Esquire (Germany)

BALLET T? COOL!

- interview YVONNE DEWERNE

Albert Einstein soll Balletttän­zer einmal

„die Athleten Gottes“genannt haben. Heute reißen sich Luxusmarke­n um ihre Körper. Und dank

Social Media eifern ihnen unzählige Jungen nach, die genauso cool sein wollen wie sie. Im Ballettuni­versum ist Julian MacKay ein Star – und die ganze Welt wird bald mehr von ihm sehen, nicht nur auf der Bühne.

Kaum ein Beruf setzt die Klischeema­schinerie so sehr in Gang wie der des Balletttän­zers. Bereits bei kleinen Jungs, die sich dafür interessie­ren, wird über ihre Sexualität spekuliert. Einer, der dieses Klischee kennt und der schon in der Schule ein Shirt mit der Aufschrift „Pink is the new Black“trug, ist Julian MacKay. Nach einem kurzen Intermezzo in San Francisco tanzt er seit 2022 als erster Solist am Bayerische­n Staatsball­ett in München.

Du wurdest 1997 in Montana, USA, geboren. Das ist nicht gerade der Nabel der Ballettwel­t. Wie bist du zum Tanz gekommen? Ballett gab es bei uns zu Hause, seit ich denken kann. Meine beiden älteren Schwestern, Maria Sasha und Nadia, haben Ballett getanzt und sind noch heute profession­elle Tänzerinne­n. Ich habe schon mit drei Jahren in unserer Auffahrt gesteppt. Mein jüngerer Bruder Nicolas hat dann auch angefangen. Heute arbeitet er als Fotograf und macht so gut wie alle Fotos von mir und den verschiede­nen Ensembles in der Ballettwel­t.

Wie haben deine Eltern reagiert, als ihr Sohn Ballett tanzen wollte?

Meine Eltern haben wirklich alles versucht, um mich für andere Dinge als für das Tanzen zu begeistern. Ich habe Baseball gespielt, war im Tennis- und im Fechtverei­n und habe Schach gelernt. Dabei waren sie nicht dagegen, dass ich tanze. Es gab schlicht keine Ballettang­ebote für Jungs. Aber als sie dann merkten, dass es für mich nichts anderes gab, haben sie mich immer unterstütz­t.

Wie kam dein Wunsch in der Schule an? Ich glaube nicht, dass ich je in der Schule gemobbt wurde, und selbst wenn, es hätte mich nicht berührt. Es war mir nie wichtig, was andere über mich oder meinen Weg dachten. Außerdem habe ich eine Montessori-Schule besucht. Jedes Kind und alle Interessen wurden immer gefördert. Ich hatte schon immer das Selbstbewu­sstsein, über die Themen zu sprechen, die mir am Herzen lagen. Für mich gab es nie einen Plan B.

Was ist eines der größten Missverstä­ndnisse, die man über Männer und Ballett hat? Viele glauben noch immer, dass die Ballerina der eigentlich­e Star der Show ist und wir als männliches Pendant für nichts anderes da sind, als sie hochzuhebe­n. Aber ohne Romeo gibt es keine Julia. Allein der Titel zeigt, dass Männer und Frauen im Ballett gleichbere­chtigt sind – und das sollte grundsätzl­ich in allen Bereichen so sein.

Der in Ungnade gefallene Bad Boy des Balletts, Sergei Polunin, ist Mitte 30. Friedemann Vogel, der Principal Dancer beim Stuttgarte­r Ballett, ist zwar mittlerwei­le über 40 Jahre, war als Tänzer aber nie besser. Roberto Bolle, der Principal Dancer der Scala in Italien, ist sogar noch älter, doch auch er macht keine Anstalten, von der Bühne abzutreten. Du bist jetzt 26 Jahre, was willst du noch erreichen?

Menschen assoziiere­n mit Tutu und Spitzensch­uhen sofort eine Ballerina, aber keinen Balletttän­zer. Was Männer tragen, welche Rollen wir tanzen oder wozu wir auf der Bühne fähig sind, entwickelt sich noch immer, und vielleicht

Es war mir nie wichtig, was andere über mich und meinen Weg dachten.

in der heutigen Zeit mehr als je zuvor. Ich arbeite daran, immer wieder etwas Neues auf die Bühne zu bringen. Das tun wir, indem Stücke neu interpreti­ert werden oder ich ein Ballett selbst choreograp­hiere. Es gibt noch viel zu tun.

Du arbeitest mit einigen namhaften Unternehme­n zusammen. Auch in dem Bereich tut sich viel. Glückliche­rweise reiten Unternehme­n nicht mehr auf den Stereotype­n rum. Unternehme­n verpflicht­en keine Models mehr, die noch nie Spitzensch­uhe anhatten, sondern arbeiten gleich mit Balletttän­zer*innen zusammen. Ich habe bei Fashion Shows auf dem Laufsteg getanzt, habe für Kidsuper gearbeitet und seit wenigen Wochen bin ich Friend of the Maison für Cartier. Das ist das erste Mal, dass das Schmuckhau­s mit einem Balletttän­zer zusammenar­beitet – und wir planen auch eine künstleris­che Zusammenar­beit.

Bemerkst du, dass immer mehr Jungen ebenfalls Ballett tanzen wollen? Ich bekomme viele Nachrichte­n von Eltern und ihren Kindern, die mir Fragen stellen. Ich versuche mir so viel Zeit wie nur möglich zu nehmen und diese Kinder zu unterstütz­en. An zukünftige­n Tänzern besteht kein Mangel. Wenn ich auf etwas wirklich stolz bin, dann darauf, dass ich hoffentlic­h vielen Jungen helfen konnte, ihren Weg in die Ballettwel­t zu finden.

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Mit 9 Jahren erhielt Julian McKay ein Stipendium in New York, mit 11 zog er nach Moskau, um an der Bolschoi-Ballettaka­demie zu lernen. Nach seinem Abschluss war er der erste Amerikaner, der dort ein Diplom bekam.
Werdegang Mit 9 Jahren erhielt Julian McKay ein Stipendium in New York, mit 11 zog er nach Moskau, um an der Bolschoi-Ballettaka­demie zu lernen. Nach seinem Abschluss war er der erste Amerikaner, der dort ein Diplom bekam.

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