Gemeinsam das Beste gegeben
Schillers „Räuber“: Überzeugende Theater-Aufführung in Sögel
Mit Schillers Klassiker „Die Räuber“ist der Kulturkreis Clemenswerth in Sögel in die neue Kultursaison gestartet. Das Ergebnis: drei Stunden Theater – und jede Minute war es wert.
Zu Beginn der Vorstellung des Neuen Globe Theaters aus Potsdam sorgen die Hygienevorschriften in der Aula des Hümmling-Gymnasiums für eine durchaus willkommene Verzögerung. Der Vorhang ist weit offen, so kann man sich in Ruhe die Kulissen ansehen – eine klein gehaltene Bühne, nach hinten hin begrenzt von einer etwa tafelgroßen Wand, die nostalgisch hässlich tapeziert, mit einer Abbildung eines beinahe lebensgroßen silbrig-grau leuchtenden Hirsches davor, ein echter Hingucker ist. Rechts führen drei, vier grün bespannte Treppen zu einer ebensolchen Plattform. Wer Schillers „Räuber“gelesen hat, weiß Bescheid: Bänke und Hocker sind das Schloss, Hirsch und „Rasen“-Treppe die Böhmischen Wälder.
Die Schlagzeugrhythmen, die ein Mann während der Warteminuten (und im Laufe des Abends noch häufig) liefert, sind kurzweilig. Nach vorn hin ist das „Spielfeld“abgegrenzt durch ein weit ausgelegtes dickes Seil.
Und dann beginnt das Spiel. Sebastian Bischoff ist Franz Moor, gekleidet in einen furchtbar hässlichen, heftig glänzenden Partyanzug, er greift zu einem Mikrofon und macht mit auftrumpfendem Gehabe deutlich, dass ihm nur ein Mensch wichtig ist: er selber.
Seinen wirklich ausladenden Eingangsmonolog trägt Bischoff, zunächst ganz texttreu, sehr eindrucksvoll vor, das Publikum erlebt sichtlich gebannt einen wahrlich fiesen „Helden“. Wer bis hierhin noch auf nostalgische Schloss- oder Räuberromantik gehofft hat, begreift nun endgültig: Das gibt es heute nicht.
Fulminantes Spiel
Die Desillusionierung ist aber nicht schlimm, denn Schillers Worte, das fulminante Spiel, einzelne richtig gute Inszenierungsideen, treffsicher gewählte Requisiten, all das verführt die Zuschauer dann doch zur Identifikation: Er bangt, er wundert sich, er bewundert, er verachtet und er entwickelt Mitgefühl. Selbst Amalia gewinnt in dieser Inszenierung, vor allem dank der schauspielerischen Leistung von Petra Wolf, so viel Persönlichkeit, dass die Zuschauer doch mitleiden mit der armen Frau.
Der Räuberhauptmann in seiner Verzweiflung über die scheinbar verweigerte väterliche Liebe (wunderbar schreiend, stampfend, weinend: Kai Frederic Schrickel) lässt den Zuschauern am wenigsten die Möglichkeit, auf Abstand zu bleiben.
Schrickels Inszenierung unter der Regie von Andreas Erfuhrt ist geprägt von Kontrasten, Widersprüchen, Irritationen. Ganz wie bei Schiller: Der liebende, treue Sohn ist ein Schurke, der verlorene Sohn hat eine hohe Moral, der tote Vater lebt in einer Gruft, die Ungesetzlichen weigern sich, ihren Hauptmann zu verraten.
Im Programmheft heißt es: „Wir halten einer sich zunehmend vereinzelnden (coronabedingt: sehr wahr) Gesellschaft die lebendige Unmittelbarkeit des gemeinsamen Augenblicks entgegen: Zuschauer und Akteure erleben diesen Abend gemeinsam, und gemeinsam geben sie ihr Bestes!“Und genau so war es.