Andy Warhol Rainer Zitelmann
Dr. Dr. Rainer Zitelmann über den Künstler, dessen größtes Kunstwerk die eigene Person war.
Andy Warhol gehört laut der Analyse des „Rankingteams“von Google zu den 500 berühmtesten Personen aller Zeiten und ist der einzige wirklich berühmte Maler aus den vergangenen 60 Jahren. Bereits zu seinen Lebzeiten waren seine Werke Spitzenreiter, was die Ergebnisse bei Auktionen anging. Der Durchbruch für Warhol als Künstler, der ursprünglich als Werbegrafiker gearbeitet hatte, kam mit der Ausstellung der „32 Campbell’s Soup Cans“im Sommer 1962 in der Ferus Gallery in Los Angeles. Seine Kunst war von Anfang an verbunden mit einem untrüglichen Sinn für kreative PR: Als die Bilder mit den überdimensionalen Suppendosen erstmals gezeigt wurden, an den Wänden aufgereiht wie Auslagen im Supermarkt, wurde Warhol zunächst dafür verspottet. Seine Bilder sahen nicht nach Kunst aus – und doch behauptete Warhol, sie seien Kunst. Eine konkurrierende Galerie stellte ihre Schaufenster voller Campbell-suppendosen, versehen mit dem Spruch: „Das Original – für nur 33 Cent pro Dose!“Warhol nahm daraufhin einen Fotografen mit in den nächsten Supermarkt und ließ sich dabei fotografieren, wie er „das Original“, also echte Suppendosen, signierte. Eines der Fotos wurde von der führenden Nachrichtenagentur Associated Press übernommen und ging um die halbe Welt.
Der bedeutende Kunstkritiker John Perrault schrieb: „Für Millionen ist Warhol die Personifizierung eines Künstlers. Seine geisterhafte Blässe, das silbrige Haar, die Sonnenbrille und das schwarze Lederjackett tragen zu seinem denkwürdigen Image bei, vor allem in Verbindung mit sensationellen Schlagzeilen… einige behaupten sicher, dass Warhols größtes Kunstwerk ‚Andy Warhol’ ist.“Warhol hat es wie kaum ein anderer Künstler verstanden, aus sich selbst eine Marke zu machen. Das war die Kunst, die er am besten beherrschte.
»FÜR MILLIONEN IST WARHOL DIE PERSONIFIZIERUNG EINES KÜNSTLERS. SEINE GEISTERHAFTE BLÄSSE, DAS SILBRIGE HAAR, DIE SONNENBRILLE UND DAS SCHWARZE LEDERJACKETT TRAGEN ZU SEINEM DENKWÜRDIGEN IMAGE BEI, VOR ALLEM IN VERBINDUNG MIT SENSATIONELLEN SCHLAGZEILEN… EINIGE BEHAUPTEN SICHER, DASS WARHOLS GRÖSSTES KUNSTWERK ‚ANDY WARHOL’ IST.« – JOHN PERRAULT
Er glaubte an die Allmacht der Medien und verstand es meisterhaft, sie zu nutzen. In einem Interview erklärte Warhol: „Niemand entkommt den Medien. Die Medien beeinflussen jeden. Sie sind eine sehr mächtige Waffe. George Orwell prophezeite die Macht der Medien mit dem Satz ‚Big Brother is watching you’ in seinem visionären Roman ‚1984‘.“
Warhol konzentrierte sich auf das Wesentliche, und das hieß für ihn: Sich selbst zu vermarkten. Seine Kunstwerke ließ er häufig von Assistenten herstellen und setzte dann nur seinen Namen darunter. Oft war es schwer zu sagen, wer überhaupt ein „Warhol“-kunstwerk gemacht hat – er oder einer seiner zahlreichen Assistenten. Ein Kunstwerk, so beteuerte er verschiedentlich, brauche durchaus nicht vom Künstler selbst geschaffen zu sein. Es reiche, wenn er seine Signatur daruntersetze, nachdem man es vom Fließband genommen habe.
