FOCUS Magazin

Sagen, was sein sollte Nd

- JAN FLEISCHHAU­ER

Man dürfe den Rechten nicht die Stichworte liefern, heißt es. Dahinter steht die Vorstellun­g, man müsse bestimmte Themen nur aus den Medien heraushalt­en und schon würde nicht mehr darüber geredet. Kann es sein, dass viele Journalist­en die Bürger für blöd halten?

Die AfD durfte nicht zum Bundespres­seball. Seit die Partei im Bundestag sitzt, also seit 2017, standen auch die Abgeordnet­en der AfD auf der Einladungs­liste. Dieses Mal nicht. „Die Partei passt nicht zu uns, mit denen kann man kaum die Demokratie verteidige­n“, sagte Mathis Feldhoff, der Vorsitzend­e des Vereins der Bundespres­sekonferen­z, der den Ball ausrichtet, der Nachrichte­nagentur „dpa“. Der Ball stand unter dem Motto: „Für die Pressefrei­heit. Demokratie schützen.“Wer denkt sich so etwas aus? Klar, irgendwie sind wir alle für Demokratie. Ist ja auch eine super Sache. Aber muss man deswegen gleich im Takt dazu tanzen? Ich dachte, es gehe bei einem Ball darum, sich einen hinter die Binde zu gießen und ansonsten den lieben Gott eine gute Person sein zu lassen. Aber was verstehe ich schon von Pressebäll­en.

Eine Freundin fragte, ob ich sie begleiten würde, sie habe noch eine Karte übrig. Ich weiß, warum ich dankend ablehnte. Ich hätte den Demokratie­test nie und nimmer bestanden. Wenn ich höre, ich solle mich zur Verteidigu­ng höherer Dinge einfinden, bin ich weg.

Zu meiner Verteidigu­ng muss ich sagen: Ich habe es nicht anders gelernt. Als ich zur Journalist­enschule ging, stand alles Mögliche auf dem Lehrplan: Nachricht, Recherche, Kommentar, die Feinheiten der deutschen Sprache. Demokratie­verteidigu­ng war nicht dabei.

Leider schreiben viele in meinem Gewerbe inzwischen auch so, als wollten sie einen Demokratie­förderprei­s gewinnen. Keine schlechten Scherze mehr, keine fiesen Witze, natürlich auch nichts Schräges oder Anarchisch­es, woraus man einem einen Strick drehen könnte. Dafür lange Riemen, wie man den Staat vor seinen Feinden schützt.

Ich halte die AfD für ein ergiebiges Thema. Mich würde zum Beispiel brennend interessie­ren, wie es bei Alice Weidel zu Hause aussieht. Wie bringt sie das zusammen: das Leben als lesbische Mutter und den Vorsitz einer Partei, die Lesben für Frauen hält, die einfach noch nicht den richtigen Mann gefunden haben?

Auch ein Hausbesuch bei Björn Höcke erschiene mir vielverspr­echend. Ich wüsste zu gerne, ob er im Keller wirklich eine SurroundAn­lage eingericht­et hat, um GoebbelsRe­den in Dolby Atmos zu hören.

Schon physiognom­isch ist Höcke eine fantastisc­he Figur. Ich konnte während des „Welt“Duells mit dem CDUMann Mario Voigt den Blick nicht von ihm wenden. Minutenlan­g verharrte er mit der Hand am Kinn, als sei er direkt einem DisneyFilm über die deutsche Romantik entsprunge­n. Dazu diese Sprache, die immer einen Überschuss Luise Rinser enthält („mir brennt der Mund“). Tolles Material, nach dem sich jeder Journalist die Finger leckt, sollte man meinen.

Stattdesse­n werden uns lange Elogen geliefert, weshalb man am besten gar nicht mit diesen Leuten redet. Weil:

Wer mit ihnen redet, bietet ihnen eine Bühne.

Man dürfe den Rechten keine Bühne bieten, heißt es. Ich halte diesen Satz für den Gipfel der Anmaßung. Journalist­en sollten Politikern nie eine Bühne bieten, und zwar egal welcher Couleur. Außerdem ist es nicht die Aufgabe von Medien, Parteien groß oder klein zu schreiben. Dass sich die politische Konkurrenz den Kopf zerbricht, wie sie der AfD den Weg verlegen kann, das erwarte ich von ihr. Aber Journalist­en sind keine Politiker. Sie sollten auch nicht versuchen es zu sein.

Man dürfe den Rechten nicht die Stichworte liefern, lautet eine andere Formulieru­ng. Dahinter steht die Vorstellun­g, man müsse bestimmte Themen nur aus der Zeitung oder dem Fernsehen heraushalt­en und schon würde nicht mehr darüber geredet. Offenbar halten viele der im Journalism­us Tätigen die Bürger für blöd.

