Roger Federer: Die lebende Tennislegende
Roger Federer ist eine der populärsten Figuren unserer Zeit, er gewann 20 Grand-slam-turniere und gilt in seinem Sport als nahezu unbesiegbar
Für die Schweiz ist der erfolgreichste Tennisspieler aller Zeiten zum lebenden Nationalheiligtum geworden. Jedoch, typisch schweizerisch, geht es hierbei eben nicht (nur) um Reichtum und Popularität, Roger Federer verkörpert noch ganz andere Werte. Als vor Kurzem jugendliche Klimaaktivisten in die Filiale eines seiner Sponsoren, der Credit Suisse, eindrangen und dort aus Protest Tennis spielten, antwortete der Star diplomatisch, bescheiden und selbstkritisch: „Ich bin den jungen Klimaaktivisten dankbar, dass sie uns alle dazu zwingen, unser Verhalten zu überprüfen.“Und ehrlich war er trotzdem: „Ich verbringe so viel Zeit im Flugzeug. Deshalb kann ich den Leuten nicht sagen, sie müssten darauf achten, nicht so viel zu fliegen.“
So beherrscht war der Star bekanntermaßen nicht immer. Als Jugendlicher war er ungestüm und wurde auch mal laut beim Fußballtraining oder auf dem Tennisplatz; vielleicht hat er heute auch deswegen Verständnis. Er dürfte damals eher als Gegensatz zu seinem Vater, Robert Federer, gewirkt haben, der leise, ausgewogen und charmant war. Robert stärkte ihm, wie andere Väter auch, den Rücken und stand in der Coaching-zone am Spielfeldrand, aber oft zugehört habe der eigenwillige Roger nicht, erzählte er später Journalisten. Ja sogar manchmal hätten sich seine Eltern für sein Verhalten geschämt.
Robert und Lynette brachten Opfer und investierten viel Zeit, Rogers Temperament, sein Wille und Talent forderte der Familie einiges ab. Und „als Familie mussten wir stets rechnen,“sagte sein Vater,
der für Ciba-geigy als Chemie-laborant arbeitete und sein Arbeitspensum im Vertrieb aufstockte, um die Ausbildung seines Sohnes stemmen zu können. Er selber hatte große Träume, wollte aus der Schweiz auswandern, suchte das Abenteuer in Südafrika und traf dort Lynette, damals kaufmännische Angestellte.
Nach Diana war Roger das zweite Kind des ungewöhnlichen Paares. Er hielt schon mit drei Jahren seinen ersten Tennisschläger in der Hand und trat mit acht Jahren dem Tennisclub „Old Boys“bei. Federer spielte auch Fußball bis er 12 Jahre alt war, wechselte dann ins nationale Trainingscenter der Schweiz in Ecublens und wurde von dem Australier Peter Carter trainiert. Mit 16 Jahren spielte er das erste mal bei den Junioren-weltmeisterschaften, dem Orange
Bowl in Miami, und erreicht dort auf Anhieb das Achtelfinale.
Carter, auch ein Mann der sanften Töne, wurde zum Familienfreund und Idol Rogers. Als der designierte Nationaltrainer am Schweizer Nationalfeiertag 2002 bei einem Autounfall in Südafrika, in seinen Flitterwochen, tödlich verunglückte, stürzte es den 21-Jährigen Federer in eine tiefe Krise. 16 Jahre später sagte er zurückblickend: „Sein Tod war ein Weckruf für mich. Danach begann ich richtig zu trainieren. Peter hätte nicht gewollt, dass ich mein Talent verschwende.“Das Cnn-interview ging um die Welt, vor laufender Kamera fing er an zu weinen: „Ich vermisse ihn immer noch so sehr!“Wie eng die Verbindung war zeigte sich auch jährlich bei den Australian Open: Die hochbetagten Eltern Carters saßen jedesmal im Publikum und feuerten Roger an.
Zum Zeitpunkt des Unglücks wurde Federer allerdings bereits von dem Schweden Peter Lundgren trainiert. Seinen ersten Wimbledon-sieg errang er 2003, den Wm-titel in Houston, Texas, ohne jegliche Niederlage. Das Tennis-magazin „Smash“etikettierte den Basler als „Michelangelo des Tennis“; der junge Mann reifte unter Lundgrens Führung zum Profi.
