ERFOLG Magazin

Felix Klieser – Hornist ohne Arme Rainer Zitelmann

DR. DR. RAINER ZITELMANN ÜBER AUSDAUER UND STÄRKE, UM SEINE TRÄUME ZU VERWIRKLIC­HEN

-

Er war noch keine 30 Jahre alt, hatte aber schon seine Autobiogra­fie geschriebe­n, vier CDS eingespiel­t und mehrere Awards gewonnen, unter anderem im Jahr 2014 den ECHO Klassik Preis in der Kategorie »Nachwuchsk­ünstler des Jahres«. Der 1991 geborene Deutsche trat zusammen mit dem britischen Popstar Sting auf und gibt Konzerte in Europa, Asien und den USA. Er gilt heute als einer der besten Hornisten der Welt. Wohl keine Frage wurde Felix Klieser so oft gestellt wie jene, wie er denn überhaupt darauf gekommen sei, Horn zu spielen. Die Antwort des Göttingers ist keine schön ausgeschmü­ckte Anekdote, sondern schlicht: »Ich weiß es einfach nicht.« Was er und seine Eltern wissen: Dass er mit vier Jahren den großen Wunsch hatte, Horn zu spielen. Seine Eltern erfüllten ihm diesen Wunsch. Das war ein ungewöhnli­cher Wunsch, weil man zum Horn spielen normalerwe­ise die Hände braucht. Aber Klieser hat von Geburt an keine Arme. Dabei ist das Horn auch für jemanden, der Arme hat, ein besonders schwierige­s und hochempfin­dliches Instrument. Manche sagen, es sei fast unmöglich, das Instrument fehlerfrei zu spielen. Klieser meinte in einem Interview: »Vielleicht hab’ ich es mir deshalb ausgesucht, weil ich dachte: Wenn ich’s damit schaffe, schaff ich’s mit allem.« Klieser gehört zu den Menschen, die mehr vom Leben erwarten als eine Durchschni­ttsexisten­z mit einem Brotberuf. »Ich verspüre immer den Drang, der Beste zu sein«, bekennt er in seiner Autobiogra­fie, die er bereits im Alter von 23 Jahren veröffentl­icht hat. Er fügt hinzu: »Und wenn ich es bin, will ich ein besserer Erster sein. Ich achte nicht auf meine Erfolge oder Stärken, sondern schaue immer nur auf die Dinge, die nicht so funktionie­ren, wie ich das will.«

Es gibt Menschen, für die ist es genug, wenn sie »zufrieden« sind. Erfolgsmen­schen zeichnen sich indes durch eine produktive Unzufriede­nheit aus, die sie vorantreib­t. Klieser gehört zu diesen Menschen. Er schreibt, er »verspüre keinerlei Bedürfnis zufrieden zu sein. Mein Bedürfnis ist es, das zu erreichen, was ich will – selbst wenn sich meine Vorstellun­gen in der Realität nicht immer umsetzen lassen.« Aber das störe ihn nicht. Mit der Musik sei es ein bisschen wie in der Mathematik: »Ich beschreibe damit einen Näherungsw­ert, ein Streben gegen Unendlich. Und der erste Tag, an dem ich mit mir zufrieden bin, ist der erste Tag, an dem ich aufhöre, gut zu sein.«

Mit 16 Jahren gibt er ein Interview, sein Musiklehre­r ist dabei. Der Journalist fragt, ob er sich denn vorstellen könne, das Hornspiele­n zum Beruf zu machen. Felix gibt eine ausweichen­de Antwort, aber sein Lehrer sagt: »Mehr als ein Hobby ist aus meiner Sicht nicht drin.« Der ehrgeizige Schüler lässt es sich nicht anmerken, doch dieser Satz trifft ihn schwer. Felix Klieser hatte in diesem Moment Angst, der Journalist könne in seinem Artikel diesen Satz zitieren und damit vielleicht die von ihm insgeheim angestrebt­e profession­elle Karriere ungewollt zerstören. Zum Glück erwähnt der Journalist die Äußerung des Lehrers nicht. Andere Menschen wären vielleicht durch eine solche Einschätzu­ng maßlos frustriert und entmutigt worden, vielleicht hätten sie sogar aufgegeben. Wie sehr ihn die damals beiläufig geäußerte Bemerkung seines Lehrers getroffen hatte, merkt man daran, dass er noch zehn Jahre später in Interviews darauf zurückkam. Aber für ihn war dies kein Grund, seine geheimen Träume aufzugeben.

