Doch nicht mein Pony!
Wenn es ihren Tieren schlecht geht, dann sind ihre Besitzer und Besitzerinnen schnell überfordert. Manche sind so aufgeregt, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen können. Für mich ist das völlig okay, denn als Tierärztin ist es schließlich mein Job, die Ruhe zu bewahren, mit kühlem Kopf Entscheidungen zu treffen und zu handeln. Doch neulich ist diese Aufgabenverteilung gehörig ins Wanken geraten. Da war ich plötzlich beides: Tierärztin UND Tierbesitzerin.
Es war im ersten Corona-Sommer, als sich mein Pferd Chapter im Paddock verletzte. Wir hatten den zweijährigen Connemara-Wallach gerade erst gekauft. Vermutlich war er beim Spielen an eine vorstehende Kante gestoßen, jedenfalls hatte er eine klaffende Wunde unter dem Auge. Sie war nicht sonderlich tief, aber mir war sofort klar, dass sie genäht werden musste. Kaum hatte ich das Wort „nähen“auch nur gedacht, wurde mir flau im Magen. Meine Gedanken begannen Achterbahn zu fahren: Was, wenn die Wunde sich so nah am Auge infizierte? Würde Chapter die Beruhigungsspritze vertragen? Was, wenn unser Traumpony durch diese Erfahrung das Vertrauen in uns verlor? Würde er sich künftig von mir am Kopf anfassen lassen?
„Stopp!“, ermahnte ich mich selbst. „Die Verletzung ist minimal. Drei kleine Stiche, und alles ist gut.“Ich legte Nadel, Faden und Desinfektionsmittel zurecht und zog die Spritze auf. Aber dann zögerte ich. Ich blickte auf mein geliebtes Pony, auf die Wunde, die mir plötzlich riesig erschien, auf meine zittrigen Finger. Und mir wurde klar, dass ich Hilfe brauchte. Ich rief eine Kollegin und Freundin an. „Kannst du schnell kommen und eine Verletzung bei meinem Pferd nähen? Ich schaffe das nicht.“Kurz darauf im Stall, sah sie ungläubig erst die Wunde an, dann mich. Sie hat mich schon schwerste Stacheldrahtverletzungen und tiefe Muskelrisse nähen sehen: Und für diesen harmlosen Eingriff brauchte ich Hilfe? „Es ist halt mein Pony“, brach es aus mir heraus.
Da verstand sie und übernahm das Ruder. Während sie ihn medizinisch versorgte, durfte ich wie eine ganz normale Pferdebesitzerin an Chapters Kopf stehen und beruhigend auf ihn einreden. Als ich mich danach überschwänglich bei ihr bedanken wollte, winkte sie ab. „Du kannst dich revanchieren, wenn meine Tiere mal etwas haben. Dann geht es mir nämlich genauso.“
Diese Erfahrung, plötzlich auf der anderen Seite des Behandlungstischs zu stehen, hat etwas in mir verändert, auch an meinem Selbstverständnis als Ärztin. Ich verstehe nun, dass selbst harmlose, gut behandelbare Erkrankungen des vierbeinigen Gefährten eine große emotionale Herausforderung sein können. Selbstverständlich war mir auch vorher schon wichtig, den Tierbesitzern in diesen Momenten geduldig zur Seite zu stehen. Aber wenn ich heute sage: „Ich kann mir vorstellen, wie Sie sich fühlen“, dann kommt es wirklich aus tiefstem Herzen. Denn ich weiß ja nun: Wenn meine Tiere etwas haben, geht es mir ganz genauso.