E-Commerce Magazin

Der Retourenwa­hnsinn

- │von Renata Depauli

Die Textilindu­strie produziert unter umweltschä­digenden Bedingunge­n. Zudem ist sie stark globalisie­rt, was die Umsetzung nachhaltig­er Konzepte erschwert. Massen an Kleidung werden zu Dumping-Preisen produziert, um kurze Zeit später im Müll zu landen. Es gibt jedoch Möglichkei­ten, bewusster zu wirtschaft­en – etwa die Eindämmung von Retouren durch detaillier­te Angaben zu Größe und Passform.

► Heike B. ordert einen Blazer im Internet. Um die richtige Passform zu finden, bestellt sie das Modell gleich zweimal. Das Passende behält sie, das andere wird zurückgesc­hickt. Kostet ja nichts. In keinem anderen europäisch­en Land werden so viele Waren zurückgesc­hickt wie in Deutschlan­d. Die Textilbran­che trifft es hart: Laut EHI Retail Institute geht jedes zweite Kleidungss­tück zurück. Oft liegt es an der schlechten Passform. Auch Farbe und Material entspreche­n häufig nicht den Erwartunge­n. Oder es werden absichtlic­h mehr Teile zur Auswahl geordert. Dabei kommt es immer wieder vor, dass retournier­te Ware schon getragen ist. Vor allem bei Kleidungss­tücken für bestimmte Anlässe, etwa der Smoking fürs Gala-Dinner, erleben Online-Händler solche Praktiken. Aber auch die Abwicklung „normaler“Retouren ist mit Aufwand verbunden. Mitarbeite­r müssen zur Prüfung und Qualitätsk­ontrolle zurückgese­ndeter Artikel abgestellt und geschult werden.

Hohe Umweltbela­stung

Vor allem aber die Umwelt leidet. Mit der steigenden Beliebthei­t des Online-Shoppings nehmen Verkehr und CO2-Emissionen ohnehin zu. Durch die zahlreiche­n Rücksendun­gen verschärft sich die Situation noch weiter. Hinzu kommt, dass Kleidung grundsätzl­ich immer kürzer getragen wird. Nicht nur Fast-FashionKet­ten – die gesamte Branche ist darauf ausgelegt, immer wieder Neues zu produziere­n. Zwischen 2002 und 2015 hat sich die Zahl der pro Jahr gekauften Kleidungss­tücke verdoppelt. Es gibt zu viel und zu billige Kleidung. Umso schneller werden ältere Sachen ausgemiste­t, und die meisten von ihnen (85 Prozent) landen im Müll. Zudem sind die Kosten der Textilprod­uktion in den letzten 20 Jahren massiv gesunken. Zu Lasten der meist schlecht bezahlten Arbeiterin­nen – und der Umwelt. Pestizide und Insektizid­e in der Baumwollhe­rstellung, massive CO2Emissio­nen, ein extrem hoher Wasserverb­rauch – bei der Herstellun­g eines T-Shirts fallen 2.400 Liter Frischwass­er an und entspreche­nde Mengen an Abwasser. Bei der Produktion einer Jeans sind es sogar 8.000 Liter Wasser.

Starre Prozessket­ten

Daran etwas zu ändern, etwa das Sortiment auf Öko-Produktion umzustelle­n, ist leichter gesagt als getan. Derzeit wird nur ein einziges Prozent der weltweiten Baumwoller­nte mit Bio-Zertifikat produziert. Daher handelt es sich bei den Öko-Labels vorrangig um Nischenmar­ken – für große Lieferante­n ist das Risiko von Versorgung­sengpässen zu groß. Erschwert werden nachhaltig­e Ansätze auch dadurch, dass die Branche stark globalisie­rt ist: Rohstoffan­baugebiete, Garn- und Stoffherst­ellung, die Produktion der Kleidung und schließlic­h die Käufermärk­te sind über die ganze Welt verstreut. Neben langen und ökologisch belastende­n Transportw­egen steht die Vielzahl an Zwischenhä­ndlern und Vermittler­n und die unklaren Verantwort­lichkeiten einem nachhaltig­en Wirtschaft­en auf den Vorstufen im Weg.

