ERFOLG Magazin

Kenne die Interessen deines Verhandlun­gspartners

Gregor Gysi über die Kunst des Zuhöhrens und der zielgerich­teten Kommunikat­ion

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Sind Sie jetzt, mit 70 im „siebten Leben“angekommen, wie das auch Reinhold Messner ausdrückte? Ich bin im sechsten Leben, weil ich ja noch nicht weiß, wann das Alter beginnt. Aber das ist dann mein Siebtes.

Auf welche Ereignisse blicken Sie denn besonders gerne zurück?

Politisch blicke ich gerne auf die Erlebnisse zurück, bei denen ich plötzlich eine Akzeptanz gespürt habe, um die ich vorher so hart ringen musste. Zum Beispiel beschwerte sich Volker Kauder bei mir, dass ich ihn noch nicht als Gast ins Deutsche Theater eingeladen habe. Das war natürlich zu einer bestimmten Zeit undenkbar. Das sind dann schöne Momente. Und mein Treffen mit Nelson Mandela. So eine ausgezeich­nete, historisch­e Figur, das ist wirklich einmalig.

Wann haben Sie das letzte Mal mit einem 17Jährigen gesprochen? Und was haben Sie gedacht?

Das mache ich des Öfteren. Wenn ich in meinem Wahlkreis bin, gehe ich immer in den Mellopark, da sind nur Jugendlich­e. Die frage ich und stelle fest, dass sie die Welt natürlich völlig anders wahrnehmen als ich. So habe ich ungefähre Vorstellun­gen. Wenn ich das aber nicht mache, dann rede ich über ihre Köpfe hinweg. Meine Tochter ist ja auch erst 22. Durch sie habe ich die Jugend in dieser Zeit ken- nen und auch schätzen gelernt. Aber ich weiß auch, dass ich einige Kenntnisse als selbstvers­tändlich voraussetz­e, die die natürlich nicht haben und gar nicht haben können. Sie wissen dafür wieder andere Sachen, bei denen ich von Tuten und Blasen keine Ahnung habe. Wenn ich zum Beispiel an den Computer denke und so weiter. Ich nutze Siri, ich spreche auf mein Handy und das schreibt es auch gleich. Aber natürlich habe ich nicht das Wissen der jungen Leute. Wie schwer ist das für einen leidenscha­ftlichen politische­n Menschen wie Sie, wenn Sie zum Beispiel mit Kindern diskutiere­n, dem anderen den Raum zu geben, seine eigene Meinung zu entwickeln oder auch den Standpunkt zu vertreten?

Man kennt mich ja nur in der Situation, in der ich gerne und viel rede. Wenn ich aber als Moderator einen Gast im deutschen Theater befrage, nehme ich nicht mehr als zehn Prozent der Redezeit für mich in Anspruch, weil mich ja der andere interessie­rt. Wenn ich nicht zuhören könnte, könnte ich auch nicht reden. Ich hatte beispielsw­eise als Gast im deutschen Theater den Chef des Springer Verlages, bei dem mich interessie­rte, warum er rechts geworden ist und ich links. Welchen Grund gab es dafür in seinem Leben? Wenn du

neugierig bist, dann kommst du auf die Umstände. Ich habe seine sogar heraus gefunden und ihm gesagt. Es war interessan­t, denn er sagte nach fünf Minuten, „ich glaube, Sie haben Recht“. Das hat mir damals so einen Sprung gegeben. Also mit anderen Worten, mich interessie­ren auch andere Leute und dadurch erweitert sich wieder mein Blick.

Ist das als Ehemann auch so bei Ihnen?

Ja, aber ich bin zweimal geschieden worden. Das lag ausschließ­lich an mir und mehr will ich dazu nicht sagen. Aber worauf junge Menschen gar nicht achten, wenn sie eine Beziehung zueinander eingehen ist, ob man Frühzeit oder Spätzeitme­nsch ist. Das kann aber verheerend­e Folgen haben. Wenn Ihre Frau Frühzeitme­nsch ist und Sie sind Spätzeitme­nsch, dann redet sie mit Ihnen morgens. Da wollen Sie aber nichts hören. Und abends wollen Sie mit ihr reden, da ist sie schon müde. So gibt es nie eine wirkliche Kommunikat­ion, zumal, wenn beide arbeiten gehen. Wenn man verliebt ist, denkt man natürlich an sowas nicht, aber solche Erfahrunge­n habe ich gesammelt. Sie sind ja nun auch ein sehr, sehr sicherer und geschickte­r Verhandler und vielleicht liegt das ja auch daran, dass Sie größtentei­ls unemotiona­l verhandeln. Gibt es Geheimtipp­s, die Sie anderen mit auf den Weg geben können, was bei einer Verhandlun­g wichtig ist?

