich Anpassungen dabei nicht ausschließlich auf das Retourenmanagement beziehen. Beispielsweise hat Zalando in Italien erst kürzlich verkündet, für Bestellungen unter 25 Euro eine Versandpauschale von 3,50 Euro erheben zu wollen. Dies wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur zu weniger Einzelbestellungen, sondern ebenso zu weniger berechneten Retourenpaketen führen. ║