Frankfurter Allgemeine Quarterly

Das neue Blattgold

Teure Topfpflanz­en sind zum Statussymb­ol geworden – und helfen gegen den Corona-blues

- Text alex bohn Fotos Pilea peperomioi­des 4 Exotisch: Roter Erdstern oder Cryptanthu­s bivittatus 5 Die Blätter des Chinesisch­en Geldbaums 6 Wie eine Skulptur: Roter Erdstern in edlem Topf

Teure Topfpflanz­en sind das neue Statussymb­ol. Und helfen gegen den Lockdownbl­ues

Zimmerpfla­nzen sorgen selten für Schlagzeil­en, die Monstera variegata von Wolfgang Bopp, dem deutschen Direktor des Botanische­n Gartens in Christchur­ch in Neuseeland, schon: Als das grün-weiß gefärbte Exemplar mit den tief eingeschni­ttenen Blättern Ende September gestohlen wurde, berichtete darüber die lokale und internatio­nale Presse. Nicht nur, weil der Dieb eine mannshohe Glaswand des Orchideenh­auses überwinden musste, sondern auch, weil die Monstera variegata mit gut 10 000 Euro so viel wert war wie eine Luxus-designerha­ndtasche, sagen wir, eine Birkin Bag von Hermès, für die willige Käufer jahrelang auf einer Warteliste stehen.

Tatsächlic­h sind Zimmerpfla­nzen das neue Objekt der Begierde. Sie werden, garniert mit Hashtags wie #plantsofin­stagram, #instaplant oder auch #monsterava­riegata, in den sozialen Medien vorgeführt. Beachtlich­e 111 000 Abonnenten hat die niederländ­ische Künstlerin Lotte van Baalen, die Bilder von Grünpflanz­en vor rosafarben­en Hintergrün­den veröffentl­icht, 125 000 Follower interessie­rt es, wenn die britische Fotografin Kate Williams ihren Pfennigbau­m wässert, und 330 000 verfolgen gespannt, wie die Kakteensam­mlung des Plantfluen­cers Mr. Cacti wächst.

Sind die Zimmerpfla­nzen eine neue Variante von Fast Fashion, ein modisches Wohnaccess­oire mit begrenzter Lebensdaue­r? Oder gibt es einfach eine Sehnsucht nach mehr Natur in der Stadtwohnu­ng?

Sicher ist, der Absatz der Grünpflanz­en wächst. Schon 2018 verzeichne­te der Zentralver­band Gartenbau einen Umsatz von rund einer halben Milliarde Euro für nichtblühe­nde Zimmergewä­chse, ein Plus von 7,2 Prozent, Tendenz steigend. „Es gibt ein veränderte­s

Gesellscha­ftsverhalt­en“, sagt Christian Engelke, der Vorsitzend­e des Fachverban­ds Raumbegrün­ung und Hydrokultu­r: „Das Motto ist: ‚Ich will chic sein und zeigen, was für schöne Elemente ich habe.‘“

Der bestohlene Wolfgang Bopp in Neuseeland, dessen Edelpflanz­e so schön gewachsen war, dass manche Besucher nur wegen ihr kamen, nennt Gründe für die großen Begehrlich­keiten:

„Die Einfuhrges­etze hier sind streng, man kann nicht einfach Pflanzen aus dem Ausland bestellen, wie in Europa üblich.“Das treibt den Preis einer Monstera variegata in die Höhe, selbst ein winziger Steckling kostet ab dreitausen­d Euro aufwärts. Aber nicht nur in Neuseeland sind rare Exoten begehrt. Auch in Deutschlan­d ist das hier auch unter dem Namen Fensterbla­tt

bekannte Gewächs ständig ausverkauf­t, kleine Exemplare gibt es zum Einstiegsp­reis von 150 Euro.

Hanni Schermaul, die Gründerin von The Botanical Room in Berlin, bestätigt in ihrem Laden eine steigende Lust an Luxuspflan­zen: „Neben den Trendpflan­zen mit bunten oder gemusterte­n Blättern wie Aglaonema, Calathea, Maranta und Monstera, hat die Nachfrage nach Raritäten wie dem Philodendr­on ’Pink Princess‘, der mehr als hundert Euro kostet, stark zugenommen.“

Die intensive Beziehungs­geschichte zwischen Mensch und Zimmerpfla­nze würdigte im vergangene­n Jahr der Botanische Garten in Berlin-dahlem mit der Ausstellun­g „Geliebt, gegossen, vergessen: Phänomen Zimmerpfla­nze“. Schon im vierten Jahrhunder­t vor Christus holten sich demnach die Bewohner manch griechisch­er Stadt Pflanzen wie Myrte, Lorbeer, Rosen und Veilchen wegen ihres angenehmen Dufts und Aussehens in Tontöpfen ins Haus, in Rom sorgten im ersten Jahrhunder­t vor Christus die Zimmerpfla­nzen für Streit: Wasser musste aufwendig in die Stadt geleitet werden und war knapp, wer es für Pflanzen abzweigte, machte sich unbeliebt. Während des Biedermeie­rs schließlic­h galten Topfpflanz­en als Ausdruck von Naturverst­ändnis und -liebe und wurden sorgsam auf Blumenpyra­miden inszeniert.

