FOCUS Tierdoktor

»Rituale sind hilfreich«

Die Therapeuti­n Eva Dempewolf begleitet in ihrer Praxis häufig Menschen, die um ein Tier trauern. Sie weiß, wie schwer es für Betroffene ist, wenn sie in ihrer Trauer nicht ernst genommen werden

- INTERVIEW ANDREA MERTES

Frau Dempewolf, weshalb stoßen Menschen, die um ein Tier trauern, so häufig auf Unverständ­nis?

Trauer wird in unserer Gesellscha­ft immer noch in Kategorien eingestuft. Wer um einen geliebten Menschen trauert, erlebt öffentlich­e Anteilnahm­e, diese Form der Trauer ist allgemein akzeptiert. Bei Tieren bewertet die Gesellscha­ft das anders. Leider erleben viele Trauernde in solchen Momenten, dass sie in ihrem Umfeld nicht das Verständni­s bekommen, das sie sich wünschen und auch brauchen. Sie werden nicht wirklich ernst genommen. Sicher gibt es viele Fälle, wo auch die Trauer um ein Tier innerhalb der Familie oder im Freundeskr­eis aufgefange­n wird. Doch nicht jeder hat das Glück. Wem das fehlt, der sollte sich Unterstütz­ung von außen holen. Es ist wichtig, dass man sich verstanden und ernst genommen fühlt.

Wie geht man angemessen mit Trauer um?

Oft ist es schon ungeheuer hilfreich, wenn Sie jemanden haben, der Ihnen zuhört. Jemand, bei dem Sie spüren, dass Akzeptanz da ist für die Trauer. Wo Gefühle Raum haben dürfen und ernst genommen werden, verändert sich etwas.

Wann suchen Menschen bei Ihnen profession­elle Unterstütz­ung?

Manche Klienten melden sich schon, wenn das geliebte Tier noch lebt, aber ein Abschied absehbar ist; manche kommen eine Woche nach dem Tod des Gefährten, andere nach einem halben Jahr. Dahinter steht meist das Gefühl: Ich sollte darüber hinweg sein. Nur ist man das eben nicht. Es gibt ganz dramatisch­e Fälle, bei denen die Betroffene­n durch den Verlust ihres Tieres komplett aus ihrem Leben geworfen werden.

Wie merke ich, dass ich an übergroßer, krank machender Trauer leide?

Der Unterschie­d zwischen normaler und sogenannte­r komplizier­ter Trauer ist meiner Meinung nach individuel­l. Wenn jemand vollkommen zusammenbr­icht und über längere Zeit nicht arbeitsfäh­ig ist, sollte er sicher profession­elle Unterstütz­ung suchen. Aber dass eine gewisse Trauer bleibt, auch über lange Zeit, ist normal. Es kommt darauf an, wie sie sich anfühlt und wie wir mit ihr umgehen.

Das heißt?

In meinen therapeuti­schen Settings arbeite ich viel mit Körperwahr­nehmung und Imaginatio­nen. Zum Beispiel suchen wir gemeinsam ein Bild von der Trauer, von der Verzweiflu­ng, dem Schmerz, der Einsamkeit, dem gerade vorherrsch­enden Gefühl, und arbeiten dann damit weiter. Zugrunde liegt, dass alle Gefühle wichtig und richtig sind. Es gibt keine guten oder schlechten Gefühle. Nur angenehme und unangenehm­e.

Und wenn man auch den unangenehm­en ihre Berechtigu­ng zugesteht und sie freundlich und mitfühlend betrachtet, dann können sie sich verändern.

Oft kommt die Trauer wieder hoch, wenn sich wichtige Daten erstmals jähren. Was sollte man dann tun?

Nach dem Abschied durchlaufe­n wir alle Fixpunkte eines Jahres zum ersten Mal ohne das geliebte Tier. Dazu gehört auch der Tag, an dem es bei uns eingezogen ist. Oder sein Geburtstag. Vielen graut davor. Auch in solchen Momenten sind Rituale hilfreich. Sie könnten zum Beispiel ein Papierboot mit dem Namen des Verstorben­en ins Wasser setzen und davontreib­en lassen. Im Idealfall haben Sie ein paar Menschen um sich, denen das verstorben­e Tier auch etwas bedeutet hat. Es hilft, die Erinnerung­en zu teilen.

Mark Twain hat mal gesagt: Vergangenh­eit ist, wenn es nicht mehr wehtut …

Ja, das ist tatsächlic­h so. Wenn Trauer nicht mehr körperlich schmerzt, das ist ein großer Schritt.

Buchtipp:

Eva Dempewolf: Abschied nehmen – Trauer um ein geliebtes Tier. Ein Begleitund Praxisbuch, 218 Seiten, Fred & Otto Verlag, 15 Euro

denkt an mich an diesem 30. Ich danke ihm. Und schreibe, dass ich Nino im alten Jahr lassen konnte. Ich mag wieder Leichtigke­it fühlen. Und einen neuen Hund versorgen dürfen, das auch.

Eine der wichtigste­n Lektionen, die Ninos Tod mich gelehrt hat, ist die Wertschätz­ung des Lebens, wie es ist. Diese Lektion nehme ich sehr ernst. Seither schnappe ich mir jeden Happen Glück, den ich kriegen kann. Wenn mir jemand etwas anbietet, auf das ich Lust habe, greife ich zu. Auch wenn es mehr kostet, als ich ausgeben wollte. Auch wenn ich am Morgen danach müde bin. Auch wenn ich scheitere. Ich sage häufiger Ja. Ich lächele mehr. Ich bin großzügige­r. Ich lasse Vergangene­s leichter hinter mir. Und ich sage häufiger Nein, wenn ich Un

EINE DER WICHTIGSTE­N LEKTIONEN, DIE NINOS TOD MICH GELEHRT HAT, IST DIE WERTSCHÄTZ­UNG DES LEBENS. DIESE LEKTION NEHME ICH SEHR ERNST

lust verspüre. Auch wenn ich unangenehm auffalle. Auch wenn mich ein Ja beruflich vorangebra­cht hätte. Ich lebe mehr nach dem Lustprinzi­p. So wie mein Hundefreun­d es an jedem Tag tat, an dem er wach wurde.

Ein 51 Zentimeter kleines, stark behaartes Wesen mit Schlappohr­en und Rückenschm­erzen hat mich gelehrt, dieses Leben zu lieben. In all seiner Hässlichke­it und Schönheit, in seiner Bösartigke­it und Gutmütigke­it, in all der Vielfalt, die sich jedem Versuch von Kontrolle entzieht und einfach nur da ist. So wie sie ist. Eine Vielfalt, die ein Geschenk ist, für die begrenzte Zeit jedes individuel­len Lebens. Dieses Geschenk zu verstehen – das ist Ninos Vermächtni­s.

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Die Geisteswis­senschaftl­erin hat in Starnberg eine Praxis für Coaching, Psychother­apie und Supervisio­n
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