Der Retourenwahnsinn
Die Textilindustrie produziert unter umweltschädigenden Bedingungen. Zudem ist sie stark globalisiert, was die Umsetzung nachhaltiger Konzepte erschwert. Massen an Kleidung werden zu Dumping-Preisen produziert, um kurze Zeit später im Müll zu landen. Es gibt jedoch Möglichkeiten, bewusster zu wirtschaften – etwa die Eindämmung von Retouren durch detaillierte Angaben zu Größe und Passform.
► Heike B. ordert einen Blazer im Internet. Um die richtige Passform zu finden, bestellt sie das Modell gleich zweimal. Das Passende behält sie, das andere wird zurückgeschickt. Kostet ja nichts. In keinem anderen europäischen Land werden so viele Waren zurückgeschickt wie in Deutschland. Die Textilbranche trifft es hart: Laut EHI Retail Institute geht jedes zweite Kleidungsstück zurück. Oft liegt es an der schlechten Passform. Auch Farbe und Material entsprechen häufig nicht den Erwartungen. Oder es werden absichtlich mehr Teile zur Auswahl geordert. Dabei kommt es immer wieder vor, dass retournierte Ware schon getragen ist. Vor allem bei Kleidungsstücken für bestimmte Anlässe, etwa der Smoking fürs Gala-Dinner, erleben Online-Händler solche Praktiken. Aber auch die Abwicklung „normaler“Retouren ist mit Aufwand verbunden. Mitarbeiter müssen zur Prüfung und Qualitätskontrolle zurückgesendeter Artikel abgestellt und geschult werden.
Hohe Umweltbelastung
Vor allem aber die Umwelt leidet. Mit der steigenden Beliebtheit des Online-Shoppings nehmen Verkehr und CO2-Emissionen ohnehin zu. Durch die zahlreichen Rücksendungen verschärft sich die Situation noch weiter. Hinzu kommt, dass Kleidung grundsätzlich immer kürzer getragen wird. Nicht nur Fast-FashionKetten – die gesamte Branche ist darauf ausgelegt, immer wieder Neues zu produzieren. Zwischen 2002 und 2015 hat sich die Zahl der pro Jahr gekauften Kleidungsstücke verdoppelt. Es gibt zu viel und zu billige Kleidung. Umso schneller werden ältere Sachen ausgemistet, und die meisten von ihnen (85 Prozent) landen im Müll. Zudem sind die Kosten der Textilproduktion in den letzten 20 Jahren massiv gesunken. Zu Lasten der meist schlecht bezahlten Arbeiterinnen – und der Umwelt. Pestizide und Insektizide in der Baumwollherstellung, massive CO2Emissionen, ein extrem hoher Wasserverbrauch – bei der Herstellung eines T-Shirts fallen 2.400 Liter Frischwasser an und entsprechende Mengen an Abwasser. Bei der Produktion einer Jeans sind es sogar 8.000 Liter Wasser.
Starre Prozessketten
Daran etwas zu ändern, etwa das Sortiment auf Öko-Produktion umzustellen, ist leichter gesagt als getan. Derzeit wird nur ein einziges Prozent der weltweiten Baumwollernte mit Bio-Zertifikat produziert. Daher handelt es sich bei den Öko-Labels vorrangig um Nischenmarken – für große Lieferanten ist das Risiko von Versorgungsengpässen zu groß. Erschwert werden nachhaltige Ansätze auch dadurch, dass die Branche stark globalisiert ist: Rohstoffanbaugebiete, Garn- und Stoffherstellung, die Produktion der Kleidung und schließlich die Käufermärkte sind über die ganze Welt verstreut. Neben langen und ökologisch belastenden Transportwegen steht die Vielzahl an Zwischenhändlern und Vermittlern und die unklaren Verantwortlichkeiten einem nachhaltigen Wirtschaften auf den Vorstufen im Weg.
Zudem optimiert jedes Unternehmen seine eigenen Prozesse. Von einem nachhaltigeren Wirtschaften würde nicht nur die Umwelt profitieren, sondern auch die Textilindustrie selbst. Denn mittelständische Händler wie Online-Retailer, Einzelhändler vor Ort oder Filialisten haben wenig Einfluss auf die vorgelagerten Stufen. Um attraktiv für ihre Kunden zu bleiben, müssen sie mehrmals pro Saison eine breite Produktpalette vorhalten. Dabei wissen sie nie, welche Artikel gut gehen und welche liegen bleiben. Auch ihre Möglichkeiten, die Ladenhüter an die Lieferanten zu retournieren, sind begrenzt.
Nachhaltige Ansätze
Mit nachhaltigen Ansätzen – etwa einem durchdachten Retouren-Management – lassen sich solche wirtschaftlichen Zwänge teilweise abbauen: Detaillierte Angaben, Größentabellen und OnlineTools, die Kunden beim Finden der optimalen Passform helfen, tragen dazu bei. Je intensiver sich der Online-Käufer mit einem Kleidungsstück auseinandersetzen kann, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er es wieder zurückschickt. Bei DePauli etwa werden Retouren wiederaufbereitet. Nur defekte Ware entsorgt eine Fachfirma. Das entspricht dem nachhaltigen Denken des Unternehmens, auch wenn es wirtschaftlich oft nicht sinnvoll ist.
Neben dem Retouren-Management können Fashion-Anbieter auch beim Umgang mit Verpackungen einiges tun. Beispielsweise werden Verpackungskartons nicht bedruckt und bestehen größtenteils aus Recycling-Material. Altes Verpackungsmaterial wird wiederverwendet. Unternehmen können ihre Lieferanten zudem dazu bewegen, Einzelartikel ohne Verpackung oder in Recycling-PapierHüllen zu versenden. „Nachhaltig sein“fängt aber im eigenen Unternehmen an. Das beginnt in der Logistik mit der Anschaffung von Elektro-Fahrzeugen. Aber auch die interne Kommunikation können Unternehmen umweltbewusst gestalten. Sie läuft dann möglichst über elektronische Wege. Wenn gedruckt wird, dann nur zweiseitig. Auch DePauli setzt auf diese Grundregeln. Das Firmengebäude ist energetisch saniert und wird mit Grundwasserpumpen beheizt, mit denen cirka 200.000 Liter Heizöl pro Jahr eingespart werden können. Die Mitarbeiter sind zudem angehalten, die Suchmaschine “ecosia.org” zu nutzen, die mit ihren Einnahmen Bäume in ökologisch geschädigten Gegenden pflanzt. Unternehmen, die sich aktiv für den Wandel in der Modebranche einsetzen, bietet die Amsterdamer Nachhaltigkeits-Initiative Fashion for Good die Möglichkeit. Hier stellen Startups ihre Ideen für mehr Nachhaltigkeit in der Modewelt vor. ║