ERFOLG Magazin

Brandon Webb, David Mann – Angst überwinden wie ein Navy Seal ...........

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Mein Freund Kamal ist ein Weltenbumm­ler. Er hat im Kloster des Dalai Lama mit tibetanisc­hen Mönchen meditiert, ist durch den Himalaya gewandert und hat Nordspanie­n auf dem Jakobsweg durchquert. Er diente in der Us-armee und studierte Medizin. Er hat mehrere Technologi­eunternehm­en gegründet, leitet seine eigene Risikokapi­talgesells­chaft und ist ein Bestseller­autor. Er ist eine beeindruck­ende Erscheinun­g mit seiner wogenden silbernen Mähne, seinem durchdring­enden Blick und dem gelassenen Auftreten eines buddhistis­chen Meisters, der mit leiser Stimme spricht. Dies ist ein Mann, der alles mitbringt, was man für große Erfolge braucht. Aber vor Kurzem fand ich heraus, dass Kamal ein Geheimnis hatte.

Er konnte nicht schwimmen.

Es fiel mir schwer, das zu glauben. Und ich war überzeugt, dass er übertrieb. Vermutlich war er einfach ein schlechter Schwimmer. Für mich ist das Schwimmen

so selbstvers­tändlich wie das Atmen. Ich wuchs im und auf dem Wasser auf. Meine Familie lebte jahrelang auf einem Segelboot. Ich verbrachte mehr als ein Jahrzehnt in der Marine und wurde zum Navy SEAL ausgebilde­t. Es war einfach unvorstell­bar für mich, dass er nicht schwimmen konnte. Aber dieser imponieren­de Freund, der so viele Begabungen besaß und in seinem Leben so viel erreicht hatte, konnte tatsächlic­h nicht schwimmen.

»Tapfer ist nicht derjenige, der keine Angst hat, sondern derjenige, der seine Angst besiegt.« – Nelson Mandela

Ich verbrachte mehr als ein Jahrzehnt in der Marine und wurde zum Navy SEAL ausgebilde­t. Es war einfach unvorstell­bar für mich, dass er nicht schwimmen konnte.

Ich begann, ihm damit auf die Nerven zu

gehen. Ich erklärte ihm, dass der menschlich­e Körper zu mehr als 60 Prozent aus Wasser besteht. War ihm bewusst, dass er in seiner eigenen Haut bereits im Wasser trieb? Ich fragte ihn belustigt, ob bei seiner Zeugung die Eizelle vielleicht den Spermien hatte entgegen schwimmen müssen, statt umgekehrt.

»Wie ist es möglich, dass du nie Schwimmen gelernt hast?« Es gab eine einfache Antwort auf diese Frage.

Er hatte Angst.

Kamal hatte sein ganzes Leben furchtbare Angst vor dem Wasser gehabt. Als er in der Dominikani­schen Republik gelebt hatte, war er ein paarmal Kitesurfen gegangen. Er trug dabei immer eine Schwimmwes­te, aber das änderte nichts. Er hatte trotzdem schrecklic­he Angst. Was, wenn er abstürzte und im Wasser landete? Er erzählte mir von den Besuchen bei seinem Freund Tim Ferriss, der ein Haus in den Hamptons besaß. Tim hatte im Garten einen schönen Pool. Seine Gäste ruhten sich dort aus, planschten im Wasser und hatten einen Riesenspaß. Es quälte Kamal, dass er sich nie zu ihnen gesellen konnte.

Mir wurde klar, dass mein Freund sehr darunter litt, dass er nicht schwimmen konnte. Und er hatte durchaus versucht, es zu erlernen: Er hatte Schwimmkur­se belegt und in Online-workshops versucht, seine Angst zu besiegen. Er hatte in San Francisco eine Weile in einem Haus gewohnt, zu dem das einzige beheizte olympische Freiluftbe­cken der Stadt gehörte. Er hatte einen Privatlehr­er engagiert, aber auch das hatte nicht funktionie­rt. Was seine verschiede­nen Schwimmleh­rer auch versuchten, Kamal konnte es nicht ertragen, wenn seine Füße den Boden des Beckens nicht mehr berührten, und geriet in Panik. Jetzt dachte er darüber nach, in Florida an einem Tauchkurs teilzunehm­en. Zumindest sagte er das. Aber ich sah, dass er es vor sich herschob.

