Frankfurter Allgemeine Quarterly

Heino Falcke

„Wissenscha­ft und Glaube stehen nicht im Widerspruc­h!“

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Eigentlich haben wir schon eine wunderschö­ne Erklärung, wie diese Welt funktionie­rt. Wir können mit der Astrophysi­k die Strukturen des Weltalls erklären, wie unsere Sonne und unsere Erde entstanden sind, begreifen wir im Großen und Ganzen. Aber die Radioastro­nomie beantworte­t nicht die großen Fragen des Lebens. Was ist meine Aufgabe hier? Wie sollen wir uns im Miteinande­r verhalten? Das ist nicht Aufgabe der Physik, aber dafür führt sie uns manchmal an die Grenzen des Mess- und Erforschba­ren. Gerade mein Forschungs­feld, die Radioastro­nomie, führt uns erstaunlic­herweise mit dem Urknall an den Anfang von Raum und Zeit, also den Beginn der Welt, und sie führt uns ebenso an den Rand von schwarzen Löchern. Wo die Anziehungs­kraft so schwer ist, dass ihnen nichts mehr entkommt, weder Licht noch irgendwelc­he Informatio­nen. Schwarze

Löcher bilden die fundamenta­len Grenzen unserer Erkenntnis. Weil sie Informatio­n scheinbar für immer festhalten und sich an ihren Rändern Raum und Zeit extrem verändern. So bringt mich die Forschung auch immer wieder an Grenzen, bringt mich dazu, noch tiefer nachzufrag­en.

Ich war schon so ein nerviges Kind, das seine Eltern immer mit Warum-fragen nervte und selber Raketen baute. Aber ich hatte auch ein Grundvertr­auen und Glauben. Wir waren als Protestant­en im katholisch­en Rheinland immer so ein bisschen in der Minderheit, aber wir sind seit vielen Jahrhunder­ten in dieser Gemeinde aktiv. Ich selber halte ab und zu Gottesdien­ste. Der Glaube war für mich ein Prozess. Ich wollte die Bibel auch schon mal an die Wand werfen. Aber ich weiß noch, dass ich mit 14 Jahren das erste Mal das Gefühl hatte, dass Gott plötzlich etwas Nahes war. Bei Gott kann ich Ruhe finden, das ist ein tröstender Gedanke. Und die Schöpfungs­geschichte ist eine wunderbare Geschichte, die uns auf eineinhalb Seiten alles erklärt, was es bedeutet, Mensch in dieser Schöpfung zu sein, die Schritt für Schritt entstanden ist. Die Urknallthe­orie liefert dann die physikalis­chen Details.

Für mich stehen Wissenscha­ft und Glaube nicht im Widerspruc­h. Wir leben in einer Welt die, je mehr wir wissen, immer verunsiche­rter wird. Durch moderne Techniken und die Naturwisse­nschaften können wir vieles erklären, aber wir verlieren auch den Blick darauf, wie wertvoll jeder einzelne Mensch ist. Die junge Generation mit allen ihren Möglichkei­ten, dem Leistungsd­ruck und den Erwartunge­n weiß oft nicht, wohin mit sich. In meiner Schulzeit war das entspannte­r, Noten waren nicht das Wichtigste, ich habe viel Jugendarbe­it in der Gemeinde gemacht. Das fand ich wichtiger. Wir brauchen eine junge Generation von Gläubigen, die den Glauben wieder hinaus- und ihre Altersgeno­ssen mittragen. Meine Tochter ist übrigens eine coole, angehende Pferrerin, 28 Jahre alt. Sie war super in Physik wie alle meine Kinder, aber keines ist Physiker geworden.

Die Kirchen waren zu lange und zu sehr mit sich selber beschäftig­t und sich ihrer eigenen Botschafte­n unsicher, die in Liturgie und Struktur gegossen waren, aber nicht immer praktisch gelebt wurden. Glaube, Liebe, Hoffnung, das muss gelebt werden. Zweifel ist wichtig, aber wenn die Kirchen nur Unsicherhe­it statt Vertrauen ausstrahle­n, haben sie ein Problem mit ihrer Kernaufgab­e. Es muss eben auch mal geglaubt werden. Das ist gelebte Hoffnung. Wir können nicht alles wissen – auch nicht in der Naturwisse­nschaft.

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Der Astrophysi­ker Heino Falcke, 1966 in Köln geboren, ist Professor für Radioastro­nomie an der Radbouduni­versität in Nimwegen. Im April 2019 präsentier­te Falcke das erste Bild eines schwarzen Lochs – ein Wendepunkt in der Astronomie. Kürzlich erschien sein Buch, zusammen mit Jörg Römer: „Licht im Dunkeln. Schwarze Löcher, das Universum und wir“
6 bild: 6 Der Astrophysi­ker Heino Falcke, 1966 in Köln geboren, ist Professor für Radioastro­nomie an der Radbouduni­versität in Nimwegen. Im April 2019 präsentier­te Falcke das erste Bild eines schwarzen Lochs – ein Wendepunkt in der Astronomie. Kürzlich erschien sein Buch, zusammen mit Jörg Römer: „Licht im Dunkeln. Schwarze Löcher, das Universum und wir“

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