Amazon für Einsteiger: Die zehn Gebote
Auf den ersten Blick sind die Hürden für einen Einstieg bei Amazon niedrig. Doch allzu arglos sollten Händler und Hersteller sich nicht auf den E-Commerce-Riesen einlassen.
Der Online-Marktplatz Amazon ist für Händler und Dienstleister eine Art tödliche Umarmung. Wer dort Präsenz zeigt, kann zwar in kürzester Zeit hohen Umsatz erwirtschaften. Doch ist der E-Commerce-Riese auch in der Lage, ganze Existenzen zu vernichten. Martin Himmel, Marktplatzexperte und Mitgründer der Unternehmensberatung ecom consulting, hat zehn Gebote für einen erfolgreichen und nachhaltigen Einstieg bei Amazon formuliert.
1. Gebot:
Wähle weise!/Wer über Amazon verkaufen will, muss sich entscheiden, ob er dies als Händler in Eigenregie tut oder Amazon nur mit seinem Sortiment beliefert. Beide Modelle bieten Vor- und Nachteile. Im Vendor-Modell wird Amazon preislich irgendwann die Daumenschrauben anziehen. Im Seller-Modell bleibt der Marktplatzpartner zwar Herr seines Sortiments und seiner Preise, muss jedoch auch relevante KPIs wie Liefertreue und Kundenzufriedenheit im Auge behalten. Gerade kleinere Händler sind oft nicht von heute auf morgen in der Lage, 20 bis 30 zusätzliche Pakete pro Tag abzuwickeln, die bis 14.00 Uhr bestellt werden können und um 16.00 Uhr zur Abholung bereitstehen müssen.
2. Gebot: Verzichte auf vergleichbare Sortimente/
Amazon funktioniert nur über die BuyBox. Doch die erobert man nicht mit Sortimenten, die schon Dutzende anderer Verkäufer auf Amazon anbieten. Zum Anfang eignen sich exklusive Produkte, Eigenmarken oder Produkt-Bundles, um der Vergleichbarkeit mit anderen Angeboten auf dem Amazon-Marktplatz zu entgehen und ein erstes Gespür für die Mechanismen des Marktplatzes zu entwickeln.
3. Gebot:
Kalkuliere sauber/Der Konkurrenzkampf auf Amazon ist gnadenlos. Umso wichtiger ist es, für sich selbst zu definieren, welche Preise auf Amazon leisten realistisch sind. Wer sich nicht selbst belügen will, muss in einer sauberen Kalkulation alle Kosten berücksichtigen und als Basis den Umsatz nach Retouren heranziehen.
4. Gebot: Taste dich langsam ans Marketing heran/
Mit den Amazon Marketing Services hält der Online-Marktplatz ein mächtiges Werbeinstrumentarium bereit. Doch wer kein Gefühl dafür hat, was funktioniert, verbrennt schnell unnötig viel Geld. Auch hier ist es ratsam, sich langsam an die Fülle an Möglichkeiten heranzutasten.
5. Gebot: Lagere keine A-Ware bei Amazon FBA ein/
Amazon Fulfillment erscheint auf den ersten Blick verführerisch, wird Marktplatzpartnern der komplette Logistikstress abgenommen. Allerdings gewähren die Partner Amazon damit auch Zugriff auf Produktinfos, Lieferantenbeziehungen, Artikelnummern bei Lieferanten und unter Umständen auch auf den Einkaufspreis. Diese Informationen kann Amazon mit den Verkaufszahlen abgleichen und Renner im Sortiment künftig selbst listen.
Deswegen sollten sich Marktplatzpartner für ihre A-Ware lieber für das Programm „Prime by Seller“qualifizieren, um Bestellungen in Eigenregie im Amazon-PrimeModus zu verschicken. Dadurch steigen zwar die Retourenquoten, aber auch der Umsatz um ein Vielfaches.
6. Gebot:
Du sollst persönliche Kontakte zu Amazon ehren/Amazon wird häufig dafür kritisiert, dass im Falle von Fragen oder Problemen nur schwer ein persönlicher Ansprechpartner zu erreichen sei. Deswegen sollten Händler alles daransetzen, zu ihrem Key-Account- oder Onboarding-Manager einen nachhaltigen und guten Kontakt aufzubauen, der auch über die erste Phase der Kooperation hinaus anhält.
7. Gebot: Schenke Amazon nicht alle Kundendaten/
Wer auf Amazon startet, muss sich bewusst sein: Die Kundendaten und den Kundenzugang verwaltet allein Amazon. Den Marktplatzpartnern ist es untersagt, ihre Amazon-Kunden erneut zu kontaktieren, um sie für einen zweiten oder dritten Sale zu motivieren. Doch beim ersten Sale ist ein Online-Kunde häufig nicht rentabel. Gerade für stationäre Händler ohne E-Commerce-Knowhow ist es daher sinnvoll, ihren Seller Account zu nutzen, um eigene E-Commerce-Expertise aufzubauen. Das Ziel muss sein, den Zugang zum Kunden Stück für Stück selbst zu kontrollieren – und sich nicht allein auf Amazon als Umsatzstandbein zu verlassen.
8. Gebot:
Automatisiere was geht/Der Preiskampf auf Amazon ist hoch, die Marge vernichtend gering. Wer seine Prozesse auf Amazon nicht hochgradig automatisiert – und zwar sowohl beim Versand der Ware als auch bei der Retourenabwicklung – wird auf Amazon kein Geld verdienen. Die Anschaffung von speziell für den Online-Handel entwickelten ERPLösungen (siehe Seite 19) macht sich hier schnell bezahlt.
9. Gebot: Baue inhouse digitale Kompetenzen auf/
Amazon ist als Plattform zu groß und zu wichtig, als dass ein Mitarbeiter allein diese Aufgabe bewältigen könnte. Ein Amazon-Team sollte mindestens zwei bis drei Mitarbeiter umfassen, damit auch in Urlaubs- und Krankheitsfällen ein Ansprechpartner greifbar ist.
10. Gebot:
Ignoriere keine KPIs/KPIs wie Liefertreue und Kundenzufriedenheit sind nicht nur relevant für den Sprung in die Buybox. Wer sie ignoriert, riskiert auch die Sperrung des eigenen Amazon-Accounts. Eine Sperrung ist schneller vollzogen als gedacht.
Generell gilt: Ein Patentrezept für eine erfolgreiche Präsenz auf Amazon gibt es nicht. Jedes Unternehmen muss selbst herausfinden, wo die Stellschrauben für mehr Ertrag liegen – und diese kontinuierlich optimieren. Dann ist Amazon zwar noch immer mit Vorsicht zu genießen, aber nicht mehr tödlich. ║