Stefan Verra: Körpersprache der Mächtigen
Wie wir Führungspersönlichkeiten wahrnehmen
Seit 20 Jahren beobachte ich weltweit Wahlkämpfe. Mehr noch – auch Staaten und Organisationen, in denen die Führungspersonen per Akklamation gewählt werden oder sich selbst inthronisieren, sehe ich mir genauer an. Dabei habe ich festgestellt, dass Menschen überall auf der Welt gleich agieren, wenn es um die Wahl ihrer Oberhäupter geht. Und das ist nicht besonders rational. Nur wenige Wähler tauchen tiefer in die Politik ein, als Zeitungsschlagzeilen, Kurzartikel oder Tweets auf Social Media zu lesen. Das reicht uns dann meist als angebotene Lösungen für die komplexen Herausforderungen, die mit einer globalisierten, digitalisierten, sich immer mehr gentrifizierenden Welt verbunden sind. Doch diese oberflächlichen Infos können niemals ausreichen, um den Geeignesten oder die Geeignetste auszuwählen. Es ist somit wohl fraglich, ob wir tatsächlich immer die Besten an der Spitze unserer Gesellschaft haben. Also wofür dann überhaupt ein Oberhaupt? Geht es nicht
auch ohne? Nein! Auch wenn wir noch so oft über »die da oben« maulen, brauchen wir sie. Das hat sich evolutionär als enormer Vorteil erwiesen.
Rudel
Seit Lebewesen höher entwickelt waren, begannen sie, Rudel zu bilden. Hunde, Rehe, Steinböcke organisierten sich, denn das war eine Bündelung von Kraft und bedeutete damit Sicherheit. May the force be with you! Und das Krönchen der Schöpfung, der homo sapiens, war sapiens genug, das auch zu tun.
Aber ein Rudel ist ja erst mal ein unorganisierter Haufen, das haben schon die im Neandertal gecheckt. Also musste einer her, der die Richtung vorgab. Ein Leithammel. Wenn der "Alle nach links" rief, mussten ihm auch möglichst alle folgen. Nur so konnte sich die Gruppe gegen übermächtige Feinde wirklich zur Wehr setzen. Er musste also vom Großteil der Gruppe akzeptiert sein. Und ob sie einen Leithammel akzeptierten oder nicht, entschieden die einzelnen Mitglieder binnen weniger Augenblicke. Nicht auf rationaler Ebene, sondern in älteren, vorgeschalteten Gehirnarealen.
So ist das auch noch heute bei allen Rudelwesen, eben auch beim Menschen. Und das betrifft nicht nur Politiker. Alle Menschen, die Führungsaufgaben haben, sind für uns Leithammel. Ob Führungskraft im Unternehmen, Mitarbeiter bei der Präsentation oder Elternteil beim Organisieren des Wanderausflugs.
Versprechen
Jedes Alphatier gibt der Gruppe ein Versprechen. Es verspricht, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen. Dieses wirkungsvolle Versprechen gibt es aber nicht verbal – das wäre für so manches Säugetier auch ganz schön schwierig – nein, das passiert auf ganz anderer Ebene: salopp gesagt auf Ebene der Emotionen. Genau auf der Ebene, die auch Körpersprache wahrnimmt und verarbeitet.
Es sind Signale der Mimik, Gestik, Haltung und auch der Inszenierung, die dieses Versprechen geben. Sie signalisieren uns: »Mein Bedürfnis wurde wahrgenommen.« Wer also stabile Verhältnisse will, sucht Stabilität in der Wirkung. Wer Veränderung will, sucht Signale des Aufruhrs. Wer Stärke oder Harmonie will, sucht wiederum seinen Bedürfnissen entsprechende Signale – eine emotionale Zusage, diese gefühlten Notwendigkeiten zu erfüllen. Sobald wir das in der Körpersprache erkennen, hat dieser Mensch einen festen Platz in unserem Herzen. Er ist unser Leithammel. Wir verteidigen ihn auf Biegen und Brechen, selbst wenn uns die Inhalte gar nicht mehr wirklich gut tun. Erhalten wir dieses Versprechen hingegen nicht, ist dieser Mensch für uns unten durch. Und so lassen wir Inhalte von Menschen, die uns emotional nicht erreichen, gar nicht erst an uns heran.