Ich hörte auf, ihn damit aufzuziehe­n, und entschloss mich stattdesse­n, etwas dagegen zu tun.

Ich hatte eine erholsame Woche daheim in New York vor mir, und sagte zu Kamal: »Wenn du dir eine Woche freinehmen kannst, werde ich es dir beibringen. Aber du musst dich verpflicht­en, dich jeden Tag um dieselbe Zeit mit mir zu treffen, egal ob es regnet oder die Sonne scheint. Gib mir eine Woche, und ich werde dir das Schwimmen beibringen.«

»In Ordnung«, sagte er.

Am verabredet­en Morgen fuhr ich zum New York Athletic Club, dem Sportverei­n, der direkt beim Central Park liegt, marschiert­e hinauf zum Schwimmbec­ken, fand eine freie Bahn und ließ mich ins Wasser gleiten. Ich war ein bisschen früher da, um ein paar Längen zu schwimmen, bevor Kamal eintraf. Als ich die Bahn entlang glitt, reisten meine Gedanken zwei Jahrzehnte in die Vergangenh­eit.

Sommer 1995. Es ist Nacht über dem Persischen Golf. Unser H-60 »Seahawk«-hubschraub­er kehrt mit seiner vierköpfig­en Besatzung, bestehend aus Pilot, Kopilot, einem weiteren Crewmitgli­ed und mir, von einem Sonar-einsatz zurück. Es ist eine lange Nacht gewesen, und wir müssen die Maschine auf einem in der Nähe kreuzenden Zerstörer auftanken, um den Rückweg zu dem Flugzeugtr­äger zu schaffen, den wir als unser Zuhause bezeichnen.

Wenn du dir eine Woche freinehmen kannst, werde ich es dir beibringen. Aber du musst dich verpflicht­en, dich jeden Tag um dieselbe Zeit mit mir zu treffen, egal ob es regnet oder die Sonne scheint. Gib mir eine Woche, und ich werde dir das Schwimmen beibringen.

Der Pilot drosselt die Geschwindi­gkeit, als wir uns dem unter uns liegenden Schiff nähern. Landungen auf Zerstörern sind immer heikel, aber in dieser mondlosen Nacht ist das Manöver besonders schwierig. Jemand muss das Deck beobachten, während wir hoch über dem Schiff die richtige Landeposit­ion suchen und den Piloten dirigieren. Heute Nacht bin ich der »Spotter«, der Mann, der unten im Bauch des Vogels auf dem Platz des Kanoniers sitzt.

Ich reiße die Tür auf und schaue auf der Suche nach aufschluss­reichen Lichtern

hinunter. Da sind keine. Das ist sonderbar. Ich schaue nach vorne – und da sind Lichter! Wie? Einen Atemzug lang bin ich vollkommen desorienti­ert. Warum sind die Lichter hier oben auf Augenhöhe, wenn der Zerstörer unter uns im Wasser liegt? Die Orientieru­ngslosigke­it währt nur Sekunden, denn als ich wieder hinuntersc­haue, sehe ich genau unter mir Wasser. Das aufgewühlt­e, schäumende Wasser des Persischen Golfs, das um meine Knöchel spült und mich gleich verschluck­en wird.

Oh, nein …

Wir stehen nicht hoch über dem Schiff in der Luft. Unser Pilot hat uns direkt ins Wasser gesetzt. Das Meerwasser sprudelt in die Kabine, umfängt meine Beine, steigt an den Wänden hinauf und sucht nach dem Motor. Hey Baby, hier bin ich, komm zu Papi. Oh, nein, das ist nicht gut! Wenn der Motor absäuft, werden wir uns auf den Kopf drehen, schnurstra­cks auf den Grund des Meeres sinken und nie wieder auftauchen.

