»Rituale sind hilfreich«
Die Therapeutin Eva Dempewolf begleitet in ihrer Praxis häufig Menschen, die um ein Tier trauern. Sie weiß, wie schwer es für Betroffene ist, wenn sie in ihrer Trauer nicht ernst genommen werden
Frau Dempewolf, weshalb stoßen Menschen, die um ein Tier trauern, so häufig auf Unverständnis?
Trauer wird in unserer Gesellschaft immer noch in Kategorien eingestuft. Wer um einen geliebten Menschen trauert, erlebt öffentliche Anteilnahme, diese Form der Trauer ist allgemein akzeptiert. Bei Tieren bewertet die Gesellschaft das anders. Leider erleben viele Trauernde in solchen Momenten, dass sie in ihrem Umfeld nicht das Verständnis bekommen, das sie sich wünschen und auch brauchen. Sie werden nicht wirklich ernst genommen. Sicher gibt es viele Fälle, wo auch die Trauer um ein Tier innerhalb der Familie oder im Freundeskreis aufgefangen wird. Doch nicht jeder hat das Glück. Wem das fehlt, der sollte sich Unterstützung von außen holen. Es ist wichtig, dass man sich verstanden und ernst genommen fühlt.
Wie geht man angemessen mit Trauer um?
Oft ist es schon ungeheuer hilfreich, wenn Sie jemanden haben, der Ihnen zuhört. Jemand, bei dem Sie spüren, dass Akzeptanz da ist für die Trauer. Wo Gefühle Raum haben dürfen und ernst genommen werden, verändert sich etwas.
Wann suchen Menschen bei Ihnen professionelle Unterstützung?
Manche Klienten melden sich schon, wenn das geliebte Tier noch lebt, aber ein Abschied absehbar ist; manche kommen eine Woche nach dem Tod des Gefährten, andere nach einem halben Jahr. Dahinter steht meist das Gefühl: Ich sollte darüber hinweg sein. Nur ist man das eben nicht. Es gibt ganz dramatische Fälle, bei denen die Betroffenen durch den Verlust ihres Tieres komplett aus ihrem Leben geworfen werden.
Wie merke ich, dass ich an übergroßer, krank machender Trauer leide?
Der Unterschied zwischen normaler und sogenannter komplizierter Trauer ist meiner Meinung nach individuell. Wenn jemand vollkommen zusammenbricht und über längere Zeit nicht arbeitsfähig ist, sollte er sicher professionelle Unterstützung suchen. Aber dass eine gewisse Trauer bleibt, auch über lange Zeit, ist normal. Es kommt darauf an, wie sie sich anfühlt und wie wir mit ihr umgehen.
Das heißt?
In meinen therapeutischen Settings arbeite ich viel mit Körperwahrnehmung und Imaginationen. Zum Beispiel suchen wir gemeinsam ein Bild von der Trauer, von der Verzweiflung, dem Schmerz, der Einsamkeit, dem gerade vorherrschenden Gefühl, und arbeiten dann damit weiter. Zugrunde liegt, dass alle Gefühle wichtig und richtig sind. Es gibt keine guten oder schlechten Gefühle. Nur angenehme und unangenehme.
Und wenn man auch den unangenehmen ihre Berechtigung zugesteht und sie freundlich und mitfühlend betrachtet, dann können sie sich verändern.
Oft kommt die Trauer wieder hoch, wenn sich wichtige Daten erstmals jähren. Was sollte man dann tun?
Nach dem Abschied durchlaufen wir alle Fixpunkte eines Jahres zum ersten Mal ohne das geliebte Tier. Dazu gehört auch der Tag, an dem es bei uns eingezogen ist. Oder sein Geburtstag. Vielen graut davor. Auch in solchen Momenten sind Rituale hilfreich. Sie könnten zum Beispiel ein Papierboot mit dem Namen des Verstorbenen ins Wasser setzen und davontreiben lassen. Im Idealfall haben Sie ein paar Menschen um sich, denen das verstorbene Tier auch etwas bedeutet hat. Es hilft, die Erinnerungen zu teilen.
Mark Twain hat mal gesagt: Vergangenheit ist, wenn es nicht mehr wehtut …
Ja, das ist tatsächlich so. Wenn Trauer nicht mehr körperlich schmerzt, das ist ein großer Schritt.
Buchtipp:
Eva Dempewolf: Abschied nehmen – Trauer um ein geliebtes Tier. Ein Begleitund Praxisbuch, 218 Seiten, Fred & Otto Verlag, 15 Euro
denkt an mich an diesem 30. Ich danke ihm. Und schreibe, dass ich Nino im alten Jahr lassen konnte. Ich mag wieder Leichtigkeit fühlen. Und einen neuen Hund versorgen dürfen, das auch.
Eine der wichtigsten Lektionen, die Ninos Tod mich gelehrt hat, ist die Wertschätzung des Lebens, wie es ist. Diese Lektion nehme ich sehr ernst. Seither schnappe ich mir jeden Happen Glück, den ich kriegen kann. Wenn mir jemand etwas anbietet, auf das ich Lust habe, greife ich zu. Auch wenn es mehr kostet, als ich ausgeben wollte. Auch wenn ich am Morgen danach müde bin. Auch wenn ich scheitere. Ich sage häufiger Ja. Ich lächele mehr. Ich bin großzügiger. Ich lasse Vergangenes leichter hinter mir. Und ich sage häufiger Nein, wenn ich Un
EINE DER WICHTIGSTEN LEKTIONEN, DIE NINOS TOD MICH GELEHRT HAT, IST DIE WERTSCHÄTZUNG DES LEBENS. DIESE LEKTION NEHME ICH SEHR ERNST
lust verspüre. Auch wenn ich unangenehm auffalle. Auch wenn mich ein Ja beruflich vorangebracht hätte. Ich lebe mehr nach dem Lustprinzip. So wie mein Hundefreund es an jedem Tag tat, an dem er wach wurde.
Ein 51 Zentimeter kleines, stark behaartes Wesen mit Schlappohren und Rückenschmerzen hat mich gelehrt, dieses Leben zu lieben. In all seiner Hässlichkeit und Schönheit, in seiner Bösartigkeit und Gutmütigkeit, in all der Vielfalt, die sich jedem Versuch von Kontrolle entzieht und einfach nur da ist. So wie sie ist. Eine Vielfalt, die ein Geschenk ist, für die begrenzte Zeit jedes individuellen Lebens. Dieses Geschenk zu verstehen – das ist Ninos Vermächtnis.