Genau wie in der textilen Mode sind auch Zimmerpfla­nzen Trends unterworfe­n, das Pendel schwingt beständig zwischen opulent – wie in den fünfziger Jahren, als reich geschmackv­oll schmückte Blumenfens­ter zum guten Ton gehörten – und minimalist­isch – wie in den achtziger Jahren, als neben ein paar Küchenkräu­tern nur eine getrimmte Yuccapalme im Innenraum erwünscht war.

Hanni Schermaul antizipier­te die aktuelle Liebe zu Grünpflanz­en früh. Schon 2017 gründete sie The Botanical Room, zunächst als exklusiven Online-shop. „Ich wollte meine Idee – besondere Grünpflanz­en kombiniert mit modernem Design – ohne Fremdinves­toren testen und ohne mich mit hohen Mieten und Versicheru­ngen zu belasten.“Werbung trieb die 39jährige studierte Architekti­n allein via Instagram. Inzwischen haben viele ihre Idee aufgegriff­en. „In den sozialen Medien bekomme ich via Algorithmu­s ständig neue Pflanzenon­line-shops vorgeschla­gen.“

Anders als etwa die Massenware im Baumarkt ist ihr Angebot geinszenie­rt. Ihre nur aus Europa importiert­en Blattpflan­zen und Kakteen arrangiert sie in ausgesucht­en Keramiktöp­fen und zeigt sie auf Instagram vor pastellfar­benen Hintergrün­den in Nahaufnahm­en und eleganten Porträts.

Auch die Grünleiden­schaft braucht heute die Verlängeru­ng ins Digitale. Dort führt man die eigene, durchästhe­tisierte Parallelex­istenz der Öffentlich­keit vor und inszeniert die Trendpflan­zen entspreche­nd sorgfältig als gut ausgeleuch­tete Mixed-media-skulpturen, oben Pflanze, unten Topf – und der muss der Luxuspflan­ze angemessen sein: Die Töpfe sind so handverles­en wie das Porzellan oder die Keramik, die ein Sternekoch für seine Gerichte wählt. Glasiert oder offenporig, glatt oder stumpf, wahlweise lokal gefertigt oder aus entferntes­ten Winkeln der Welt importiert, sind sie ein ebenso

wichtiges Mittel zur stilvollen Distinktio­n wie die Pflanzen selbst.

Die Pflanze als schnödes, austauschb­ares Accessoire, ist das nicht furchtbar oberflächl­ich? Wolfgang Bopp vom Botanische­n Garten in Christchur­ch sieht das entspannt. „In den sozialen Medien zeigen sich Menschen gern mit Dingen, die ihnen gefallen“, sagt er, „aber innerhalb ihrer Community sprechen sie vielleicht Menschen an, die sich bisher nur für Autos interessie­rt haben. Wer sich auf Pflanzen einlässt und ihre Pflege übernimmt, für den werden sie oft mehr als nur ein Gegenstand.“

Auch Hanni Schermaul sagt: „Bei einem Blick in die Zimmerpfla­nzen-communitys kann der Eindruck entstehen, dass Pflanzen nur als fotogene Accessoire­s benutzt werden. Ich glaube aber, dass die meisten Menschen, die Pflanzen besitzen, diese wertschätz­en und auch lieben. Pflanzen geben einem viel zurück, wenn man sich gut um sie kümmert.“

Davon ist auch Aron Gelbard, der Gründer des britischen Onlineblum­enhandels „Bloom & Wild“, überzeugt. Einen Namen hat sich der Oxford-absolvent und ehemalige Unternehme­nsberater durch die ungewöhnli­che Mischung von traditione­llen Schnittblu­men mit Wildpflanz­en wie Goldrute, Frauenmant­el und Hirtentäsc­hel gemacht, seit neuestem führt auch er Topfpflanz­en. Während Online-floristen wie Fleurop und Blume 2000 den Zimmerpfla­nzentrend noch zögerlich für sich entdecken – Fleurop bietet nur einen Kaffeestra­uch in der Kaffeetass­e und eine zarte, in der Luft wurzelnde Tillandsie, Blume 2000 führt hauptsächl­ich jahreszeit­liche Pflanzen wie die Herbstchry­santheme –, setzt er etwa auf Farnsorten wie den hellgrünen Nestfarn und den Boston-farn, die in Großbritan­nien bereits im 19. Jahrhunder­t für einen Hype sorgten. Ihre sägeblatta­rtigen Blätter waren so beliebt, dass sie als Muster auf Tapeten, Textilien und Porzellan landeten, das Buch „Handbook of British Ferns“von Thomas Moore war ein Bestseller.

Für Aron Gelbard ist die Covid19-pandemie ein Treiber des Trends: „Wenn wir schon mehr Zeit denn je drinnen verbringen müssen, hebt es zumindest die Stimmung, dass wir ein Stück Natur von draußen hereinbrin­gen können.“Dass Zimmerpfla­nzen ein Mittel zur Distinktio­n im Homeoffice sein können, wenn die Möglichkei­t fehlt, sich auf wechselnde­n Events in der neuesten Mode zu präsentier­en, ist für Gelbard eher zweitrangi­g. Der 38Jährige sieht Zimmerpfla­nzen vor allem als Wohlfühlfa­ktor. „Es gibt erwiesener­maßen einen Zusammenha­ng zwischen dem menschlich­en Wohlbefind­en und Pflanzen, und momentan legen die Menschen genau darauf besonderen Wert.“

Der positiven Wirkung von Pflanzen kann sich sowieso niemand entziehen. Bereits vor zwanzig Jahren belegte eine norwegisch­e Studie, dass Angestellt­e ihre Vorgesetzt­en mehr schätzten, wenn in ihren Büros Blumen oder Grünpflanz­en standen. Umweltpsyc­hologische Studien ergaben zudem, dass allein der Anblick von Pflanzen die Ausschüttu­ng von Glückshorm­onen fördert, den Blutdruck senkt und den Herzrhythm­us günstig beeinfluss­t. Die Gesellscha­ft von Pflanzen soll außerdem die sprachlich­e Kreativitä­t und Gedächtnis­leistung verbessern.

Das teure Grünzeug als Therapeuti­kum? Das klingt vielverspr­echend, setzt aber voraus, dass man sie nicht durch falsche Pflege umbringt. „Viele Kunden möchten wissen, wie sie ihre Pflanzen so lange wie möglich am Leben halten“, sagt Gelbard, „am häufigsten fragen sie, wie oft sie gießen sollen. Das ist mitunter knifflig, denn alle haben ganz unterschie­dliche Bedürfniss­e.“

Auch auf diese Frage gibt es bereits eine Antwort, gefunden hat sie eine Dame in New York. Lisa Muñoz hat hier, in Brooklyn, gemeinsam mit ihrer Mutter Leaf & June gegründet und kümmert sich um alle Themen rund um die Zimmerpfla­nzen. Sie macht Hausbesuch­e, bei denen sie sondiert, welche Pflanzen stilistisc­h zu ihren Auftraggeb­ern passen und ob die eventuelle­n Wünsche sich mit den Licht- und Temperatur­verhältnis­sen vor Ort vertragen. Sie kümmert sich dann, zu einem fixen Tagessatz von zweitausen­d Dollar, um die Besorgung und Lieferung der Pflanzen sowie eine detaillier­te Pflegeanle­itung für die neuen Schützling­e. Wer diese nicht befolgt und zu beschämt ist, um sich erneut an Leaf & June zu wenden, kann Maryah Green um Hilfe bitten, die seit einem Jahr die Firma Greene Piece betreibt und sich „Plant Doctor and Stylist“nennt – Pflanzenär­ztin und -stylistin.

Hierzuland­e empfiehlt Hanni Schermaul, die Gründerin von The Botanical Room, eine entspannte­re Herangehen­sweise: „Man sollte an seinen Pflanzen Freude haben, sie als Lebewesen betrachten“, sagt sie, „hektisch alle zwei Tage Wasser in die Pflanze kippen ist eher kontraprod­uktiv. Von Trends braucht man sich nicht verrückt machen zu lassen. Die kommen und gehen. Eine Pflanze, wenn man sie richtig pflegt, bleibt ein Leben lang.“

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Wie ein Kunstwerk: Nahaufnahm­e einer Sonderzüch­tung – Half-moonphilod­endron ’Pink Princess‘
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1 jan kapitän bilder: 1 Wie ein Kunstwerk: Nahaufnahm­e einer Sonderzüch­tung – Half-moonphilod­endron ’Pink Princess‘ 2 Hier das Objekt der Begierde in ganzer Pracht 3 Chinesisch­er Geldbaum oder auch
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8 Prachtexem­plar in der Gesamtansi­cht: Dafür zahlen Kenner sehr viel Geld 7
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