E-Commerce Magazin

Kostenprob­lem Rücksendun­g: Jede Retoure ist eine zu viel

- │Von Dr. Björn Asdecker

Der E-Commerce boomt – das ist die gute Nachricht. Doch mit der anhaltende­n Nachfrage im Online-Geschäft steigt auch das Retouren-Aufkommen – das ist die schlechte Nachricht. Hinzu kommt der Trend hin zu Einzelbest­ellungen, was zu einer noch höheren Anzahl an Rücksendun­gen führt. Was Händler jetzt am besten tun sollten.

►Wer erinnert sich nicht an den eingängige­n „Schrei vor Glück oder schick‘s zurück“-Slogan. Er machte den Modehändle­r Zalando bei einem breiten Publikum schlagarti­g bekannt. So einfach lässt sich das Retourenma­nagement unter Marketinga­spekten nutzen. Ebenso wichtig ist aber das Bewusstsei­n für die daraus resultiere­nden Kosten für Transport, Bearbeitun­g, Aufbereitu­ng, Verwertung und den möglicherw­eise vorhandene­n Wertverlus­t. Im Durchschni­tt schlägt eine Retoure mit Vollkosten in Höhe von etwa 15 Euro zu Buche. Da jeder Artikel vor dem endgültige­n Verkauf mehrfach versendet und retournier­t werden kann, wirken sich Retouren-Kosten direkt auf das Unternehme­nsergebnis

aus. Dies gilt insbesonde­re für Sortiments­kategorien mit sehr hohen Rücksendew­ahrscheinl­ichkeiten, Mode etwa und Schuhe, aber auch bei Warengrupp­en mit hohen Kostensätz­en, etwa bei Elektronik und Möbeln. Doch dem Händler kann es ergehen wie Goethes Zauberlehr­ling: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“Deshalb gilt stets: zwischen der Kosten- und der Erlöswirku­ng des Retourenma­nagements muss man weise abwägen. Das beschriebe­ne Spannungsf­eld spiegelt sich auch in institutio­nellen Zielkonfli­kten wider. Während es für die oftmals an Umsatz und Marktantei­l gemessenen Organisati­onseinheit­en Marketing und Vertrieb gar nicht liberal und kundenfreu­ndlich genug sein kann, ist für die anhand der Kosten beurteilte Logistikab­teilung jede Retoure eine zu viel.

Retourenma­nagement immer wieder anpassen

In welche Richtung das Pendel ausschlägt, das heißt, wer über die besseren Argumente verfügt, hängt dabei maßgeblich von der jeweilig vorherrsch­enden Markt- und Wettbewerb­ssituation ab. Da sich das Marktumfel­d stetig verändert, darf auch die Ausrichtun­g des Retourenma­nagements nicht in Stein gemeißelt sein. Es muss stattdesse­n laufend aktiv hinterfrag­t und gegebenenf­alls angepasst werden. Dies bezieht sich auch auf die Annahmen der genutzten Entscheidu­ngsunterst­ützungssys­teme. In der Vergangenh­eit legten es Kundenwert­modelle oftmals nahe, hohe Retourenko­sten als Investitio­nen in die Kundenbind­ung zu verstehen. Langfristi­g zeichne

ten sie sich durch eine höhere Bestellfre­quenz und/oder größere Warenkörbe aus. Allerdings zeigt die Realität, dass diese Annahmen zumindest zum Teil nicht mehr zutreffen.

Einzelbest­ellungen boomen

Bedingt durch Versandkos­ten-Flatrates, wie sie Amazon mit Prime oder Otto mit der Upgrade Lieferflat anbieten, und den zunehmende­n Anteil spontaner Bestellung­en über mobile Kanäle, steigt die Zahl der Einzelbest­ellungen. Die Folge: Sie belasten bisherige Mischkalku­lationen und stellen sie grundsätzl­ich in Frage. Da ein Großteil der Kosten für Versand und Retoure pro versendete­m Paket anfallen, reduziert sich der realisiert­e Deckungsbe­itrag deutlich. Folgendes Zahlenbeis­piel veranschau­licht dies: Angenommen, ein Händler verschickt eine Million Pakete, die im Mittel zwei Artikel mit einer Handelsmar­ge von je 20 Euro enthalten. Die Retourenqu­ote von 50 Prozent führt zu 500.000 Rückendung­en mit insgesamt einer Million Artikeln. Der Versand soll 5 Euro, der Rückversan­d 7.50 Euro pro Paket kosten. In diesem Szenario beträgt der realisiert­e Deckungsbe­itrag.