Warhol erweckte immer wieder den Eindruck, er wolle sich selbst überflüssig machen. Nicht selten ließ er sich bei öffentlichen Auftritten von einem Doppelgänger vertreten, dem Schauspieler Allen Midgette. Als er zu einer Reihe von Gastvorträgen eingeladen wurde, kam er nicht selbst, sondern der Schauspieler; bei anderer Gelegenheit ließ er verlauten, er werde sich durch einen Roboter ersetzen lassen. Natürlich flog die Sache mit dem Doppelgänger auf, und das hatte das Pr-genie Warhol sicherlich auch einkalkuliert, denn so gab es eine neue Story für die Medien. Warhol verstand es blendend, sich ins Gespräch zu bringen. Eine der Methoden war die gezielte Provokation. Einmal erhielt er den Auftrag, ein Wandbild für den Usa-pavillon auf der Weltausstellung in New York im Jahr 1964 zu machen. Das Bild sollte die USA bei der Ausstellung vertreten, und Warhol zeigte Porträts der 13 meistgesuchten Verbrecher der USA. Doch noch vor Beginn der Ausstellung erklärten Regierungsbehörden, dass man die USA nicht mit diesen Bildern repräsentieren wolle und zwei Wochen vor der Eröffnung stellte Philip Johnson, der Architekt des Pavillons, Warhol ein Ultimatum, die Bilder binnen 24 Stunden zu entfernen.
Ein Grund war angeblich, dass Nelson Rockefeller, der Gouverneur von New York, befürchtete, die Fotos der Verbrecher (die überwiegend italienischer Abstammung waren) würden bei einer für ihn wichtigen Wählergruppe auf Ablehnung stoßen. Warhol machte daraufhin einen Gegenvorschlag – die Porträts der Verbrecher durch 25 Porträts von Robert Moses, dem Präsidenten der World’s Fair Corporation, zu ersetzen. Doch auch dieser Vorschlag wurde abgelehnt. Warhol entschloss sich, die Bilder der „13 Most Wanted“mit Aluminiumfarbe zu übersprühen, was natürlich für noch mehr Aufmerksamkeit sorgte.
Am 3. Juni 1968 wurde Warhol Opfer eines Attentates. Eine militante Frauenrechtlerin zog zwei Pistolen und schoss mehrfach auf ihn. Zu Protokoll gab sie, sie habe auf ihn geschossen, „weil er zuviel Macht über mein Leben hatte“. Warhol wurde lebensgefährlich verletzt und war schon für klinisch tot erklärt worden, überlebte aber nach einer mehrstündigen Operation. Doch kaum war er aus dem Krankenhaus entlassen, überlegte er sich, wie er das Attentat und seine Folgen mediengerecht vermarkten könnte. Sein Körper war von zahlreichen Narben gezeichnet und Warhol entschloss sich, ihn von dem berühmten Porträtfotografen Richard Avedon ablichten und von der Porträtistin Alice Neel malen zu lassen. Legendär ist sein Kommentar zu den Verletzungen: „Ich sah aus wie ein Dior-kleid, nein, wie ein Yvessaint-laurent-kleid, lauter Nähte.“
Andere Künstler bemühten sich wortreich, ihre Kunstwerke zu erklären und den Menschen mitzuteilen, was sie sich dabei gedacht hätten. Warhol lehnte dies ab. Das Neue, was er zur Kunst beitrug, war unter anderem, dass er Konsumgüter des täglichen Lebens – so etwa eine Suppendose oder eine Colaflasche – zu Objekten seiner Kunst machte. Die Menschen rätselten, ob er damit Liebe oder Abscheu zu diesen Produkten ausdrücken wollte, ob er ein linker Kritiker der amerikanischen Konsumgesellschaft oder ob er fasziniert von ihr sei – oder vielleicht beides zugleich.
Warhol betonte immer wieder, seine Kunst spreche für sich. Es gäbe nichts hineinzudeuten und hineinzuinterpretieren. Warhol bestand darauf, dass seine Kunstwerke nichts ausdrücken, nichts bedeuten sollten – ein in der Geschichte der Malerei bis dahin einmaliger Fall.
»NIEMAND ENTKOMMT DEN MEDIEN. DIE MEDIEN BEEINFLUSSEN JEDEN. SIE SIND EINE SEHR MÄCHTIGE WAFFE.« – ANDY WARHOL