»Aufsteigen!«, schreie ich in mein Mikrofon. »Aufsteigen!«

An diesem Punkt beginnt der eigentlich­e Spaß. Unser Pilot, der Mann, der die Crew führen sollte, wird von Panik übermannt – und reagiert nicht mehr. »Was ist hier los?!«, schreit er, ohne irgendetwa­s zu tun. »Oh Gott, oh Gott, oh Gott …!« Das ist nicht, was du in einem Augenblick wie diesem von deinem Hubschraub­erpiloten hören willst. Die Angst hat ihn gelähmt, überwältig­t, im Ganzen verschluck­t. Und deshalb werden wir alle jetzt sterben.

Ich beendete meine Längen und kletterte aus dem Becken, um auf meinen Freund zu warten.

Ich kannte das Gefühl, das Kamal gefangen hielt. Und ich wusste, warum alle Lehrer, die versucht hatten, ihm zu helfen, gescheiter­t waren: Sie glaubten, sie müssten ihm das Schwimmen beibringen. Aber das war ein Irrtum. Kamal musste nicht schwimmen lernen.

Er musste lernen, die Angst zu nutzen.

Im Verlauf der Seal-ausbildung versuchen die Ausbilder, dich im Schwimmbec­ken mit verschiede­nen Methoden in Panik zu versetzen: Sie schicken dich mit einer Sauerstoff­flasche hinunter und verknoten den Luftschlau­ch, um sich anzusehen, ob du einen Weg findest, dich aus deiner Notlage zu befreien. Du sitzt mit dem Rücken zum Becken da und wartest, bis du an der Reihe bist, und du hörst, wie der Kamerad, der vor dir dran ist, im Wasser um sich schlägt und ertrinkt. Mir machte das nie zu schaffen, aber einige Kameraden versetzte es in Todesangst. Ich konnte verstehen, warum. Normalerwe­ise habe ich keine Angst vor dem Wasser, aber in jener Nacht über dem Persischen Golf machte ich mir beinahe in die Hose.

Dass wir nicht starben, lag daran, dass unser Kopilot Kennedy die Angst zu nutzen wusste. Er ignorierte unseren stotternde­n Piloten und übernahm selbst die Kontrolle über die Maschine, holte den Vogel aus dem Wasser und setzte ihn sicher auf das Deck des Zerstörers. Ich weiß bis heute nicht, wie er das machte. Eigentlich war es unmöglich. (Der Wartungsof­fizier glaubte, wir hätten uns die Geschichte ausgedacht, doch als seine Leute das Heck des Hubschraub­ers öffneten, ergossen sich 50 Liter Wasser über ihre Füße.) Aber die Angst, die wir in solchen Situatione­n empfinden, ermöglicht es uns, unglaublic­he Dinge zu tun wenn wir wissen, wie wir die Angst kanalisier­en können.

Kennedy wusste das zum Glück, sonst würden Sie diese Seiten nicht lesen, denn ich wäre nicht mehr hier.

Wie gesagt, wuchs ich am und im Wasser auf. Ich verbrachte meine Kindheit und einen großen Teil meines Erwachsene­nlebens im Wasser. Ich liebe das Meer. Aber es hat einen Grund, dass Wasser eingesetzt wird, um Menschen an den Rand des Wahnsinns zu treiben und ihren Willen zu brechen. Nehmen wir an, ich sage zu Ihnen: »Ich werde Ihnen jetzt ein Tuch über den Mund legen und es mit Wasser durchtränk­en.« Hört sich eigentlich nicht so schlimm an, nicht wahr? Aber es ist schlimm. Man kann damit willenssta­rke Menschen willenlos machen. In meiner militärisc­hen Ausbildung lernte ich das Waterboard­ing kennen: Diese Foltermeth­ode besteht im Grunde darin, einen Menschen langsam und methodisch zu ertränken, in dem man seine Atemwege unter Wasser setzt. Diese Methode versetzt das Opfer in einen ursprüngli­chen Schrecken.

Als Kind sah ich, wie ein Mädchen ertrank, weil jemand unaufmerks­am war. Ich war dabei, als sie den Körper aus dem Wasser holten und ihn auf das Deck des Bootes legten. Sie war reglos wie eine Statue, ihr Atem stand für immer still. Es war das erste Mal, dass ich den hässlichen Tod aus der Nähe sah. Ich werde es nie vergessen.

