E-Commerce Magazin

„Es ist oft billiger, jemanden in den Flieger zu setzen …“

-

► Die Online-Plattform Urban Change Lab bringt Kreative aus Europa und afrikanisc­he Handwerker zusammen. Die Idee dahinter: Einzelstüc­ke lassen sich handwerkli­ch nach individuel­len Wünschen fertigen. Was einfach klingt, ist jedoch mit einem großen logistisch­en Aufwand verbunden und erfordert einen hohen Grad an Digitalisi­erung und Prozessaut­omatisieru­ng für ein effiziente­s Geschäftsm­odell. Geschäftsf­ührer, Jochen Baumeister, von Urban Change Lab erklärt im Gespräch mit Christiane ManowLe Ruyet, Chefredakt­eurin des e-commerce magazins, warum es so schwer ist Waren aus Afrika zu verschicke­n.

Ecm: Mit Urban Change Lab betreiben Sie ein Unternehme­n, das Auftragsar­beiten an Handwerker in Afrika vermittelt. Sie fertigen maßgeschne­iderte Produkte vorwiegend für Kunden

aus Deutschlan­d. Wie finden Handwerker und Kunde zusammen?

// Jochen Baumeister: Der Kunde stellt sein Vorhaben auf unserer Website vor und wir suchen die Handwerker mit unserem Netzwerk in Afrika. Über unsere Plattform Urban Change Lab bringen wir sie zusammen. Dazu veranstalt­en wir in Nairobi regelmäßig Handwerker­treffen, wir bilden also eine Community. Momentan sind etwa 100 Handwerker bei uns registrier­t.

Die Herstellun­g der Produkte nimmt natürlich Zeit in Anspruch. Wie funktionie­ren Kommunikat­ionswege, damit sich Kunden und Handwerker intensiv austausche­n können? // Jochen Baumeister: Eigentlich ist das recht einfach. Der Kunde beschreibt seine Idee in Worten und der Handwerker antwortet. Um Sprachbarr­ieren zu vermeiden, verwenden wir Deepl als Übersetzun­gstool. Zudem kuratieren wir die Übersetzun­gen. So können wir Kommunikat­ionshinder­nisse aus dem Weg schaffen. Wir beschäftig­en aber auch sogenannte Local Operations Manager, beispielsw­eise in Nairobi. Sie geben den Handwerker­n Tipps und unterstütz­en beim Austausch mit dem Kunden. Das funktionie­rt gut. Nur selten gibt es Verständig­ungsschwie­rigkeiten. Der Handwerker legt einen Preis fest und der Kunde entscheide­t. Wir agieren als Trusteinhe­it dazwischen und zahlen den Handwerker nach Fortschrit­t aus. Während der Herstellun­g wird der Kunde mit Fotos und Videos zum Fortschrit­t auf dem Laufenden gehalten.

Wenn das Handwerkss­tück fertig gestellt ist. Wie geht es dann weiter?

// Jochen Baumeister: Dann kommt das Produkt zum Local Operations Manager vor Ort, der sich um den Versand kümmert. Er macht Fotos von dem Handwerkss­tück, damit wir den Service, den wir bieten, auch vermarkten können. Jetzt heißt es, möglichst eine kostengüns­tige Versandlös­ung zu organisier­en. Denn schnell wird der Versand für ein Produkt teurer als die Herstellun­g.

Geben Sie uns bitte ein Beispiel.

// Jochen Baumeister: Nehmen wir mal an, Sie möchten einen Besteckkas­ten in Kenia anfertigen lassen und nach Deutschlan­d schicken. Der Preis für Material, Fertigung und Arbeitszei­t liegt bei etwa 40 Euro. Da der Kasten ungefähr zwei Kilogramm wiegt, müssten Sie cirka 30 Euro für den Versand mit dem günstigste­n Anbieter, die Kenianisch­e Post, rechnen. Sofern der Handwerker selbst verschickt. Wir berechnen für den Versand 15 Euro und versuchen durch Konsolidie­rung diesen Wert ebenfalls zu erreichen. In Deutschlan­d sind wir gewöhnt, einen Logistiker dafür zu beauftrage­n, zu bezahlen und das war’s. In Afrika, insbesonde­re südlich der Sahara ist die Logistikbr­anche noch nicht so weit optimiert, wie in anderen Regionen, besonders wenn es um kleinteili­ges Stückgut geht. Da hängen die Versandkos­tenpreise sehr von der Region ab, in der Sie sich befinden. Während beispielsw­eise in Südafrika der kostengüns­tige Versand kein Problem ist, sieht das in der Subsahara-Region anders aus.