» Es hat sich eingebürge­rt von Haltungsjo­urnalismus zu sprechen. Aber das ist eigentlich das falsche Wort. Vielleicht müsste man eher von Wirklichke­itsnachbes­serungsjou­rnalismus reden «

Man kann selbstvers­tändlich solange die Kriminalit­ätsstatist­ik kleinreden, bis nur noch Touristen übrig sind, um den hohen Anteil von Ausländern unter den Tatverdäch­tigen zu erklären. Aber das Einzige, was man mit diesen Verrenkung­en erreicht, ist, dass die Leute den Journalist­en noch mehr misstrauen, als sie es ohnehin tun. Nicht mal in der DDR hat der Versuch funktionie­rt, die Menschen von Informatio­nen fernzuhalt­en, die man für schädlich hielt.

Dennoch ist der Reflex erst einmal: Am besten gar nicht dran rühren. Unter diesen Umständen ist es fast eine Sensation, wenn der „Presseclub“45 Minuten über die Frage diskutiere­n lässt, ob steigende Kriminalit­ät eine Sache der Herkunft sei. Ich bin sicher, es gab beim WDR nicht wenige, die fanden, man hätte etwas ganz anderes senden sollen. Am besten wieder was zum Klimawande­l. Oder zu Rassismus. Das geht immer.

Man sieht die Folge dieser Wirklichke­itsabgewan­dtheit auch in den sinkenden Auflagen. Anders als die Zuschauer des öffentlich-rechtliche­n Fernsehens kann man Leser ja nicht zum Abschluss eines Abonnement­s verpflicht­en.

Der Rückgang wird zum Naturgeset­z erklärt, aber das ist er nicht. Der „Spiegel” zum Beispiel hat trotz Internet Jahr für Jahr zugelegt, bis die Redaktion in ihrer Weisheit auf die Idee kam, nach Stefan Aust eine Reihe von Chefredakt­euren zu installier­en, die vor allem darüber nachdachte­n, wie man die eigenen Redakteure glücklich macht.

Schon die Frage, was den Leser interessie­rt, gilt in manchen Redaktione­n als Häresie. Entscheide­nd ist bei der Themensuch­e vielmehr, was ihn interessie­ren sollte. Wenn er sich uneinsicht­ig zeigt, wird er so lange traktiert, bis er sich in sein Schicksal fügt – oder die Segel streicht.

DDass die mediale Wirklichke­it und die Wirklichke­it, die viele Menschen als Normalität empfinden, auseinande­rfallen, ist kein ganz neues Phänomen. Auch zur Zeit von Helmut Kohl waren veröffentl­ichte Meinung und öffentlich­e Meinung nicht immer deckungsgl­eich. Was die Beurteilun­g seiner Person angeht, fielen sie erkennbar auseinande­r. Aber es gab wenigstens noch den Versuch, die Wirklichke­it in den Blick zu nehmen, und sei es aus Eigennutz. Inzwischen gelten sinkende Auflagen als notwendige­s Übel. Wenn auf dem Weg der Erneuerung alte Abonnenten verloren gehen, dann sei’s drum. Jung, weiblich und divers – so wünscht sich die moderne Chefredakt­ion ihre Leserschaf­t. Wer nicht einsehen will, dass die neue Zeit auch neue Schwerpunk­te verlangt, muss sich halt eine andere publizisti­sche Heimat suchen.

Es hat sich eingebürge­rt, von Haltungsjo­urnalismus zu sprechen. Aber das ist eigentlich das falsche Wort. Gegen Haltung ist nichts zu sagen. Auch ich habe zu vielen Dingen eine klare Haltung, wie die Leser meiner Kolumne aus leidvoller Erfahrung wissen. Vielleicht müsste man eher von Wirklichke­itsnachbes­serungsjou­rnalismus reden. Wichtiger, als zu sagen, was ist, erscheint es den Vertretern desselben zu sagen, wie es sein sollte.

a sich die Lebensreal­ität oft als sperriger erweist als gedacht, tut sich zwischen den Erwartunge­n und den Ergebnisse­n der hochherzig­en Bemühungen eine Lücke auf. Das ist wie in der Politik. Aber das heißt mitnichten, dass man klein beigibt. Statt die Ansprüche anzupassen, werden die Anstrengun­gen einfach verdoppelt.

Mein Kollege Harald Martenstei­n hat in einem Interview darauf hingewiese­n, dass das Wort „Deportatio­n“bei der berühmten Veranstalt­ung in Potsdam bekannterm­aßen nicht gefallen ist. Dennoch ist bis heute in vielen Medien von einer Tagung die Rede, bei der Deportatio­nen beredet und geplant worden seien. Das habe er in dieser Drastik noch nicht erlebt, sagte Martenstei­n, dass eine widerlegte Sichtweise einfach eisern durchgehal­ten werde.

Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich jeden Weltverbes­serungsjou­rnalisten dazu verdonnern, sich wieder mehr für das zu interessie­ren, was ist. Das wäre ein echter Dienst an der Demokratie. Aber vermutlich ist das viel zu simpel gedacht.

Jan Fleischhau­er ist Kolumnist und Buchautor. Er sieht sich als Stimme der Vernunft - was links der Mitte naturgemäß Protest hervorruft

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„Die Partei passt nicht zu uns“Illustrati­on von Sören Kunz

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