LEBENS-WEISE
Sie ist ein Zeichen von Lebenserfahrung. Aber Weisheit entsteht nicht von allein. Warum es sich lohnt, ganz bewusst nachzuhelfen
Sie bereichert das Leben, stärkt unsere Widerstandskraft und erweitert den Horizont: unsere Weisheitskompetenz. Altersforscherin Judith Glück verrät, wie wir sie stärken und warum sie glücklich macht.
ELLE: Was ist Weisheit eigentlich? JUDITH GLÜCK: Eine ausgewogene Mischung aus Wissen, Empathie, gutem Bauchgefühl, aber auch der Bereitschaft, sich selbstkritisch zu hinterfragen. Statt eines Riesen-Egos sollte man sich selbst nicht so wichtig nehmen und das große Ganze sehen. Respektieren, dass andere Menschen andere Standpunkte vertreten. Und mit intellektueller Demut die Grenzen des eigenen Wissens erkennen.
ELLE: Gewinnt man denn immer erst im Alter an Weisheit?
J. G.: Man braucht definitiv Lebenserfahrung. Im zunehmenden Alter erlebt man auch Tiefschläge und Kontrollverluste. Alles, was das Leben und unsere Denkmodelle auf den Kopf stellt, hat das Potenzial, uns weiser zu machen. Weil es unsere Perspektive erweitert. Vorausgesetzt, dass man sich intensiv mit schwierigen Dingen auseinandersetzt. Denn man gewinnt nicht automatisch an Weisheit! Manche Menschen haben kein Bedürfnis, sich kritisch mit sich und der Welt auseinanderzusetzen.
ELLE: Kann man Weisheit trainieren? J. G.: Ja! Weisheitsfördernd ist, sich auf neue Erfahrungen und Menschen einzulassen. Zu hinterfragen, was man von Krisen und Konflikten lernen kann. Versuchen, die eigenen Gefühle und die anderer besser zu verstehen. Ganz wichtig: nicht nur den eigenen Vorteil, sondern auch das Wohl anderer berücksichtigen. ELLE: Macht Weisheit glücklich?
J. G.: Weise Menschen scheinen mit sich und der Welt im Reinen zu sein. Nicht weil sie Gefühle wie Angst, Neid, Wut und Scham nicht empfinden, aber sie können sie besser aushalten. Das ist wichtig, um an schwierigen Situationen nicht zu zerbrechen, sondern sogar zu wachsen. Weise Menschen sprechen oft über Dankbarkeit. Weil sie klar erkennen, wie schmerzhaft das Leben sein kann, wissen sie auch die kleinen Glücksmomente zu schätzen. ELLE: Verbessert Weisheit die Welt?
J. G.: Die Menschheit ist im 20. Jahrhundert so viel intelligenter geworden, zugleich ist der Zustand der Welt relativ katastrophal. Weisheit ist genau das, was wir jetzt brauchen, um maximal Gutes für möglichst viele Menschen zu erreichen. Vor allem, um weiser mit dem Klimawandel umzugehen. Deshalb forschen wir gerade mit Hochdruck, wie man kollektive Weisheit fördern kann!