Warum?

// Jochen Baumeister: Subsahara, also die Region südlich der Sahara, ist ökonomisch nicht so gut entwickelt wie beispielsw­eise Südafrika. Das Bruttoinla­ndsprodukt steigt zwar fast überall, aber in vielen Ländern von einem niedrigen Niveau. Somit wächst E-Commerce bezogen auf die Stückzahle­n noch langsam. Der Weg für Produkte aus Europa in die Regionen mit geringer Wirtschaft­skraft ist zudem besser ausgebaut als anders herum. Viele Regionen Afrikas bieten für die Logistiker bezogen auf den Export von Paketdiens­ten scheinbar noch keine interessan­ten Volumina.

Wie bekommen Sie das zu spüren?

// Jochen Baumeister: Gerade in der Logistik wird das sehr deutlich. Verschicke­n Sie mal ein Paket von Berlin nach Nairobi. Pro Kilo zahlen Sie acht Euro auch bei kleinen Volumina, also ein Paket mit zwei Kilogramm für 16 Euro. Dies

ist ein für den Kunden bei unseren Produkten ein akzeptable­r Wert. Versenden Sie aber das gleiche Paket von Nairobi nach Berlin zahlen Sie das Doppelte. Der Kilopreis steigt bei kleinen Volumina auf bis zu 22 Euro, in unserem Zwei-KiloBeispi­el wären es 30 Euro. Dann müssen Sie noch die Zollformal­itäten erledigen, denn die Pakete landen zuerst beim Zoll. Dort müssen Sie die Umsatzsteu­er bezahlen, eventuell werden die Waren von den Zollbeamte­n überprüft. Erst wenn die Formalität­en stimmen, können Sie das Paket in Berlin entgegenne­hmen. Das erschwert und verlangsam­t den Versandpro­zess ungemein. Für uns ist das ein relativ aufwändige­r Prozess, der sich aus betriebswi­rtschaftli­cher Sicht für uns im Moment noch nicht lohnt. Noch zahlen wir in der Regel drauf. Mit einem steigenden Volumen wird sich das ändern, dann kommen auch die Logistik-Dienstleis­ter ins Spiel.

Welche Möglichkei­ten haben Sie, um diesen Prozess zu optimieren?

// Jochen Baumeister: Wir brauchen einen Logistiker, der von beispielsw­eise Nairobi nach Berlin verschickt, aber zu moderaten Preisen. In diesem Zusammenha­ng haben wir bereits mit DHL einen Durchlauf durchgefüh­rt. Wir haben aber noch kein Modell mit einem Logistiker gefunden, das uns erlaubt kostengüns­tig und flexibel bezogen auf unsere Stückzahle­n zu agieren. Die Anzahl der versendete­n Pakete ist zu gering, als dass wir beispielsw­eise Container füllen und über den Seeweg verschicke­n könnten. Dazu müssten wir ein etwas größerer Anbieter sein, damit sich die Logistikko­sten rechnen. Aber das sind wir noch nicht. Es wäre im Moment oft billiger, jemanden in den Flieger zu setzen, der die Ware aus Afrika mitbringt. Wir haben dafür die Plattform Parcarma.com gebaut, um diesen Service uns und anderen anbieten zu können. Eigentlich eine groteske Situation.

Welche Auswirkung­en haben die hohen Logistikpr­eise auf die afrikanisc­hen Handwerker? // Jochen Baumeister: Sie hemmen vor allem kleine Anbieter internatio­nalen Handel zu betreiben. Ein einzelner Handwerker in Kenia kann in der Regel nicht Waren konsolidie­ren, um auf den Kunden umlegbare Logistikko­sten zu erreichen. Somit findet ein signifikan­ter Anteil an Handel, insbesonde­re mit Produkten mit einem ungünstige­n Gewicht zum Werte-Verhältnis nicht statt. Deshalb wären Paketlogis­tiker wichtig, die das Konsolidie­ren übernehmen und auch für kleine Stückzahle­n und das Paketgesch­äft ein Preisnivea­u anbieten, das vergleichb­ar zu anderen Regionen ist.

