Frankfurter Allgemeine Quarterly
Leonard Skorczyk
„In die Randgebiete der Gesellschaft zu gehen, das ist unser Auftrag zur Nächstenliebe.“
Wenn mich jemand fragt, warum ich Priester werden will, antworte ich: Aus der Liebe zu Gott folgt die Liebe zu den Menschen, ohne die Liebe zum Menschen kann man nicht Priester werden. Meine Liebe zu Gott ist die grundlegende Beziehung, die alle anderen Beziehungen in meinem Leben prägt. Da ist eine große Sehnsucht da. Wenn ich meine Religion vernachlässige, fehlt mir etwas. Darüber hinaus vermisse ich nichts. Hobbys kann ich ja trotzdem haben. Ich fotografiere zum Beispiel leidenschaftlich gerne. Ich merke, dass trotz aller Enttraditionalisierung und Säkularisierung die Sinnfragen doch eher mehr werden. Es gibt einen großen spirituellen Hunger bei den Leuten.
Der katholische Glaube wurde bei uns zu Hause schon immer gelebt. An Sonntagen, an Feiertagen, abends beim Essen. Wir haben viel miteinander diskutiert, über die Bibel gesprochen und über unser Verständnis davon im alltäglichen Leben. Wenn jemand in der Schule gemobbt wurde, hat mein Vater gesagt: Da musst du gegen aufstehen!
Mit 14 Jahren habe ich mit dem Gedanken gespielt, Theologie zu studieren und ins Priesterseminar einzutreten. Als es aufs Abitur zuging, wurde ich mir der Sache immer sicherer. Jetzt habe ich schon alle Prüfungsleistungen erbracht und muss nur noch die Abschlussarbeit schreiben. Dann geht es in die pastorale Praxis. Ich hoffe, dass ich dann bereits in einem Jahr geweiht werde – solang Gott und die Kirche das wollen.
Schon während des Studiums leben wir zusammen im Priesterseminar. Mit Vollverpflegung und Wohngruppen. Das soll uns auf das priesterliche Leben vorbereiten. Wir lernen das Stundengebet zu festen Zeiten, mehrmals am Tag. Wir versprechen unseren Bischöfen bei der Weihe Gehorsam und folgen ihrer Weisung. Um 6 Uhr stehe ich morgens auf. Um 7 Uhr ist die Heilige Messe. Dann frühstücke ich und fahre in die Uni oder in die Bibliothek. Nach dem Mittagessen beten wir wieder gemeinsam. Dann gibt es spirituelle und praktische Ausbildungseinheiten, wir haben auch Medientraining, lernen den Umgang mit Kindern, Schul- und Jugendarbeit – dazu gehört auch Prävention von Missbrauch.
Mein Sozialpraktikum habe ich im Krankenhaus auf der Palliativstation absolviert und in einem Gefängnis für schwere Straftäter, Vergewaltiger und Mörder. Franziskus ruft uns immer wieder auf, in die Randgebiete der Gesellschaft zu gehen. Das ist unser Auftrag zur Nächstenliebe. Für Christus selbst war es das höchste Gebot. Ob ich nun einem verirrten Touristen in der Fußgängerzone helfe oder mit meinen Ministranten bei der Obdachlosenspeisung, da mache ich keine Unterschiede.
Im vierten Studienjahr sollte ich wie ein normaler Student leben, mir selber eine Wohnung suchen, mich selber verpflegen. Das ist so vorgesehen, um unsere Berufung zu prüfen. Im realen Leben ankommen, das ist eine große Herausforderung. Ich habe diese Zeit in den Vereinigten Staaten verbracht, viel fotografiert und viel über eine ganz konkrete Frau nachgedacht. Eine sehr gute Freundin, wir hatten Interesse aneinander. Aber ich habe mich dagegen entschieden, eine Beziehung einzugehen und irgendwann eine Familie zu gründen.