Umso erstaunter war die Öffentlichkeit, als Federer die Trennung von Lundgren
bekannt gab – ohne Nachfolger, ohne eine Perspektive für die Saison 2004 in Melbourne und ohne Statement. Der Tennisprofi selber trat auf einer Benefiz-gala zusammen mit Marat Safin, Yannick Noah und Phil Collins auf und ließ alle Möglichkeiten für öffentliche Äußerungen verstreichen. Vater und Mutter Federer weilten im Urlaub und hielten den „Zeitpunkt für eine Kommentierung ungeeignet“. Lundgren bedankte sich respektvoll, formell und höflich und dankt den Medien für ihre Fairness.
Zum Masters Cup in Texas sei er bereits „körperlich und mental im stumpfen Zustand angereist“, wusste die NZZ damals zu berichten. Zuvor hatte er aber Matches wie nach Fahrplan gewonnen und der schwedische Trainer, der als Spieler selber bis Platz 25 der Weltrangliste aufstieg, hatte seinen Arbeitgeber dabei begleitet. Der junge Federer, auf dem Court angriffslustig, bissig und mutig, hatte sich mit der Entscheidung aber Zeit gelassen. Er habe den Umgang mit seinem Trainer nicht mehr als Komfortzone empfunden. Der habe sich, wie die sportliche Perspektive der Instruktionen, „abgenutzt“. Es sei „einfach Zeit für etwas Neues“gewesen.
„Mirka hält mir den Rücken frei, muss allerhand einstecken“, entschuldigte Roger seine Freundin gegenüber dem ‚Blick‘. Er könne sich so auf das Tennis konzentrieren, während sie ihn an vielen anderen Fronten mit grossem Einsatz entlaste. Die zwei Jahre ältere Ostschweizerin mit slowakischen Wurzeln lernte er bei den olympischen Sommerspielen in Sydney kennen. Sie verlor damals in der Startrunde, er verpasste knapp eine Medaille, beide verliebten sich. Als sie ihre Tenniskarriere wegen einer Fußverletzung aufgeben musste, hielt Roger zu ihr. „Roger hat mir mein Tennisleben zurückgegeben. Wenn er gewinnt, ist es, als ob ich auch gewinnen würde.“2009 heirateten die beiden und gewinnen bei diesem gemischten Doppel gleich zwei Zwillingspaare, zwei Jungen und zwei Mädchen.
In der trainerlosen Zeit bestand das Team Federer neben Mirka und Rogers Eltern noch aus seinem Physiotherapeuten Pavel Kovac und dem Freund Reto Staubli, heute Bänker bei dem Federer-sponsor Credit Suisse. Nicht zuletzt war da noch Pierre Paganini, Federers Konditionstrainer seit dessen 14. Lebensjahr. Sie waren Bezugspersonen und mussten die Arbeit des Trainers teilweise übernehmen. Die Sportwelt wunderte sich, wie lange das gut gehen soll.
Es ging sehr lange und sehr gut. Er holte Titel in Wimbledon und New York, während er zahlreiche Trainer, die sich ihm anboten, abblitzen ließ. Roger Federer wollte nämlich nur einen, oder keinen: Tony Roche, einer der erfolgreichsten Spieler in der Geschichte des Tennis. Doch der 60-jährige Australier zierte sich, hatte bereits Pete Sampras einen Korb gegeben. Nach dem er bereits Ivan Lendl und Pat Rafter trainiert hatte, genoss er sein zufriedenes, ruhiges Leben in einem Vorort von Sydney. Vielleicht nicht ganz zufällig, dass es ein Australier sein musste.
Tony, der selber 13 Grand Slams im Doppel gewann, fühlte sich auch nicht in der Lage, die Nr. 1 der Welt zu trainieren, er wollte die bestmögliche Arbeit abgeben. Und selbst wenn Roger Federer ein Selbstläufer war, so wollte er nicht mehr so viel reisen. Schließlich war er doch beeindruckt von der Respektbezeugung, als der Tennis-primus über Weihnachten zu ihm nach Down Under, in die Hitze, zum Training fuhr.
„Es ist aufregend, ihm zuzusehen. So sollte das Spiel gespielt werden,“sagte der Gewinner der French Open von 1966 und so ging er das Engagement am Ende doch ein. Roger kam ihm noch weiter entgegen und verlegte seine Trainingsbasis nach Dubai, damit Tony von Sydney aus direkt dort hinfliegen konnte.