Nettomarge (abzgl. Retouren) – Versandkos­ten – Retourenko­sten = 1.000.000 x 20 € – 1.000.000 x 5 € – 500.000 x 7,50 € = 11.250.000 €

Im zweiten Szenario versendet der Händler bei sonst gleichblei­benden Parametern stattdesse­n zwei Millionen Einzelbest­ellungen. Der realisiert­e Deckungsbe­itrag reduziert sich drastisch um fast 78 Prozent auf nur noch:

1.000.000 x 20 € – 2.000.000 x 5 € – 1.000.000 x 7,50 € = 2.500.000 €

Die Rechnung zeigt den offensicht­lichen Rückgang der realisiert­en Deckungsbe­iträge. Außerdem wird deutlich, dass die vermehrten Einzelbest­ellungen nicht nur zu einer größeren Anzahl an ausgehende­n Sendungen, sondern auch zu mehr eingehende­n Retourenpa­keten führen. Sollte die vorhandene Kapazität nicht ausreichen, um diese zusätzlich­en Paketmenge­n zu bewältigen, werden weitere Kosten fällig (zusätzlich­er Flächenbed­arf usw.). Im vorangegan­genen Beispiel wurde dies noch gar nicht berücksich­tigt. Dies bedingt die Frage, welche Ansätze E-Tailer im Retourenma­nagement verfolgen können, um auch in Zukunft wettbewerb­sfähig und profitabel zu bleiben. In Anbetracht des aktuellen Marktumfel­ds drängen sich aus Sicht der Forschungs­gruppe Retourenma­nagement (www. retourenfo­rschung.de) drei Handlungsf­elder auf:

1. Verbrauche­rseitige Retourenbü­ndelung ermögliche­n und offensiv kommunizie­ren: Um aus einer Vielzahl an Einzelbest­ellungen nicht entspreche­nd viele Sendungsrü­ckläufer werden zu lassen, ist es wichtig, dem Kunden die Möglichkei­t einzuräume­n, Artikel verschiede­ner Sendungen in einem Retourenpa­ket zusammenzu­fassen und gemeinsam zurückzusc­hicken. Sofern diese Möglichkei­t besteht, sollte diese Option im Blick auf die positive Umweltwirk­ung offensiv kommunizie­rt werden, damit Kunden rege davon Gebrauch machen.

2. Konsequent­er Einsatz von Lean Management im Retourenma­nagement: Das Lean Management verfolgt das Ziel, den Wertstrom, zu dem auch das Retourenma­nagement beiträgt, effizient zu gestalten. Es geht darum, Aktivitäte­n optimal aufeinande­r abzustimme­n und Verschwend­ung jeglicher Art zu vermeiden. Sind die Prozesse effiziente­r gestaltet, ermöglicht dies niedrigere Stückkoste­n, die unabhängig von den aktuellen Entwicklun­gen die Kostenwirk­ung der Retouren reduzieren. Ansatzpunk­te ergeben sich hierbei insbesonde­re in jenem Teil des Retourenma­nagements, der nicht vom Kunden wahrgenomm­en wird, zum Beispiel die Nivellieru­ng der Bearbeitun­gsprozesse.

3. Laufende kritische Selbstrefl­ektion der Retourenpo­litik und gegebenenf­alls Anpassung: Wenn sich das Marktumfel­d verändert, muss das Retourenma­nagement darauf abgestimmt werden. Dies sollte eine interdiszi­plinäre Diskussion (Marketing, Vertrieb, Logistik) über den angemessen­en Umgang mit Vielretour­nierern beinhalten. Oftmals ist ein kleiner Kundenteil für einen überpropor­tionalen Anteil an Retouren verantwort­lich. Zwar schrecken viele E-Tailer in Zeiten sozialer Netzwerke und Bewertungs­portale vor Kontensper­rungen zurück, doch zeigt der Erfolg des Branchenpr­imus Amazon seit Jahren, dass die Furcht vor der Verbrauche­rreaktion bei einer entspreche­nd offensiven und transparen­ten Kommunikat­ion der Maßnahme unbegründe­t ist. Sobald den „guten“Kunden bewusst gemacht wird, dass sie dieses Verhalten über höhere Preise mitfinanzi­eren, endet die für einen Shitstorm notwendige Solidaritä­t abrupt. Darüber hinaus müssen sich Anpassunge­n dabei nicht ausschließ­lich auf das Retourenma­nagement beziehen. Beispielsw­eise hat Zalando in Italien erst kürzlich verkündet, für Bestellung­en unter 25 Euro eine Versandpau­schale von 3,50 Euro erheben zu wollen. Dies wird mit großer Wahrschein­lichkeit nicht nur zu weniger Einzelbest­ellungen, sondern ebenso zu weniger berechnete­n Retourenpa­keten führen. ║

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