Frankfurter Allgemeine Quarterly
Das neue Blattgold
Teure Topfpflanzen sind zum Statussymbol geworden – und helfen gegen den Corona-blues
Teure Topfpflanzen sind das neue Statussymbol. Und helfen gegen den Lockdownblues
Zimmerpflanzen sorgen selten für Schlagzeilen, die Monstera variegata von Wolfgang Bopp, dem deutschen Direktor des Botanischen Gartens in Christchurch in Neuseeland, schon: Als das grün-weiß gefärbte Exemplar mit den tief eingeschnittenen Blättern Ende September gestohlen wurde, berichtete darüber die lokale und internationale Presse. Nicht nur, weil der Dieb eine mannshohe Glaswand des Orchideenhauses überwinden musste, sondern auch, weil die Monstera variegata mit gut 10 000 Euro so viel wert war wie eine Luxus-designerhandtasche, sagen wir, eine Birkin Bag von Hermès, für die willige Käufer jahrelang auf einer Warteliste stehen.
Tatsächlich sind Zimmerpflanzen das neue Objekt der Begierde. Sie werden, garniert mit Hashtags wie #plantsofinstagram, #instaplant oder auch #monsteravariegata, in den sozialen Medien vorgeführt. Beachtliche 111 000 Abonnenten hat die niederländische Künstlerin Lotte van Baalen, die Bilder von Grünpflanzen vor rosafarbenen Hintergründen veröffentlicht, 125 000 Follower interessiert es, wenn die britische Fotografin Kate Williams ihren Pfennigbaum wässert, und 330 000 verfolgen gespannt, wie die Kakteensammlung des Plantfluencers Mr. Cacti wächst.
Sind die Zimmerpflanzen eine neue Variante von Fast Fashion, ein modisches Wohnaccessoire mit begrenzter Lebensdauer? Oder gibt es einfach eine Sehnsucht nach mehr Natur in der Stadtwohnung?
Sicher ist, der Absatz der Grünpflanzen wächst. Schon 2018 verzeichnete der Zentralverband Gartenbau einen Umsatz von rund einer halben Milliarde Euro für nichtblühende Zimmergewächse, ein Plus von 7,2 Prozent, Tendenz steigend. „Es gibt ein verändertes
Gesellschaftsverhalten“, sagt Christian Engelke, der Vorsitzende des Fachverbands Raumbegrünung und Hydrokultur: „Das Motto ist: ‚Ich will chic sein und zeigen, was für schöne Elemente ich habe.‘“
Der bestohlene Wolfgang Bopp in Neuseeland, dessen Edelpflanze so schön gewachsen war, dass manche Besucher nur wegen ihr kamen, nennt Gründe für die großen Begehrlichkeiten:
„Die Einfuhrgesetze hier sind streng, man kann nicht einfach Pflanzen aus dem Ausland bestellen, wie in Europa üblich.“Das treibt den Preis einer Monstera variegata in die Höhe, selbst ein winziger Steckling kostet ab dreitausend Euro aufwärts. Aber nicht nur in Neuseeland sind rare Exoten begehrt. Auch in Deutschland ist das hier auch unter dem Namen Fensterblatt
bekannte Gewächs ständig ausverkauft, kleine Exemplare gibt es zum Einstiegspreis von 150 Euro.
Hanni Schermaul, die Gründerin von The Botanical Room in Berlin, bestätigt in ihrem Laden eine steigende Lust an Luxuspflanzen: „Neben den Trendpflanzen mit bunten oder gemusterten Blättern wie Aglaonema, Calathea, Maranta und Monstera, hat die Nachfrage nach Raritäten wie dem Philodendron ’Pink Princess‘, der mehr als hundert Euro kostet, stark zugenommen.“
Die intensive Beziehungsgeschichte zwischen Mensch und Zimmerpflanze würdigte im vergangenen Jahr der Botanische Garten in Berlin-dahlem mit der Ausstellung „Geliebt, gegossen, vergessen: Phänomen Zimmerpflanze“. Schon im vierten Jahrhundert vor Christus holten sich demnach die Bewohner manch griechischer Stadt Pflanzen wie Myrte, Lorbeer, Rosen und Veilchen wegen ihres angenehmen Dufts und Aussehens in Tontöpfen ins Haus, in Rom sorgten im ersten Jahrhundert vor Christus die Zimmerpflanzen für Streit: Wasser musste aufwendig in die Stadt geleitet werden und war knapp, wer es für Pflanzen abzweigte, machte sich unbeliebt. Während des Biedermeiers schließlich galten Topfpflanzen als Ausdruck von Naturverständnis und -liebe und wurden sorgsam auf Blumenpyramiden inszeniert.