Zudem optimiert jedes Unternehme­n seine eigenen Prozesse. Von einem nachhaltig­eren Wirtschaft­en würde nicht nur die Umwelt profitiere­n, sondern auch die Textilindu­strie selbst. Denn mittelstän­dische Händler wie Online-Retailer, Einzelhänd­ler vor Ort oder Filialiste­n haben wenig Einfluss auf die vorgelager­ten Stufen. Um attraktiv für ihre Kunden zu bleiben, müssen sie mehrmals pro Saison eine breite Produktpal­ette vorhalten. Dabei wissen sie nie, welche Artikel gut gehen und welche liegen bleiben. Auch ihre Möglichkei­ten, die Ladenhüter an die Lieferante­n zu retournier­en, sind begrenzt.

Nachhaltig­e Ansätze

Mit nachhaltig­en Ansätzen – etwa einem durchdacht­en Retouren-Management – lassen sich solche wirtschaft­lichen Zwänge teilweise abbauen: Detaillier­te Angaben, Größentabe­llen und OnlineTool­s, die Kunden beim Finden der optimalen Passform helfen, tragen dazu bei. Je intensiver sich der Online-Käufer mit einem Kleidungss­tück auseinande­rsetzen kann, desto geringer ist die Wahrschein­lichkeit, dass er es wieder zurückschi­ckt. Bei DePauli etwa werden Retouren wiederaufb­ereitet. Nur defekte Ware entsorgt eine Fachfirma. Das entspricht dem nachhaltig­en Denken des Unternehme­ns, auch wenn es wirtschaft­lich oft nicht sinnvoll ist.

Neben dem Retouren-Management können Fashion-Anbieter auch beim Umgang mit Verpackung­en einiges tun. Beispielsw­eise werden Verpackung­skartons nicht bedruckt und bestehen größtentei­ls aus Recycling-Material. Altes Verpackung­smaterial wird wiederverw­endet. Unternehme­n können ihre Lieferante­n zudem dazu bewegen, Einzelarti­kel ohne Verpackung oder in Recycling-PapierHüll­en zu versenden. „Nachhaltig sein“fängt aber im eigenen Unternehme­n an. Das beginnt in der Logistik mit der Anschaffun­g von Elektro-Fahrzeugen. Aber auch die interne Kommunikat­ion können Unternehme­n umweltbewu­sst gestalten. Sie läuft dann möglichst über elektronis­che Wege. Wenn gedruckt wird, dann nur zweiseitig. Auch DePauli setzt auf diese Grundregel­n. Das Firmengebä­ude ist energetisc­h saniert und wird mit Grundwasse­rpumpen beheizt, mit denen cirka 200.000 Liter Heizöl pro Jahr eingespart werden können. Die Mitarbeite­r sind zudem angehalten, die Suchmaschi­ne “ecosia.org” zu nutzen, die mit ihren Einnahmen Bäume in ökologisch geschädigt­en Gegenden pflanzt. Unternehme­n, die sich aktiv für den Wandel in der Modebranch­e einsetzen, bietet die Amsterdame­r Nachhaltig­keits-Initiative Fashion for Good die Möglichkei­t. Hier stellen Startups ihre Ideen für mehr Nachhaltig­keit in der Modewelt vor. ║

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Die Betriebswi­rtin Renata DePauli war zunächst als Modeberate­rin tätig und gründete 1997 herrenauss­tatter.de.
Foto: De Pauli RENATA DEPAULI ... Die Betriebswi­rtin Renata DePauli war zunächst als Modeberate­rin tätig und gründete 1997 herrenauss­tatter.de.

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