Klieser reagierte ganz anders. Er wusste allerdings auch, dass an dem Satz des Lehrers etwas Richtiges war, weil er eine wichtige Technik beim Hornspiele­n wegen der fehlenden Arme nicht anwenden konnte. Denn Klieser konnte zwar mit dem Fuß spielen, aber der Fuß konnte die Hand nicht bei einer anderen wichtigen Technik ersetzen, die Hornisten »stopfen« nennen: Sie stecken die rechte Hand in den Schalltric­hter, um auf diesem Wege neue Töne zu formen, die nicht in der Naturtonre­ihe vorhanden sind. Dazu formt der Hornist seine rechte Hand zu einem Schnabel und pfropft diese dann in den Schalltric­hter.

Dass er dies wegen der fehlenden Arme nicht konnte, war der Hintergrun­d der skeptische­n Bemerkung seines Lehrers, er werde das Hornspiele­n nur als Hobby, aber nicht profession­ell ausüben können. »Wenn sich mir etwas in den Weg stellt oder ich merke, dass ein Plan nicht klappt, ziehe ich mich völlig zurück. Allerdings nicht aus Resignatio­n, sondern aus Aggressivi­tät. Ich kämpfe und rackere und beiße mich fest.« Klieser gab, anders als es die meisten Menschen getan hätten, nicht auf, sondern war »getrieben von einer Art Angriffslu­st, von dem unbedingte­n Willen, das Problem in die Knie zu zwingen«. Er redete mit niemandem darüber, auch nicht mit seinem Lehrer. Aber er begann, zu experiment­ieren und fand eine Lösung für das scheinbar unlösbare Problem. Diese Haltung ist für alle erfolgreic­hen Menschen charakteri­stisch. Ausdauer ist eine wichtige Eigenschaf­t, aber sie führt nur dann zum Erfolg, wenn sie sich

»Ich achte nicht auf meine Erfolge oder Stärken, sondern schaue immer nur auf die Dinge, die nicht so funktionie­ren, wie ich das will.« »Man kann vieles verändern und vieles erreichen, wenn man daran glaubt und wenn man es will.«

paart mit Experiment­ierfreudig­keit. Wer ausdauernd immer wieder das Gleiche tut, wird keinen Erfolg haben.

Was kann man von Kliesers Erfolgsweg lernen? Vor allem eines: Dass es um Ziele im Leben geht. Viele Menschen setzen sich keine oder viel zu kleine Ziele. In einem Interview sagte Klieser: »Ich glaube das Problem ist ganz oft, dass den Menschen eine Perspektiv­e fehlt… Eines der wichtigste­n Dinge ist, dass man Menschen Hoffnung macht und dass man ihnen eine Perspektiv­e zeigt und sagt: Man kann vieles verändern und vieles erreichen, wenn man daran glaubt und wenn man es will.« So wie alle erfolgreic­hen Menschen sieht Klieser sich als Gestalter des eigenen Schicksals – und nicht als Opfer widriger Umstände: »Ich hätte natürlich auch meine Energie darauf verwenden können, mich selbst zu bemitleide­n und der Welt zu erzählen, wie gemein alles ist. Aber jeder, der dies mal getan hat, wird sehr schnell merken, dass es zu keinem verbessert­en Ergebnis führt. Jeder von uns hat Stärken und Schwächen. Bei dem einen sieht man sie sofort. Bei dem anderen nicht. Was aber nicht heißt, dass sie nicht vorhanden sind. Wir müssen alle mit unseren Schwächen zurechtkom­men und das Beste daraus machen.«

Klieser ist weiter auf der Erfolgsspu­r. Zuletzt mit der Camerata Salzburg, einem der führenden Kammerorch­ester der Welt, alle vier Hornkonzer­te von Mozart aufgenomme­n. Er war damit vier Monate in den Top 10 der Klassik Charts. Und er sammelt weiter Preise ein, so etwa den Leonard Bernstein Award des Schleswigh­olstein Musikfesti­vals oder den Preis des Usedom Musikfesti­vals. Klieser ist noch jung, hat also noch viel vor sich. Welche Ziele hat er sich gesetzt? »Was man mit dem Horn erreichen kann, habe ich mittlerwei­le eigentlich schon mehr als erreicht«, sagt er in dem Interview mit mir. »Das heißt aber nicht, dass ich keine Ziele mehr habe. Ich möchte mich in Zukunft auch noch mit anderen Themen beschäftig­en, die nicht unbedingt etwas mit Musik zu tun haben. Beispielsw­eise finde ich das Thema Motivation sehr spannend. Was treibt Leute an? Warum schaffen es manche Menschen, ein Ziel nach dem anderen umzusetzen und andere sitzen jeden Morgen an ihrem Frühstücks­tisch und bemitleide­n sich einfach nur selbst?«

»Wir müssen alle mit unseren Schwächen zurechtkom­men und das Beste daraus machen.«

 ??  ??
 ??  ?? Rainer Zitelmann, hier zusammen mit Felix Klieser im Berliner Chinaclub.
Rainer Zitelmann, hier zusammen mit Felix Klieser im Berliner Chinaclub.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany