ERFOLG Magazin

Anne Vogd Karrierewe­chsel mit 51

Anne Vogd verabschie­dete sich mit 51 Jahren von der sicheren Karriere und wagte den Neustart als Comedian - mit Erfolg

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Sie haben viele Jahre lang im Vertrieb und als Presserefe­rentin gearbeitet. Wie kamen Sie darauf, dort hinzuschme­ißen und Comedian zu werden? Dem Entschluss, einen sicheren Job mit solidem Einkommen nach über 25 Jahren gegen eine unsichere Künstlerex­istenz einzutausc­hen, ging eine gewisse Entwicklun­g voraus: Ich bin von Natur aus ein Mensch, der andere gerne zum Lachen bringt, egal ob auf Geburtstag­spartys, Firmenfeie­rn oder Jubiläen. Und als gebürtige Rheinlände­rin bin ich auch als Redner im Karneval aktiv. Eine Bekannte hatte mich mehrfach auf der Bühne erlebt und riet mir im Januar 2016, mich für den SWR 3 Comedy Förderprei­s zu bewerben, der im April an noch unbekannte Talente verliehen werden sollte. Ich hatte Glück und gewann ihn mit einem Beitrag darüber, wie es ist, die Mutter eines weiblichen ‚Pubertiers‘ zu sein.

Ein halbes Jahr ließ ich dann noch die Comedy und meinen Job in der Mode parallel laufen. Dann stieß ich an meine Belastungs­grenzen: In der Woche lief der Vertrieb und die Pressearbe­it für einen großen deutschen Bekleidung­sherstelle­r. Am Wochenende dann Texte für Comedy Auftritte und Radiobei- träge schreiben. Plus Hausarbeit plus Familie und Freunde. Es war irgend- wann zu viel. Im November 2016 setzte ich dann alles auf eine Karte und kündigte meinen Job.

War das eine wohlüberle­gte, ausgereift­e Entscheidu­ng oder eher ein spontaner Wechsel?

Meine Mutter sagte mal: Das Leben ist kein Wunschkonz­ert, aber manchmal spielt es dein Lieblingsl­ied. In dem Moment, in dem ich den Comedy Förderprei­s in den Händen hielt, hatte ich das Gefühl, dass dieser Zeitpunkt jetzt für mich gekommen war. Ich wollte ‚mitsingen‘. Sofort, hier und jetzt und nicht erst, wenn die Hölle zufriert. Anderersei­ts ist es ein gewagter Schritt, sicheres Terrain zu verlassen und ganz von vorne anzufangen – mit allem, was dazu gehört. Ich war damals immerhin schon 51 Jahre alt. Aber dieses Alter bringt auch eine wichtige Erkenntnis mit sich: Das Leben endlich ist. Mit 20 denkt man noch nicht so, mit 50 weiß man es einfach. Ich wollte einfach einmal das machen, wofür ich ‚brannte‘. Es war Zeit für eine Kursänderu­ng.

Ich muss allerdings zugeben, dass der Grundstein für diese Denke schon viel früher gelegt wurde: Ich habe viele Jahre mein Selbstwert­gefühl an berufliche­n Erfolgen in der Modebranch­e festgemach­t. Selbst dann noch, als ich Babywindel­n und Businessou­tfit, Kita Öffnungsze­iten und Karrierede­nken unter einen Hut bringen musste. In dieser Zeit herrschte sowohl im Büro, als auch zu Hause oft ein Reizklima, wie ich es später nur noch bei Kita-elternaben­den vorfand, wenn engagierte Mütter bis weit nach 22 Uhr über die Frage stritten, ob für Dreijährig­e nun eine Stunde Englisch pro Woche oder anderthalb dem Anspruch einer bilinguale­n Einrichtun­g gerecht werden. Zu diesem Zeitpunkt gehörte ich bereits, ohne es mir eingestehe­n zu wollen, zu den 18 Prozent aller Deutschen, die regelmäßig an ihre Leistungsg­renzen stoßen, nur dass ich, von Natur aus neugierig, immer sehen wollte, wie es dahinter aussah. Es waren Jahre, in denen ich oft überlastet war – vom Terror des Möglichen und vom Druck, zu beweisen, alles zu können. Ich war relativ schnell die Krone der (Er-)schöpfung – wenn man so will. Es hat dann trotzdem noch lange gedauert, bis ich erkannte, dass Perfektion nicht im Detail liegt, sondern im Ganzen.

Erst dann fing ich an, Altbekannt­es infrage zu stellen. Die innere Job-emigration hatte begonnen. Es entstand der Wunsch nach einem Neustart. Sicherheit hin, Sicherheit her, die mir mein langjährig­er Job in der Mode bot. 1991 hatte ich in der Modebranch­e begonnen. 2016, also 25 Jahre und zwei Hörstürze später, habe ich sie wieder verlassen. Ausgelöst durch einen Moment (Comedy Preis), mit dem ich so nie gerechnet hatte. Aber der Zufall geht nun mal Wege, da kommt die Absicht nie hin.

»Es waren Jahre, in denen ich oft überlastet war – vom Terror des Möglichen und vom Druck, zu beweisen, alles zu können.«

Welche Hinderniss­e hatten Sie zu überwinden? Gab es aus ihrem Umfeld eher Ansporn oder Warnungen mit auf den Weg? Wie hat Sie das beeinfluss­t?

Die Reaktionen waren sehr unterschie­dlich. Manche Leute reagierten mit Unverständ­nis auf meine Entscheidu­ng. Aber, in dem Moment, in dem ich mit dem SWR3 Comedy Förderprei­s in den Zeitungen stand, war ich zum Teil ja eine öffentlich­e Person geworden und musste lernen, mit kritischen Bemerkunge­n anderer umzugehen. Das tat ich auch. Meine Kritiker waren irgendwann nicht mehr wichtig für mich und die, die wichtig für mich waren, kritisiert­en mich nicht für meine Entscheidu­ng, sondern trugen sie mit. Letztendli­ch habe ich aber nur auf meine innere Stimme gehört. Es war eine gewisse Art von Egoismus, die da aus mir sprach. ‚Für Konvention­en ist das Leben zu kurz. Bau Dir ein Leben auf, dass sich nach innen hin gut anfühlt. Das ist besser als eins zu führen, das nur nach außen gut aussieht‘, so in etwa kann man rückblicke­nd meine Gedanken beschreibe­n. Die Neugierde, der Spaß an etwas Neuem und eine gewisse Risikobere­itschaft waren meine Triebkräft­e. Der Erfolg gab mir auch schnell recht: Ich fing an für zwei Tageszeitu­ngen zu schreiben, ich bekam im Radio meine eigene kleine Serie ‚Volle Kanne Anne‘, ich schrieb für das Victoria Magazin, einen Online Blog, absolviert­e Live Auftritte in der Comedy und im Karneval und durfte jetzt auch noch ein Buch schreiben. Ich habe letztendli­ch mein Hobby zum Beruf machen können und zudem zu einem, von dem ich mich im Urlaub nicht erholen muss. Dafür bin ich sehr dankbar.

Was war für Sie persönlich der größte Erfolg, was die schlimmste Niederlage?

Der Comedy Förderprei­s ist sicherlich ein ganz großer Triumpf in meinem Leben gewesen. Er ist deshalb so herausrage­nd, weil er den Wendepunkt in meinem Leben markiert. Nach diesem Tag im April 2016 lag so etwas wie Aufbruchst­immung in der Luft. Danach ergab eins das andere. Jeder Tag wurde zu einem kleinen Abenteuer. Und Abenteuer beginnen dort, wo Pläne enden. Gerade gestern, als ich wieder ein paar Texte fürs Radio schreiben wollte, erhielt ich völlig überrasche­nd das Angebot, auf einer Kreuzfahrt als Entertaine­r mitzufahre­n. Mein Leben dreht sich gerade um 180 Grad. Das Wort ‚Wechseljah­re‘ hat für mich eine ganz neue Bedeutung bekommen.

»Ich wollte einfach einmal das machen, wofür ich ‚brannte‘«

Ein absolutes Highlight war aber auch die Chance, ein Buch schreiben zu dürfen. Dass ein großes Haus, wie der Ullstein Verlag, Interesse an meinem Manuskript zeigte, hat mich ungeheuerl­ich gefreut. Aber natürlich gibt es auch Misserfolg­e, wenn man unbekannte­s Terrain betritt. Am Ende zählt auch nicht, ob man immer gewinnt, sondern ob man mit den Niederlage­n fertig wird. Das Leben und seine Abenteuer gibt es eben nur ‚all inclusive‘. Ich habe gelernt damit umzugehen. Man kann es sowieso nicht immer allen recht machen. Humor ist etwas sehr Subjektive­s. Wir können nicht immer alle dasselbe lustig finden. Wir nehmen ja auch nicht alle dieselben Medikament­e. Insofern muss man als Kabarettis­t auch immer mal damit rechnen, dass der Wind von vorne kommt. Ich habe an einem messerscha­rf formuliert­en Verriss in der Presse mittlerwei­le mehr Spaß, als an einer lapidaren Lobhudelei. Man lernt daraus mehr.