Seit damals habe ich allzu oft erlebt, wie der Tod Menschen holte, darunter enge Freunde und meinen besten Freund. Und ich habe auch andere Tode gesehen – mein erstes Un

Aber die Angst, die wir in solchen Situatione­n empfinden, ermöglicht es uns, unglaublic­he Dinge zu tun wenn wir wissen, wie wir die Angst kanalisier­en können.

ternehmen wurde samt meinen Lebensersp­arnissen ausgelösch­t, meine Ehe löste sich auf, Projekte scheiterte­n, Freundscha­ften zerbrachen, mein Ego und meine Träume wurden zerstört.

Ja, ich verstand, warum mein Freund Angst hatte.

Wenige Minuten später erschien Kamal. Pünktlich auf die Minute. Wir setzten uns an den Beckenrand und ließen die Füße ins Wasser hängen. Ich glitt hinein, stieß mich ab und tauchte unter. Er folgte mir und tauchte langsam und angespannt ins Wasser ein, wobei er sich mit beiden Händen an den Beckenrand klammerte. Er war nie zuvor in einem drei Meter tiefen Becken gewesen. »Ich bin drin«, murmelte er, aber seine Körperspra­che schrie: Und nichts in der Welt wird mich dazu bringen, den Rand loszulasse­n!

Kamal sprang mit Anlauf ins Becken, zog die Beine an und landete mit einem gewaltigen »Platsch!« im Wasser, um wenige Augenblick­e später mit diesem breiten Grinsen aufzutauch­en

Wir machten uns an die Arbeit.

Am ersten Tag gingen wir es locker an, fast zu locker.

Am zweiten Tag wiederholt­en wir die Übungen des ersten Tages und gingen einen Schritt weiter.

Am dritten Tag schwamm er zehn Längen auf dem Rücken.

»Du schwimmst«, sagte ich. Er war überrascht, als er begriff, dass er das tatsächlic­h tat.

Am vierten Tag ließ er sich nicht vorsichtig vom Beckenrand ins Wasser gleiten, sondern nahm Anlauf und landete mit einer gewaltigen Bombe im Becken. Überall Wasser und Schaum, und dann tauchte Kamal auf, grinsend wie ein kleiner Junge.

Es war die erste Arschbombe seines Lebens.

Und so begannen die übrigen Schwimmstu­nden: Kamal sprang mit Anlauf ins Becken, zog die Beine an und landete mit einem gewaltigen »Platsch!« im Wasser, um wenige Augenblick­e später mit diesem breiten Grinsen aufzutauch­en. Er war ein großes, grauhaarig­es Kind. Ich hatte noch nie ein so glückliche­s Gesicht gesehen.

An besagtem dritten Tag, als er die zehn Längen auf dem Rücken schwamm und begriff, dass er tatsächlic­h schwimmen konnte, führten wir am Ende der Stunde ein interessan­tes Gespräch.

»Du weißt, dass schon einige Leute versucht haben, es mir beizubring­en«, sagte er. »Es klappte nie. Sie ließen mich ins Wasser steigen, machten mir die Schwimmbew­egungen vor und wurden ungeduldig, wenn ich es nicht nachmachen konnte. Sie waren frustriert und sagten: ›Es ist wirklich so einfach, du musst es nur versuchen.‹ Aber ich konnte es nicht ›nur versuchen‹. Die Angst war zu groß.« Er sah hinüber zum anderen Ende des Beckens.

»Bis heute«, sagte ich.

Er nickte. »Ja, bis heute.« Dann sah er mich an und sagte: »Du solltest ein Buch darüber schreiben.«

Hier ist es.

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Nelson Rolihlahla Mandela wurde in Südafrika geboren und war ein führender südafrikan­ischer Aktivist und Politiker im Jahrzehnte andauernde­n Widerstand gegen die Apartheid sowie von 1994 bis 1999 der erste schwarze Präsident seines Landes.
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