Frankfurter Allgemeine Quarterly
Berlin Cemile Sahin
Die gefeierte Künstlerin Cemile Sahin zeigt uns die Menschen, die sir inspirieren
Cemile Sahin, 30, Künstlerin
Es gibt einfach Dinge, an denen man arbeiten muss. Das sind so Sachen wie Identitätspolitik, das wird oft missverstanden, auch von den Deutschen. Ständig wird ein Opfermythos kreiert, nur weil Leute von woanders herkommen. Das finde ich schrecklich und falsch. Wir leben in einer globalisierten Welt, da sollte man sich nicht so an Herkunft festbeißen, was nicht bedeutet, dass ich mich verleugnen muss. Ich möchte auch nicht, dass mein Kurdischsein als Katalysator für meine Kunst gelesen wird. Ich bin doch nicht Künstlerin, weil ich Kurdin bin. Und ich bin auch nicht Kurdin, weil ich Künstlerin bin.
Dastan Jasim, 27, Politikwissenschaftlerin
Mein kurdischer Vater hat in den 1980ern gegen Saddam Hussein gekämpft und ist als politischer Flüchtling nach Deutschland gekommen. Ich wurde schon früh für mein Kurdischsein von türkischen und für mein Ausländischsein von deutschen Rechten angegriffen. So habe ich gelernt, dass kurdisch, ausländisch und Frau zu sein etwas ist, das angegriffen und unterdrückt wird. Mein Plan ist es, in Kurdistan zu leben und dort meine in Deutschland erworbenen Qualifikationen und Verbindungen in Forschungsgruppen einzusetzen. Cemile und ich beschäftigen uns beide mit Staatsgewalt und der Verfolgung von Kurd*innen. Ich finde es schön, dass man nicht nur im politischen Feuilleton darüber reden kann, sondern auch in der Kunst.
Elif Küçük, 33, visuelle Künstlerin, Art-direktorin
Als Illustratorin habe ich etwa die Opfer von Hanau und des NSU gezeichnet. Ich habe versucht, diese Opfer von rassistischer Gewalt würdevoll darzustellen, und gesehen, dass es vielen Menschen etwas bedeutet, neue Bilder zu haben. Zudem spielt das Motiv der Freund*innenschaft für mich eine wichtige Rolle. Sie bedeutet Zuhause, Hoffnung und Trost – und ist auch eine politische Kraft: ein radikaler Akt der Hingabe und verbindlicher Pakt. Die meiste Zeit meiner Kindheit und Jugend habe ich in Erfurt verbracht und dort auch physisch Rassismus erlebt. Schon damals hoffte ich: In Berlin finde ich Menschen, die mir beistehen, meinem Wort Glauben schenken würden. Das hat sich bewahrheitet.
Paul Niedermayer, 31, Künstlerin
Mich interessieren die Grenzen, an denen Privates und Öffentliches, Arbeit und Freizeit miteinander verschwimmen. Hier wird auch Gender als Kategorie relevant, da diese vermeintlichen Gegenpole traditionell weiblich und männlich konnotiert sind. Für meine aktuelle Arbeit „Back-end“begleite ich Gleichstellungsbeauftragte bei ihrer Arbeit. Der Titel bezieht sich darauf, wie Diskurse und Debatten rund um Feminismus und Gender stattfinden. Im „Front-end“, den Medien, werden diese Themen öffentlich wahrgenommen. Im Hintergrund, vor den Augen der Öffentlichkeit verschlossen – in Büroräumen oder Institutionen – werden die Gleichstellungsgesetze tatsächlich umgesetzt.
Soleen Yusef, 33, Drehbuchautorin, Regisseurin
Ich beschäftige mich viel mit dem Thema Integration. Manchmal habe ich das Gefühl, dass in Deutschland damit in Wahrheit Assimilation gemeint ist, die totale Aufgabe der Identität. Weil man ansonsten immer anders bleiben wird. Bis zu meinem neunten Lebensjahr habe ich in Kurdistan gelebt. Ich bin kurdisch, aber auch deutsch aufgewachsen. Da sind immer zwei Herzen, die in einem pochen. Berlin ist meine Heimat seit über zweiundzwanzig Jahren. Eine reiche Stadt. Reich an Menschen und an politischer Vergangenheit. Wenn es einen Ort gibt, wo Diversität in Deutschland gelebt wird, dann hier. Die Stadt heißt alle willkommen. Ich fühle mich besser zu sagen: Ich bin Berlinerin. Als zu sagen: Ich bin deutsch.