War Federer bis dahin „ein Vivaldi, der in vier Jahreszeiten spielen kann,“wie sein
Fitness-coach Paganini seine Fähigkeit, unter allen Bedingungen zu spielen kommentierte, machte Roche ihn beinahe unbesiegbar. Federers einhändige Rückhand, an sich eigentlich defensiv, flößte seinen Gegnern bisher zwar Respekt ein, doch war es erst Roches Slice, die sie in eine hochgefährliche Angriffswaffe verwandelte. Seine angeschnittenen Bälle reagierten für die Gegner fast unberechenbar und Federer brachte damit viele Partien gegen starke Spieler unter seine Kontrolle.
Die einhändige Rückhand erforderte Kraft und der Slice, die blitzschnelle Berechnung von Wind, Luftfeuchtigkeit und Belag, eine hohe Konzentration. Manch ein Gegner versuchte mit Psychotricks wie einer zermürbenden Eintönigkeit ihrer Paraden die mentale Stärke Federers anzugreifen. Jim Courier nannte ihn einen „Meister der Improvisation“, der im Spiel Freude suchte. Allerdings gab es kaum etwas, was ihn nach mehr als zwei Jahrzehnten im Profi-tennis noch verunsichern konnte. Mit der Zeit lernte er offenbar, seine Emotionen zu kontrollieren und was er an physischer Leistung mit fast 30 einbüßte, machte er durch seine Erfahrung mehr als wett.
Er wurde zur Nummer eins der Weltrangliste. Seine Gegner hakten die anberaumten Partien schon vor Beginn als verloren ab. Sein gefürchteter Ruf machte die bescheidenen und seriösen Eidgenossen dermaßen stolz, dass sie ihm 2007 eine Briefmarke über 100 Rappen, der Tarif für die schnelle A-post, widmeten. „Er repräsentiert unser Land auf einem Topniveau,“erklärte Post-chef Ulrich Gygi auf der Präsentation. "Bisher musste man Großes leisten und sterben, bis man auf eine Marke kam," und Roger war der Erste, dem diese Ehre zu Lebzeiten zuteilwurde. Damit nicht genug, ließ die Schweizer Finanzverwaltung gar eine 20-Franken-münze mit seinem Konterfei prägen.
Federer: „Dass ich in der Schweiz so gewürdigt werde, obwohl ich viel weg bin, ist toll und zeigt, dass ich auch bei den
Leuten gut ankomme. Und dass ich schon in jungen Jahren erleben darf, was noch keine lebende Person sonst hatte, ist ein riesiger Motivationsschub.“
Nicht nur die Nation entdeckte ihn als Botschafter. Seine Sponsoren hatten seine außergewöhnliche Leistungsbereitschaft, die sein sagenhafter Erfolg ausstrahlte, natürlich schon früher genutzt. Für die Vermarktung des sympathischen Mannes ist es ein besonderer Glücksfall, das Federer drei Sprachen spricht. Auf Pressekonferenzen wechselt er scheinbar mühelos zwischen Französisch, Englisch und Deutsch.
Diese Geschäfte übernahm die IMG aus Cleveland, die größte Sportmarketingund Management-agentur der Welt. Warum die Familie ihnen das Mandat zwischen 2003 und 2005 entzog und schließlich wieder übertrug, bleibt unklar. Im Tennis-business ist eben höchste Diskretion in privaten wie geschäftlichen Belangen üblich. Gemunkelt wurde damals, dass eine Firmenbeteiligung der Familie ausgehandelt wurde.
So gibt es denn auch nur vage Schätzungen über die Einkünfte des Tennis-titans. ‚Forbes‘ veranschlagte sein Einkommen 2019 auf 93,4 Millionen Dollar. Die Rekordsumme setzt sich aus Preisgeldern, Sponsoring-verträgen und Gagen zusammen und macht ihn das 14. Jahr in Folge zum höchstbezahlten Tennisspieler in der
Geschichte des Sports.
Auch sein Partner-portfolio ist unübertroffen. Mehr als ein Dutzend Sponsoren zahlen ihm jährlich an die 60 Millionen Dollar, darunter Mercedes-benz, Nike, Rolex, Credit Suisse, Jura and Wilson oder Lindt. Damit hängt er andere Ikonen wie Tiger Woods, Lebron James and Cristiano Ronaldo ab. Insbesondere für die Sponsoren von teureren Artikeln, wie Armbanduhren, Autos, Kleidung oder Finanzdienstleistungen ist Federer interessant, weil Tennis potenziell eher zahlungskräftigere Kunden anspricht, als manch andere Sportarten. Und während die Sponsoren sich bei anderen Athleten eher unstet zeigen, sind sie bemüht, ihre Verträge mit Roger Federer zu verlängern.