Genau wie in der textilen Mode sind auch Zimmerpflanzen Trends unterworfen, das Pendel schwingt beständig zwischen opulent – wie in den fünfziger Jahren, als reich geschmackvoll schmückte Blumenfenster zum guten Ton gehörten – und minimalistisch – wie in den achtziger Jahren, als neben ein paar Küchenkräutern nur eine getrimmte Yuccapalme im Innenraum erwünscht war.
Hanni Schermaul antizipierte die aktuelle Liebe zu Grünpflanzen früh. Schon 2017 gründete sie The Botanical Room, zunächst als exklusiven Online-shop. „Ich wollte meine Idee – besondere Grünpflanzen kombiniert mit modernem Design – ohne Fremdinvestoren testen und ohne mich mit hohen Mieten und Versicherungen zu belasten.“Werbung trieb die 39jährige studierte Architektin allein via Instagram. Inzwischen haben viele ihre Idee aufgegriffen. „In den sozialen Medien bekomme ich via Algorithmus ständig neue Pflanzenonline-shops vorgeschlagen.“
Anders als etwa die Massenware im Baumarkt ist ihr Angebot geinszeniert. Ihre nur aus Europa importierten Blattpflanzen und Kakteen arrangiert sie in ausgesuchten Keramiktöpfen und zeigt sie auf Instagram vor pastellfarbenen Hintergründen in Nahaufnahmen und eleganten Porträts.
Auch die Grünleidenschaft braucht heute die Verlängerung ins Digitale. Dort führt man die eigene, durchästhetisierte Parallelexistenz der Öffentlichkeit vor und inszeniert die Trendpflanzen entsprechend sorgfältig als gut ausgeleuchtete Mixed-media-skulpturen, oben Pflanze, unten Topf – und der muss der Luxuspflanze angemessen sein: Die Töpfe sind so handverlesen wie das Porzellan oder die Keramik, die ein Sternekoch für seine Gerichte wählt. Glasiert oder offenporig, glatt oder stumpf, wahlweise lokal gefertigt oder aus entferntesten Winkeln der Welt importiert, sind sie ein ebenso
wichtiges Mittel zur stilvollen Distinktion wie die Pflanzen selbst.
Die Pflanze als schnödes, austauschbares Accessoire, ist das nicht furchtbar oberflächlich? Wolfgang Bopp vom Botanischen Garten in Christchurch sieht das entspannt. „In den sozialen Medien zeigen sich Menschen gern mit Dingen, die ihnen gefallen“, sagt er, „aber innerhalb ihrer Community sprechen sie vielleicht Menschen an, die sich bisher nur für Autos interessiert haben. Wer sich auf Pflanzen einlässt und ihre Pflege übernimmt, für den werden sie oft mehr als nur ein Gegenstand.“
Auch Hanni Schermaul sagt: „Bei einem Blick in die Zimmerpflanzen-communitys kann der Eindruck entstehen, dass Pflanzen nur als fotogene Accessoires benutzt werden. Ich glaube aber, dass die meisten Menschen, die Pflanzen besitzen, diese wertschätzen und auch lieben. Pflanzen geben einem viel zurück, wenn man sich gut um sie kümmert.“
Davon ist auch Aron Gelbard, der Gründer des britischen Onlineblumenhandels „Bloom & Wild“, überzeugt. Einen Namen hat sich der Oxford-absolvent und ehemalige Unternehmensberater durch die ungewöhnliche Mischung von traditionellen Schnittblumen mit Wildpflanzen wie Goldrute, Frauenmantel und Hirtentäschel gemacht, seit neuestem führt auch er Topfpflanzen. Während Online-floristen wie Fleurop und Blume 2000 den Zimmerpflanzentrend noch zögerlich für sich entdecken – Fleurop bietet nur einen Kaffeestrauch in der Kaffeetasse und eine zarte, in der Luft wurzelnde Tillandsie, Blume 2000 führt hauptsächlich jahreszeitliche Pflanzen wie die Herbstchrysantheme –, setzt er etwa auf Farnsorten wie den hellgrünen Nestfarn und den Boston-farn, die in Großbritannien bereits im 19. Jahrhundert für einen Hype sorgten. Ihre sägeblattartigen Blätter waren so beliebt, dass sie als Muster auf Tapeten, Textilien und Porzellan landeten, das Buch „Handbook of British Ferns“von Thomas Moore war ein Bestseller.