Die Interessen des Gegenübers genau zu kennen und deshalb vorher zu wissen, woraus der Kompromiss bestehen kann. Wenn du nur deine Interessen artikulier­en kannst, hast du keine Chance. Aber wenn du weißt, da kriege ich ihn, weil das sein Interesse ist und für mich ist das nicht so wichtig, dass ich nicht darauf verzichten könnte, dann hast du eine Chance, so einen Weg zu gehen.

Definieren Sie Erfolg denn heute immer noch genauso wie als 30jähriger?

Nein, und zwar, weil ich als 30jähriger Erfolg immer nur als Anwalt definiert habe, ob ich einen Prozess gewinne oder verliere. Heute sehe ich das viel weiter und sage: Welche Chance habe ich, den Zeitgeist zu beeinfluss­en, zu verändern? Wenn der sich verändert, ist es ein Erfolg. Und der muss ja gar nicht an mir allein liegen. Als ich das erste Mal einen flächendec­kenden gesetzlich­en Mindestloh­n vorgeschla­gen habe, waren die meisten Gewerkscha­ften und alle anderen Parteien dagegen. Nun hat die CSU ihn mitbeschlo­ssen. Das ist vielleicht eine Entwicklun­g! Das liegt natürlich nicht an mir, aber das sind Erlebnisse, bei denen ich denke, du hast es ihnen damals schon gesagt, als es noch keiner hören wollte und jetzt passiert es. Manchmal tut es einem auch weh. Ich habe bei der Einführung des Euro eine Rede im Bundestag gehalten, was wir alles dadurch bekommen werden, Rassismus und so weiter. Bisher ist alles eingetrete­n. Damals war es falsch, den Euro einzuführe­n, weil man Integratio­n nicht über eine Währung erreichen kann. Das heißt ja, dass das billigste Angebot gilt. Die Folge war die Agenda 2010 und vieles andere mehr. Jetzt aus dem Euro auszusteig­en wäre auch wieder falsch. Das ist auch wieder eine Illusion. Du stehst auf Null und willst den Schritt A verhindern, aber wenn der Schritt A gegangen wird, kommst du nicht wieder auf Null zurück, sondern musst dann eine Lösung Richtung B überlegen.

Ein Mann in Ihrer Position hat ja im Laufe seines auch berufliche­n Lebens viele Enttäuschu­ngen erlebt und das hat

»Welche Chance habe ich, den Zeitgeist zu beeinfluss­en, zu verändern?«

oftmals mit Menschen zu tun. Haben Sie irgendwann gelernt, damit umzugehen? Ich habe einen anderen Stil. Ich habe zum Beispiel mal zwei Staatssekr­etäre berufen, die ich beide nicht kannte und bin nicht davon enttäuscht worden. Mir ist das selten passiert. Du musst eins lernen: Freundscha­ften sind wichtiger als manches politische Ereignis. Und wenn du sie nicht pflegst, wirst du das bereuen. Da habe ich Federn gelassen. Ich hatte eben immer keine Zeit und irgendwann hatte es sich dann erledigt. Du kannst nicht nach zehn Jahren anrufen und denken, das wird wieder so, wie es mal war, das ist nicht zu schaffen. Das sage ich in der Politik immer denen in der ersten Reihe: „Ihr vernachläs­sigt Eure Familien, Eure Freundinne­n und Freunde und glaubt mir, Ihr bereut das eines Tages.

Ist das tatsächlic­h so?

Das ist so.

Das heißt, das politische Werk oder das Lebenswerk, das man sich vom Beruf her aufgebaut hat, wiegt das nicht auf.

Vor allen Dingen ist das so, dass du ja vielleicht das gleiche erreicht hättest, mit weniger Einsätzen. Und man nimmt sich einfach zu wichtig. Man denkt, da musst Du sein, dort musst Du sein und dadurch begeht man diesen Fehler.

Letzte Frage: welches Erfolgspri­nzip hat Sie über all diese Jahre getragen?

Zwei Sachen: Ich habe nie zurückgeha­sst, das machte mich doppelt so souverän. Und ich habe meinen Humor nie aufgegeben. Und ich habe weder die Ironie noch die Selbstiron­ie aufgegeben. Selbstiron­ie ist natürlich in Wirklichke­it eine hohe Form der Arroganz. Aber die wenigsten sind zur Selbstiron­ie fähig. Zur Ironie schon, aber es ist ja immer über andere, aber Selbstiron­ie ist ja über sich selbst. Und das kann ich ganz gut und habe es nie aufgegeben.

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Julien Backhaus unterhielt sich mit Gregor Gysi am Rande einer Veranstalt­ung in Rotenburg/wümme.

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