In seiner mittlerweile 20 Jahre andauernden Profi-karriere dürften so über eine Milliarde Dollar Vermögen zusammengekommen sein, mutmaßt das amerikanische Magazin ‚Forbes‘. Welche Firmenbeteiligungen bestehen, darüber schweigt sich die Familie zwar diskret aus, aber aus seiner Beteiligung an On, dem schweizerischen Produzenten der Kult-sneakers
mit globalen Ambitionen, machte der Gewinner von 20 Grand-slam-turnieren keinen Hehl.
Mittlerweile spricht er offen über andere Zukunftspläne, auch wenn er selber nicht müde wird zu betonen, dass er den Tennisschläger trotzdem so schnell nicht an den Nagel hängen wird. Federer wird nicht nur Investor von On, die die Produktion ihrer auffälligen Sneakers 2010 in Zürich aufnahmen, sondern auch ihr Designer und Werbeträger in einer Person.
Selbst im Mode-biz scheint er im Vorteil zu sein, er pflegt eine enge Freundschaft zur Chefredakteurin der Vogue, Anna Wintour, mit der er zusammen auf dem roten Teppich Met-gala oder auf Magazincover gesichtet wurde. Dann waren da noch die Sponsoring-verträge mit den global Players Nike und Uniqlo, so passt ein modischer Laufschuh perfekt zu Roger. Da wäre es fast nicht mehr nötig zu erwähnen, dass er die Sneakers von On ohne jeglichen Sponsoring-vertrag beim Lauftraining anzog, weil er von ihnen überzeugt war. Am Ende aber wird das Projekt wahrscheinlich am meisten von der riesigen Fan-gemeinde des Stars profitieren.
Wirklich ruhig ist das Leben des 38-Jährigen, und das seiner internationalen Familie, damit aber immer noch nicht geworden. Erst im Februar spielte das ‚Match in Africa‘ vor 50.000 Zuschauern in Kapstadt 3,5 Millionen Us-dollar ein, die Bildungsprojekte für Kinder im südlichen Afrika zu Gute kommen wird. Auf dem Court stand er mit dem Bill Gates, Rafael Nadal und Trevor Noah. Die ‚Roger Federer Foundation‘ hat in den letzten 17 Jahren bereits 52 Millionen Dollar für diesen guten Zweck in der Heimat seiner Mutter gespendet. „Oftmals bedarf es nur einen kleinen Anschub,“kommentiert der erfolgreichste Tennisspieler sein Engagement.
Die Mühen, die die ungewöhnlichen Eltern in die Entwicklung ihres Sohnes investierten, waren wohl mehr als nur ein „kleiner Anstoß“. „Entscheidend ist: Roger soll er selber bleiben, dem Grundsatz verpflichtet, sportlich das Bestmögliche zu geben und zu leisten. Das gilt im Tennis wie für jeden andern Beruf,“erklärte sein Vater Robert 2019 in einem Interview. In jedem Fall haben sich die Mühen gelohnt, auch wenn es nicht immer leicht war.
„Ich denke, was ich gerne sagen würde, ist dass ich unglaublich großes Glück hatte, die richtigen Leute zur richtigen Zeit hatte, die richtigen Trainer zur richtigen Zeit,“sagte er in dem emotionalen Cnn-interview auf seiner Terrasse in Dubai, nachdem er sich von der traurigen Erinnerung an Peter Carter erholt hatte. „Sicher, man kann anführen, dass ich es war, der die Entscheidungen traf, aber ich hatte auch sehr viel Glück auf meinem Weg.“Als wenn dieser Erfolg ohne sein hartes Training mit seinen Entbehrungen jemals möglich gewesen wäre.
Jetzt plant der gebürtige Basler mit seiner ungewöhnlichen Familie den Neubau eines Anwesens in Raperswil-jona. Für das gut anderthalb Hektar große Grundstück am See entwirft eine Arbeitsgemeinschaft von namhaften Schweizer und südafrikanischen Architekten das Anwesen, mit – selbstverständlich – eigenem Tennisplatz und Sporthalle.