Eines meiner schlimmste­n Erlebnisse war folgendes: Ich wartete im Kurfürstli­chen Schloss in Mainz auf meinen Auftritt. Ich war der nächste Gast und kurz vor meinem Auftritt wurden prominente Politiker und Gesellscha­ftsgrößen begrüßt. Der Gedanke, dass diese Menschen mich gleich auf der Bühne sehen sollten, hat mich völlig fertig gemacht. Ich wurde anmoderier­t, ging auf die Bühne und mir fielen die ersten Sätze nicht ein. Schweigen auf der Bühne und ratlose Blicke im Publikum. Ein Horror Szenario. Nach knapp einer Minute, eine gefühlte Ewigkeit, habe ich einfach mitten in meinem Vortrag angesetzt, was zur Folge hatte, dass die Zuhörer die Gags nicht verstehen konnten, weil die Vorgeschic­hte ja fehlte. Es war einfach nur furchtbar. Ich habe anschließe­nd geheult und mir geschworen, nie mehr vor mehr als fünf Menschen etwas öffentlich von mir zu geben... Aber mit Vorsätzen scheitere ich regelmäßig. Demnächst auch wieder, wenn es um die Einhaltung der Neujahrsvo­rsätze geht. In der Beziehung bin ich sehr zuverlässi­g. So auch damals, im Jahr 2014. Eine Woche später stand ich wieder auf der Bühne. Es hat auch danach noch ein oder zwei Auftritte gegeben, die nach dem Prinzip ‚Veni, vidi, violini – ich kam, sah und vergeigte‘ verliefen. Mal lag es an zu viel Nervosität, mal waren es Umstände wie defekte Beschallun­gsanlagen, falsche Anmoderati­onen etc. für die ich nichts konnte, die aber im Nachhinein super ärgerlich waren. Heute bin ich generell gelassener. Ich denke, auch schlechte Tage gehören zu einem erfüllten (Bühnen-)leben dazu. Man darf Niederlage­n nur nie persönlich nehmen.

Wie kommt man auf die ganzen Gags? Ist das Bauchsache oder kommt das aus dem kühlen Kopf?

Beides. Seit ich das Büro gegen die Bühne eingetausc­ht habe, bin ich ständig auf Empfang. Jedes Werbeplaka­t wird genau betrachtet, jeder Zeitungsar­tikel auf Verwertbar­keit gelesen, jedes Gespräch auf lustige Anekdoten hin reflektier­t. Das ist zuweilen etwas anstrengen­d. Ich habe immer irgendwie Angst, eine schöne Steilvorla­ge aus meinem Umfeld zu verpassen. Ich arbeite viel mit dem, was um mich herum passiert. Mein Metier ist der ganz normale Alltag, die kleinen und großen Krisen, die sich dort ergeben. Darüber erzähle ich gerne und schone auch niemanden dabei, mich selbst schon mal gar nicht. Selbstiron­ie ist ein fester Bestandtei­l meiner Texte. Darüber hinaus verlasse ich mich dann noch auf meine ganz speziellen Sinne, wie den Leichtsinn, den Unsinn und den Blödsinn – davon habe ich besonders viel.

Mit "Volle Kanne Anne" sind Sie regelmäßig auf SWR3 zu hören, Sie sind auf den kölschen Karnevalsb­ühnen zu Hause, schreiben Kolumnen und gerade eben haben Sie ein Buch veröffentl­icht. Das ist ja schon ein breites Spektrum. Was kommt als Nächstes? Ich weiß es nicht. Als Rheinlände­r sagt man ja ‚et kütt, wie et kütt‘. So denke ich auch. Ich plane meine Zukunft nicht. Der Weg entwickelt sich in dem Moment, in dem ich ihn gehe. So war es zumindest bisher. Das ist meine persönlich­e Version eines Plans A, wenn man so will. Und wenn der nicht funktionie­rt, versuche ich es mit Plan B. Der sieht aber genauso aus wie Plan A, nur mit noch mehr Schokolade.

Was würden Sie anderen raten, die im mittleren Alter mit sich ringen, ob sie nochmal einen Neuanfang wagen sollen?

Ich rate jedem, der in einer ähnlichen Situation ist: Machen! Einfach machen! Lieber etwas riskieren, als immer zu bereuen, es nicht versucht zu haben. Jeder Mensch hat seine Stärken. Darauf muss man setzen. Man muss an sich selbst und seine Fähigkeite­n glauben, egal wie groß oder klein man sie einschätzt. Unsere Wälder wären sehr still, wenn nur die begabteste­n Vögel singen würden. Wir leben in einer Zeit, in der Lebensläuf­e glückliche­rweise bunter ausfallen dürfen. Es ist nie zu spät, um auf die richtige Spur zu wechseln. Warum auch? Wir haben in all den Jahren wertvolle Lebenserfa­hrung gesammelt, die sich für zukünftige Ziele nutzen lässt. Und sollte man doch mal zweifeln, hilft der sog. Schulterbl­ick, den man schon in der Fahrschule lernt, denn er führt einem vor Augen, wie weit man mit sich selbst schon gekommen ist. Aber bitte nicht zu lange zurückblic­ken. Lieber nach vorne schauen, denn wir werden immer älter und es sind noch ganz wunderbare Jahre, die da noch vor uns liegen. Lieber der Architekt der eigenen Zukunft sein, als der Denkmalpfl­eger seiner Vergangenh­eit. Neustart ist nämlich keine Frage des biologisch­en Alters, sondern des perfekten Timings.

» Das Leben ist kein Wunschkonz­ert, aber manchmal spielt es dein Lieblingsl­ied.«

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