Brainset – Wie entscheide ich? Karsten Brocke
Wir reden unentwegt mit uns selbst. Jedes Mal, wenn wir am Morgen erwachen, erwacht das Bewusstsein und fängt an, zu quatschen.
Das Gehirn trifft ständig und unentwegt Entscheidungen. Manche werden uns bewusst, die allermeisten jedoch nicht. Was wir hören, sehen, ob wir stehen, gehen, rennen, mutig oder ängstlich sind, voller Lebensfreude oder Missmut – all dies sind Entscheidungen unseres Gehirns. Diese Entscheidungen machen uns zu dem Individuum, das wir sind. Bei Entscheidungen steht das Gehirn in einem ständigen Konflikt. Es muss ständig Entscheidungen treffen. Beispiel: Koche ich »Pasta mit Tomatensoße« oder lieber »Pasta Aglio e Olio«? Alles wird mir schmecken und diese beiden Gerichte kenne ich und sind mir lieb gewordene Speisen.
Wie wird nun entschieden? Meine Gehirnzellen arbeiten wie wild, bilden konkurrierende Netzwerke. Der eine Teil hat die Vorliebe zu Tomatensoße, der andere Teil liebt Aglio e Olio. Ich entscheide mich für »Pasta Aglio e Olio«. Aber ernsthaft: Ich weiß nicht wieso, ich habe es einfach getan. Könnte ich nun in mein Gehirn schauen, so würde ich entdecken, dass der Teil meines neuronalen Netzwerkes das sich für »Aglio e Olio« entschieden hat, einfach mehr kämpfte und damit das andere Netzwerk besiegte.
Wie hat das mein Gehirn gemacht? Wer redet da mit wem darüber? Unser Gehirn »bespricht« alles mit sich. Wir reden unentwegt mit uns selbst. Jedes Mal, wenn wir am Morgen erwachen, erwacht das Bewusstsein und fängt an, zu quatschen. Diese Selbstgespräche (auch Gehirnsprache) werden im Gehirn vorbewusstlich geführt, ohne dass wir dies mitbekommen. Manchmal wird es uns bewusst und dann reden wir mit uns selbst im Kopf laut, obwohl der Mund zu ist. Diese Gehirnsprache können Sie testen. Genau jetzt, während Sie diesen Text lesen, lesen Sie im Kopf laut. Wir führen ständig Selbstgespräche. Diese Gehirnsprache begleitet uns bei jeder Entscheidungsfindung, bei jeder! Unser Leben ist demnach nicht nur so, wie wir denken, sondern vor allem so, wie wir mit uns reden.
Manchmal können wir dieses Tauziehen regelrecht spüren. Wenn Sie in sich die
häufig gestellte Frage hören »soll ich es tun oder lieber unterlassen?«, werden Sie den emotionalen und rationalen Kampf selbst empfinden. Es gibt zwei große Bereiche in unserem Gehirn, die immer wieder bei Entscheidungen in Konflikt geraten: Der Verstand und das Gefühl. Diese beiden Systeme arbeiten zusammen. Meistens wird uns dies nicht bewusst und wir wissen auch nicht, wieso wir gerade so entschieden haben. In manchen Situationen (und die sind nicht gerade selten) können Verstand und Gefühl in Konflikt geraten. Wenn dies geschieht und dem Bewusstsein bekannt wird, wird es schwierig, denn der Konflikt muss ja aufgelöst werden. Eine Entscheidung steht an.
Das »Trolley-problem«
Schauen wir uns dies einmal genauer an. Es gibt dazu ein interessantes Experiment aus dem Jahre 1967: Das »Trolleyproblem«, entwickelt von der britischen Philosophin Philippa Foot. »Eine Lock ist außer Kontrolle geraten und droht, fünf Personen zu überrollen und zu töten. Durch Umstellen einer Weiche kann die Lock auf ein anderes Gleis umgeleitet werden. Unglücklicherweise befindet sich dort auch eine Person. Darf durch das Umlegen der Weiche der Tod einer Person in Kauf genommen werden, um das Leben von fünf Personen zu retten?« Das ist die Frage – und sachlich betrachtet würde es Sinn machen. Deshalb haben sich viele Menschen in den Experimenten dazu entschieden, das Gleis umzustellen. Nun stehen die Probanden vor derselben Aufgabe, nur das Szenario verändert sich. »Eine Lock ist außer Kontrolle geraten und droht, fünf Personen zu überrollen. Sie können den Zug stoppen, indem Sie einen beleibten Mann von einer Brücke auf die Gleise stoßen und so den Zug zum Stehen bringen.« Nun kommen im Gehirn die Komponenten der Gefühle und Moral hinzu. Viel weniger Probanden waren nun bereit, den Mann zu töten, um die fünf Arbeiter zu retten.
Das ist das Dilemma. Sobald Gefühle mit ins Spiel kommen, »gewinnt« beim Kampf um die Entscheidung immer das Gefühl (limbisches System) und nicht der Verstand (präfrontaler Cortex). Das menschliche Gehirn entscheidet nicht auf der Grundlage von Fakten, sondern von Gefühlen und Werten. Alles, was wir entscheiden, wird antizipiert, also welche Wirkung (emotional) das, was wir entscheiden, in der Zukunft hat. Dieses Bild der Zukunft erzeugt in der Gegenwart ein Gefühl. Dies wird mit dem Verstand abgeglichen und dann entschieden. Das Gehirn ist kein Faktenorgan, sondern ein vorbewusstliches, soziales Organ. Das Gehirn entscheidet sich auf Grundlage der Beantwortung der Frage: »Ist es mir das wert?«
Wenn Sie in sich die häufig gestellte Frage hören »soll ich es tun oder lieber unterlassen?«, werden Sie den emotionalen und rationalen Kampf selbst empfinden.