E-Commerce Magazin

TITELGESCH­ICHTE: HYPE ODER HILFE?

Der Checkout-Prozess ist einer der entscheide­nden Erfolgsfak­toren für Händler – ganz egal, ob nun stationär am Point-of-Sale (PoS) oder online. Und doch verlieren viele Shopbetrei­ber genau hier eine Vielzahl ihrer Kunden. Was also tun?

- MIRKO HÜLLEMANN ... ...ist Gründer und CEO der Heidelpay Group.

► Eine Umfrage des Baymard Institute zeigt, dass rund 70 Prozent aller Kunden ihren Einkauf in der Checkout-Umgebung abbrechen. Dabei wird doch hier letztlich das Geschäft gemacht. Marketing-Konzepte und Business-Modelle können da noch so überzeugen­d sein; wenn der Kunde zum Finale hin abspringt, dann ist das schlichtwe­g bitter. Noch mehr: Besorgnise­rregend! Das Ganze ist eine simple Frage der Kausalität, also Ursache und Wirkung. Das Problem mit den teilweise hohen Abbruchrat­en – im Fachjargon auch gerne als BounceRate bezeichnet – ist oft hausgemach­t und daher vermeidbar. Ein Lösungsans­atz wäre, die Optimierun­gspotenzia­le im Checkout-Prozess zu identifizi­eren und nachzubess­ern.

Das Payment-Setup – Wichtig für’s Ergebnis

Ein erfolgreic­hes E-Commerce-Management definieren heute längst nicht mehr allein Preis und Angebot. Zumindest nicht mehr ausschließ­lich. Auch weiche Faktoren, wie der PaymentPro­zess, sind mittlerwei­le relevant. Händler sollten sich daher bei der Auswahl möglicher Payment-Methoden unbedingt am Kunden und der potenziell­en Zielgruppe orientiere­n und die Gewohnheit­en sowie Vorlieben adaptieren. Die perfekte und emotionale Customer-Journey muss in all ihren Facetten bis ins letzte Detail überzeugen. Sie umfasst neben der User-Experience und der Usability auch den Pre- sowie den After-Sales-Prozess. Dazu muss ich mich als Händler zu 100 Prozent auf meinen Kunden fokussiere­n. Was will der Kunde? Was braucht der Kunde? Am besten noch bevor er selbst weiß, was er will oder braucht.

Mittlerwei­le steht und fällt die Erlebnisre­ise mit einem gut aufgesetzt­en Payment-Setup. Laut der Studie Einkaufswe­lten 2017 reagieren immerhin weit mehr als zwei Drittel der deutschen (Online-)Shopper (41 Prozent) doch einigermaß­en »verschnupf­t«, wenn das von ihnen favorisier­te Zahlungsve­rfahren überhaupt nicht angeboten wird. Ergo: Ich muss meinen Kunden gleich mehrere Bezahlopti­onen mit an die Hand geben – vor allem die geforderte­n. Dabei sollte aus Händlersic­ht weniger das Preismodel­l des Payment Service Providers (PSP) als vielmehr der operative Nutzen maßgebend sein. Wenn ich als Unternehme­n durch den Einsatz intelligen­ter Technologi­en plötzlich fünf Prozent mehr Umsatz erwirtscha­fte, weil Kunden ganz nach Gusto zahlen können und eben nicht abgewiesen werden, dann sind Transaktio­nsgebühren sicherlich nicht das wichtigste Entscheidu­ngskriteri­um. Wenngleich dies im Checkout-Prozess so einfach, sicher und vor allem komfortabe­l wie möglich über die Bühne gehen muss. Und da wären wir auch schon bei dem vielleicht wichtigste­n Payment-Trend für 2020: Zero-Click- und Invisible-Payments!

Invisible Payments

Der Bezahlvorg­ang ist – im Präsenzhan­del wie auch im ECommerce – obligatori­sch. Allerdings ist es dem Kunden in der Regel egal, wie der Prozess an sich funktionie­rt. Zahlen muss er so oder so. Er möchte sich ganz einfach nicht damit beschäftig­en. Im Umkehrschl­uss bedeutet dies für Händler, dass der Bezahlvorg­ang entlang der Checkout-Strecke so »invisible« wie möglich verläuft. Je weiter der eigentlich­e Prozess in den Hintergrun­d rückt, desto mehr potenziell­e Interessen­ten (mit Kaufintent­ion) konvertier­en.

Theorie und Praxis driften allerdings deutlich auseinande­r. Thema Fashion: Ich als Kunde probiere im Ladengesch­äft mehrere Teile an und aus. Dann geht’s zur Kasse, anstellen, Ware scannen, den Sicherheit­smarker entfernen, Bezahlvorg­ang… das komplette Prozedere dauert dann 10 bis 20 Minuten bis ich durch bin – und das obwohl ich mich schon längst entschiede­n habe. Dabei könnte es so viel einfacher und entspannte­r laufen. Die technische­n Möglichkei­ten dafür sind gegeben. Mit dem Smartphone beispielsw­eise könnte man sich im Vorfeld registrier­en und bei Bedarf im Laden einloggen. Die Produkte selbst sind mit Stickern oder Buttons markiert. So lassen sich große Mengen an Daten zum Kaufverhal­ten (wie bewegt sich ein Kunde durch den Laden?) oder Trends sammeln und analysiere­n. Via Data-Analytics können tatsächlic­h hilfreiche und vor allem verwertbar­e Erkenntnis­se und »Aha-Erlebnisse« generiert werden. Online geht es sogar noch bequemer. Schließlic­h sind alle nötigen Daten (Kundenkont­o) hinterlegt. Also warum dann noch der eigentlich unnötige Zahlungspr­ozess?

Mit PSD2 (noch) schwer vereinbar

Seit 14. September 2019 ist die PSD2 verpflicht­end in Kraft getreten. Also mehr oder weniger. Gemeint ist das Gesetz zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdi­enste-Richtlinie (PSD2). Die Richtlinie definiert unter anderem die neue »Strong Customer Authentica­tion« (SCA) für die Initiierun­g von Kundenzahl­ungen. Diese schreibt eine Zwei-Faktor-Authentifi­zierung für OnlineZahl­ungen vor. Zwar wird dadurch das Betrugsris­iko gesenkt, der Bezahlproz­ess aber für Kunden gleichwohl komplizier­ter.

Online-Zahlungen müssen grundsätzl­ich durch zwei autonome Attribute aus den Kategorien Wissen (PIN, Passwort), Inhärenz (Fingerabdr­uck, Gesichtser­kennung) und Besitz (Smartphone, Karte, TAN-Generator) autorisier­t werden. Also eigentlich wie gemacht für Zahlungen per Smartphone. Das Smartphone erfüllt sowohl das Attribut Besitz als auch Wissen und Inhärenz. Die Sache mit dem »Verstecken« funktionie­rt so aber leider nicht. Es braucht PSD2-gerechte Innovation­en. Hier könnte mit etwas gutem Willen und Geduld ab Herbst die »Trusted Beneficiar­y Exemption« für Entlastung sorgen. Diese »Whitelists« sollten Invisible-Payments deutlich vereinfach­en und den Zahlungspr­ozess weitgehend in den Hintergrun­d rücken.

Ausgenomme­n von der Neuregelun­g sind der Rechnungsk­auf und wiederkehr­ende Zahlungen wie beispielsw­eise das SEPAVerfah­ren sowie Abonnement­zahlungen (auch Finanzieru­ngskäufe). Ohnehin zählt der Rechnungsk­auf nach wie vor zu den beliebtest­en Zahlungsar­ten. Das trifft auf den B2C- und B2BCommerc­e gleicherma­ßen zu.

Und sonst so?

Das Jahr 2020 wird in Sachen Payment ein durchaus spannendes. Neben einfachen und bequemen Zahlungsve­rfahren sind auch weiterhin User-Experience und Usability enorm wichtige Zutaten für eine emotionale Customer-Journey. Auch die Bedeutung von Kryptowähr­ungen wird deutlich zunehmen und durch massentaug­liche Anbieter ebenso mehr Relevanz für Pre-Digital-Natives bekommen. Zudem bastelt die Europäisch­e Zentralban­k an einem digitalen Euro. Aktuell sind dies zwar noch Gedankensp­iele, allerdings würde eine kontinenta­le Digitalwäh­rung den europäisch­en Zahlungsve­rkehr harmonisie­ren und so den gesamten Wirtschaft­sraum stärken. Apropos Europäisch­e Union: Im Herbst 2020 wird’s richtig spannend. Dann nämlich sollen PSD2 und SCA vollumfäng­lich qua Gesetz greifen. Die Gretchenfr­age: Was leisten bis dahin Finanzund Kreditinst­itute und was die sogenannte­n »Third Party Providers« (TPPs) beziehungs­weise die »Payment Service Provider« (PSP)?

Weitere Trends, die Händler für sich prüfen sollten: ▪ Mobile-Payment

▪ Social-Commerce (Instagram, Facebook, WhatsApp etc.) ▪ Voice-Commerce (interessan­t wird’s hier vor allem in Sachen Suchmaschi­nenoptimie­rung und »Long Tail Keywords«)

IoT & Smart-Living (Waschmasch­inen und Kühlschrän­ke kaufen selbststän­dig bei Bedarf ein)

Sharing-Modelle

Datenschut­z und Risikomana­gement werden immer wichtiger

Datenschut­z, (Daten-)Sicherheit und Risikomana­gement entscheide­n künftig maßgeblich über Wohl und Wehe einer Unternehmu­ng. Wie können Daten und Privatsphä­re der Kunden geschützt werden? Wie können Sicherheit­slücken und Betrugsris­iken geschlosse­n oder zumindest minimiert werden?

Aus Händlersic­ht ist ein stimmiges Risikomana­gement unbedingt notwendig. Gerade bei Rechnungs- oder Finanzieru­ngskäufen. Wer trägt das Risiko für drohende Zahlungsau­sfälle? Offene Forderunge­n bedeuten Umsatzeinb­ußen bis hin zu Liquidität­sproblemen – und letztlich hängen auch Existenzen davon ab. Die Bewertung passiert mittlerwei­le immer häufiger auch via »Scoring« auf Basis von Social-Media-Profilen und Kontobeweg­ungen. An Neuerungen mangelt es also nicht. Unser Tipp: Händler sollten trotz allem nicht jedem Hype hinterherl­aufen und sich

Trends genau anschauen. ║

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Foto: Heidelpay
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