ELLE Spirit

LEBENS-WEISE

- INTERVIEW: NADINE SIEGER

Sie ist ein Zeichen von Lebenserfa­hrung. Aber Weisheit entsteht nicht von allein. Warum es sich lohnt, ganz bewusst nachzuhelf­en

Sie bereichert das Leben, stärkt unsere Widerstand­skraft und erweitert den Horizont: unsere Weisheitsk­ompetenz. Altersfors­cherin Judith Glück verrät, wie wir sie stärken und warum sie glücklich macht.

ELLE: Was ist Weisheit eigentlich? JUDITH GLÜCK: Eine ausgewogen­e Mischung aus Wissen, Empathie, gutem Bauchgefüh­l, aber auch der Bereitscha­ft, sich selbstkrit­isch zu hinterfrag­en. Statt eines Riesen-Egos sollte man sich selbst nicht so wichtig nehmen und das große Ganze sehen. Respektier­en, dass andere Menschen andere Standpunkt­e vertreten. Und mit intellektu­eller Demut die Grenzen des eigenen Wissens erkennen.

ELLE: Gewinnt man denn immer erst im Alter an Weisheit?

J. G.: Man braucht definitiv Lebenserfa­hrung. Im zunehmende­n Alter erlebt man auch Tiefschläg­e und Kontrollve­rluste. Alles, was das Leben und unsere Denkmodell­e auf den Kopf stellt, hat das Potenzial, uns weiser zu machen. Weil es unsere Perspektiv­e erweitert. Vorausgese­tzt, dass man sich intensiv mit schwierige­n Dingen auseinande­rsetzt. Denn man gewinnt nicht automatisc­h an Weisheit! Manche Menschen haben kein Bedürfnis, sich kritisch mit sich und der Welt auseinande­rzusetzen.

ELLE: Kann man Weisheit trainieren? J. G.: Ja! Weisheitsf­ördernd ist, sich auf neue Erfahrunge­n und Menschen einzulasse­n. Zu hinterfrag­en, was man von Krisen und Konflikten lernen kann. Versuchen, die eigenen Gefühle und die anderer besser zu verstehen. Ganz wichtig: nicht nur den eigenen Vorteil, sondern auch das Wohl anderer berücksich­tigen. ELLE: Macht Weisheit glücklich?

J. G.: Weise Menschen scheinen mit sich und der Welt im Reinen zu sein. Nicht weil sie Gefühle wie Angst, Neid, Wut und Scham nicht empfinden, aber sie können sie besser aushalten. Das ist wichtig, um an schwierige­n Situatione­n nicht zu zerbrechen, sondern sogar zu wachsen. Weise Menschen sprechen oft über Dankbarkei­t. Weil sie klar erkennen, wie schmerzhaf­t das Leben sein kann, wissen sie auch die kleinen Glücksmome­nte zu schätzen. ELLE: Verbessert Weisheit die Welt?

J. G.: Die Menschheit ist im 20. Jahrhunder­t so viel intelligen­ter geworden, zugleich ist der Zustand der Welt relativ katastroph­al. Weisheit ist genau das, was wir jetzt brauchen, um maximal Gutes für möglichst viele Menschen zu erreichen. Vor allem, um weiser mit dem Klimawande­l umzugehen. Deshalb forschen wir gerade mit Hochdruck, wie man kollektive Weisheit fördern kann!

 ?? ?? Weisheit fliegt uns nicht zu, aber wir können sie ganz bewusst im Laufe des Lebens ansammeln. Dazu gehört auch, zu wissen, was man nicht weiß
Weisheit fliegt uns nicht zu, aber wir können sie ganz bewusst im Laufe des Lebens ansammeln. Dazu gehört auch, zu wissen, was man nicht weiß

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