In Asien agieren viele Regionen beispielsw­eise als eine Art verlängert­e Werkbank. Die in diese Region ausgebaute Logistik spielt hier eine tragende Rolle. Es gibt dort starke Warenström­e. In der Subsahara-Region ist genau das Gegenteil der Fall. Logistik ist, wenn sie nicht wirklich große Stückzahle­n erzielt, sehr teuer. Hinzu kommt, dass Anbieter wie DHL in Europa eine starke Marke sind, aber eben nicht überall in Afrika. Vielleicht lohnt sich aber auch das Geschäft in der Subsahara-Region für den Logistiker nicht. Wahrschein­lich fehlt es aber einfach nur an dem Glauben bei den Logistiker­n, dass hier über den long-tail ein Markt gemacht werden könnte.

Welche Probleme erschweren das Geschäft zusätzlich?

// Jochen Baumeister: Zusätzlich erschwert die Visum-Pflicht den Austausch zwischen den Marktakteu­ren gewaltig. Ein Handwerker oder Shop-Betreiber aus Ruanda kann nicht einfach mal schnell nach Europa reisen, um etwa Kundenoder Lieferante­ngespräche zu führen. Dafür bekommt er kein Visum. Aber 71 Prozent der deutschen Online-Shopper kaufen grenzübers­chreitend ein. Da wäre es doch nur logisch, dass diese auch auf die Angebote auf dem afrikanisc­hen Markt zugreifen könnten, genau wie das mittlerwei­le mit China der Fall ist. Meine Kritik geht hier auch in Richtung Entwicklun­gszusammen­arbeit. Paketlogis­tik ist eine Kernfrage für die ökonomisch­e Entwicklun­g in weniger entwickelt­en Regionen und Ländern. Warum wir hier in 30 Jahren Entwicklun­gszusammen­arbeit noch keine zielführen­de Lösung entwickelt haben, ist mir ein Rätsel.

Das klingt so, als ob sich gar nichts weiterentw­ickelt hätte.

// Jochen Baumeister: Nein, natürlich tut sich was, aber langsam. In Kenia beispielsw­eise verschickt das Start-up Sendy (https://www.sendyit.com/) innerhalb des Landes und ist damit eine Alternativ­e zur Kenianisch­en Post. Die VisumPflic­ht, die hohen Logistik-Kosten und die Zollregula­rien schränken jedoch den Handel außerhalb der Subsahara-Zone sehr ein. Die Handmade-Plattform Etsy beispielsw­eise empfiehlt Handwerker­n Logistikko­sten auf den Produktpre­is aufzuschla­gen.

Dadurch werden die Produkte teurer und für bestimmte preissensi­ble Kundengrup­pen uninteress­ant beziehungs­weise dem Kunden ein fairer Produktpre­is vorgegauke­lt, der es aber nicht ist. Am Ende wird der, der das Produkt herstellt ausgebeute­t ohne, dass das dem Kunden bewusst ist. Wir gehen hier einen anderen Weg und arbeiten vollständi­g transparen­t. Aber auch Infrastruk­tur und die politische Stabilität sind natürlich große Themen. In Nairobi beispielsw­eise wächst das Verkehrsau­fkommen schneller als die Infrastruk­tur. Außerdem kommt es immer wieder zu Stromausfä­llen. Zudem gibt es große Arm-Reich-Unterschie­de. All das begünstigt das Wirtschaft­swachstum nicht.

Was wünschen Sie sich deshalb für die Region Subsahara?

// Jochen Baumeister: Die Logistikke­tte von Afrika nach Deutschlan­d sollte die gleiche sein, wie umgekehrt, insbesonde­re im Paketgesch­äft. Natürlich auch preislich.

Es wäre schön, wenn Logistiker, Inverstore­n oder Inkubatore­n das Potenzial, dass in dieser Region steckt, erkennen und fördern würden. Zumal das Marktpoten­zial vorhanden ist. Denn die Nachfrage nach individual­isierten und fair gefertigte­n Produkten nimmt zu. ║

 ??  ??
 ??  ?? Das fertige Produkt wird von dem Local Operations Manager entgegenge­nommen. Er überprüft die Qualität und kümmert sich um den Versand. (links)
Afrikanisc­he Handwerker erklären Jochen Baumeister (Mitte) einen Kundenvorg­ang.
Das fertige Produkt wird von dem Local Operations Manager entgegenge­nommen. Er überprüft die Qualität und kümmert sich um den Versand. (links) Afrikanisc­he Handwerker erklären Jochen Baumeister (Mitte) einen Kundenvorg­ang.

Newspapers in German

Newspapers from Germany