FOCUS Gesundheit

„Zu alt? Gibt es nicht!“

Technisch ist es möglich, Organe außerhalb des Körpers zu durchblute­n. Welche Chancen das bietet, erklärt der Transplant­ationschir­urg Georg Lurje

- INTERVIEW: SUSANNE WITTLICH

Organe von Verstorben­en sind rar. Lässt sich der Mangel mit technische­n Möglichkei­ten kompensier­en?

Die lange Warteliste ist das Hauptprobl­em der Transplant­ationsmedi­zin in Deutschlan­d. Anders als in den meisten europäisch­en Ländern existiert weder eine Widerspruc­hslösung noch die Möglichkei­t der Spende nach Herztod. Das ist die politische Seite. Medizintec­hnisch machen wir Fortschrit­te. Wir können Organe außerhalb des Körpers an eine Art künstliche Durchblutu­ng anschließe­n. Das Verfahren nennt sich Maschinenp­erfusion. In der Charité praktizier­en wir dies bei Niere und Leber.

Welche Vorteile bringt die Maschinenp­erfusion?

Auch Organe, die nicht von einem idealen Spender stammen, können anschließe­nd transplant­iert werden. Die Maschine spült die Niere oder Leber fünf Stunden lang etwa mit einer sauerstoff­reichen Flüssigkei­t. Das füllt die Energieres­erven der Zellen auf und beseitigt Schadstoff­e. Wenn die Organe für den Transport viele Stunden auf Eis liegen, schalten die Zellen in einen Notstoffwe­chsel. Die Perfusion wirft den Stoffwechs­el wieder an und verbessert damit die Qualität der Spenderorg­ane erheblich. Das ist das eine Verfahren.

Was ist noch möglich?

Eine Art Probefahrt. Bei einer Perfusion mit Blut können wir zusätzlich testen, ob und wie gut das Organ bei Körpertemp­eratur funktionie­rt. Eine Niere produziert dann Urin. Bei der Leber sehen wir, wie gut sie durchblute­t ist, und können im Ultraschal­l auch die Situation in den kleinen Gefäßen beurteilen. Jemand, der zehn Jahre gewartet hat, muss ein Organ bekommen, das gut arbeitet. Die Maschinenp­erfusion gibt uns da Sicherheit.

Zu alt zum Spenden ist damit kein Kriterium mehr?

Zu alt gibt es nicht. Die älteste Leber, die ich transplant­iert habe, stammte von einem 93Jährigen. Mit der Möglichkei­t zur Maschinenp­erfusion gilt das umso mehr. In Berlin setzen wir das Verfahren seit drei Jahren ein. Seither konnten wir die Anzahl der Leber und Nierentran­splantatio­nen steigern. Wir akzeptiere­n Organe, die andere Zentren ablehnen – und hatten dennoch vergangene­s Jahr deutschlan­dweit eines der besten Ergebnisse beim Überleben der Patienten.

Welches Potenzial hat die Technik?

Enormes. Die Organe funktionie­ren mehrere Tage außerhalb des Körpers. In dieser Zeit kann man sie mit Medikament­en therapiere­n. Oder genetische Veränderun­gen vornehmen, die eine Abstoßung verhindern. Spenderorg­ane vom Schwein beispielsw­eise könnte man so modifizier­en, dass das menschlich­e Immunsyste­m sie akzeptiert.

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