Für Aron Gelbard ist die Covid19-pandemie ein Treiber des Trends: „Wenn wir schon mehr Zeit denn je drinnen verbringen müssen, hebt es zumindest die Stimmung, dass wir ein Stück Natur von draußen hereinbringen können.“Dass Zimmerpflanzen ein Mittel zur Distinktion im Homeoffice sein können, wenn die Möglichkeit fehlt, sich auf wechselnden Events in der neuesten Mode zu präsentieren, ist für Gelbard eher zweitrangig. Der 38Jährige sieht Zimmerpflanzen vor allem als Wohlfühlfaktor. „Es gibt erwiesenermaßen einen Zusammenhang zwischen dem menschlichen Wohlbefinden und Pflanzen, und momentan legen die Menschen genau darauf besonderen Wert.“
Der positiven Wirkung von Pflanzen kann sich sowieso niemand entziehen. Bereits vor zwanzig Jahren belegte eine norwegische Studie, dass Angestellte ihre Vorgesetzten mehr schätzten, wenn in ihren Büros Blumen oder Grünpflanzen standen. Umweltpsychologische Studien ergaben zudem, dass allein der Anblick von Pflanzen die Ausschüttung von Glückshormonen fördert, den Blutdruck senkt und den Herzrhythmus günstig beeinflusst. Die Gesellschaft von Pflanzen soll außerdem die sprachliche Kreativität und Gedächtnisleistung verbessern.
Das teure Grünzeug als Therapeutikum? Das klingt vielversprechend, setzt aber voraus, dass man sie nicht durch falsche Pflege umbringt. „Viele Kunden möchten wissen, wie sie ihre Pflanzen so lange wie möglich am Leben halten“, sagt Gelbard, „am häufigsten fragen sie, wie oft sie gießen sollen. Das ist mitunter knifflig, denn alle haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse.“
Auch auf diese Frage gibt es bereits eine Antwort, gefunden hat sie eine Dame in New York. Lisa Muñoz hat hier, in Brooklyn, gemeinsam mit ihrer Mutter Leaf & June gegründet und kümmert sich um alle Themen rund um die Zimmerpflanzen. Sie macht Hausbesuche, bei denen sie sondiert, welche Pflanzen stilistisch zu ihren Auftraggebern passen und ob die eventuellen Wünsche sich mit den Licht- und Temperaturverhältnissen vor Ort vertragen. Sie kümmert sich dann, zu einem fixen Tagessatz von zweitausend Dollar, um die Besorgung und Lieferung der Pflanzen sowie eine detaillierte Pflegeanleitung für die neuen Schützlinge. Wer diese nicht befolgt und zu beschämt ist, um sich erneut an Leaf & June zu wenden, kann Maryah Green um Hilfe bitten, die seit einem Jahr die Firma Greene Piece betreibt und sich „Plant Doctor and Stylist“nennt – Pflanzenärztin und -stylistin.
Hierzulande empfiehlt Hanni Schermaul, die Gründerin von The Botanical Room, eine entspanntere Herangehensweise: „Man sollte an seinen Pflanzen Freude haben, sie als Lebewesen betrachten“, sagt sie, „hektisch alle zwei Tage Wasser in die Pflanze kippen ist eher kontraproduktiv. Von Trends braucht man sich nicht verrückt machen zu lassen. Die kommen und gehen. Eine Pflanze, wenn man sie richtig pflegt, bleibt ein Leben lang.“