Frankfurter Allgemeine Quarterly
Josephine Teske
„Ich zeige mich auch als Mensch, der mal Liebeskummer oder die Wohnung nicht aufgeräumt hat – und als alleinerziehende Mutter.“
Ich bin Pastorin einer kleinen evangelischen Kirchengemeinde in Büdelsdorf, einer alten Arbeiterkleinstadt in Schleswig-holstein am Nord-ostsee-kanal. Meine zweite Gemeinde ist auf Instagram, da poste ich christliche Inhalte, aber ich zeige mich auch privat, als Mensch, der auch mal Liebeskummer hat oder bei dem die Wohnung nicht aufgeräumt ist, und mein Leben als alleinerziehende Mutter. Das wird oft kritisiert. Aber ich glaube, die Menschen vertrauen einem Amt heute nicht mehr einfach so. Gerade in meinem Beruf muss man doch nahbar sein. Gleichzeitig ist dieser Beruf sehr einnehmend, mein ganzer Familienalltag wird von ihm bestimmt. Aber er muss doch Platz lassen für mein In-der-welt-sein, für meine Lebensthemen. Bestimmte Themen werden gerne von der Kirche tabuisiert. Aber wenn die Kirche in dieser Welt sein will, dann darf sie eben nicht an veralteten Themen festhalten, sondern muss sich öffnen.
Dazu gehört für mich eindeutig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder auch Sex vor der Ehe. Wenn ich das schon höre, mit Menschen, die Sex vor der Ehe haben, breche ich nicht das Brot. Ich bekomme so oft Anfragen „Kannst du mir sagen, ob es eine Sünde ist, Sex vor der Ehe zu haben?“. Natürlich ist es das nicht. Oder wenn Menstruation als unrein beschrieben wird. Man muss doch verstehen, in welcher Zeit die Texte entstanden und was wir heute wissen in der Medizin und über den weiblichen Körper. Mich stört einfach, wie manchmal mit der Bibel umgegangen wird. Wenn aus ihr menschen- oder auch demokratiefeindliche Narrative genommen werden und damit zum Beispiel homosexuelle Christen aus ihrer Gemeinde vertrieben werden. Oder wenn die Bibel dazu benutzt wird, um gegen Muslime zu sein. Die Bibel ist ein wunderbares Buch.
Ich habe sie schon als Kind gelesen. Alle meine Freunde waren in der Kirchengemeinde, in dem Dorf in der Uckermark, wo ich aufgewachsen bin. Für mich war dann auch früh klar, dass ich Theologie studieren wollte. Während des Studiums habe ich meine Beziehung zu Gott aber stark in Frage gestellt. Das Studium dauert lange, man braucht Ausdauer, Biss und Ehrgeiz, muss drei Sprachen lernen, Altgriechisch, Hebräisch und Latein. Dann wurde ich schwanger. Und mein Sohn ist bei der Geburt gestorben. Der Nabelschnurknoten hatte sich zu fest zugezogen. Ich habe mit Gott gerungen und ihm Vorwürfe gemacht, aber ich konnte ihn wieder spüren. Und die Vorstellung, dass mein Sohn nicht in dieser kalten Erde ist, hat mir Trost gegeben. Und plötzlich hat sich meine Intention, Pastorin zu werden, gefestigt. Ich dachte, ich kann das, vom Glauben erzählen, von Auferstehung und Seelsorge.
Bis 2015 habe ich studiert und dann 27 Monate lang das Vikariat in der Nordkirche absolviert. Seit eineinhalb Jahren bin ich jetzt im Berufsleben. Noch ein Grünschnabel. Hier in der Kleinstadt kennen mich die meisten. Am Anfang kam schon mal: Ach, so ’ne junge Pastorin, haben Sie das schon mal gemacht? Oder: Endlich eine Frau mit Kurven. Aber es kommen inzwischen auch viele junge Frauen und Eltern vom Konfirmationstraining. Viele Büdelsdorfer folgen mir auch auf Instagram. Ich habe eine andere Sprache, und ich habe moderne Themen. Sosehr ich selbst Liturgie liebe, so wenig spricht sie andere Menschen noch an. Was bedeutet das, was wir da singen? Wie reden wir im Gottesdienst? Ich will weg von diesen Wahrheitssätzen. Die Kirche muss sich verständlicher machen, und sie muss auch Stellung beziehen. Ich fand es sehr mutig, dass wir als Kirche jetzt ein Schiff ins Mittelmeer geschickt haben, um Menschen zu retten. Darum geht es doch, um klare Botschaften.