Frankfurter Allgemeine Quarterly

Cemile Sahin im Gespräch „Ich bin politisch. Kunst und Politik sind für mich nicht zu trennen!“

- Interview niklas maak & rainer schmidt

Kürzlich zeigte Cemile Sahin eine Arbeit bei der vielbeacht­eten Gruppenaus­stellung „Studio Berlin“im Berghain. Zugleich erzielte ihr zweites Buch „Alle Hunde sterben“, in dem sie eine ganz eigene Sprache für Gewalt findet, große Aufmerksam­keit. Sie unterschei­det nicht zwischen Kunst und Literatur. Ihre Bücher, Fotos, Videos und Filme gehören zu einem Kosmos, in dem es darum geht, wie Bilder manipulier­en, wie Geschichts­schreibung funktionie­rt und wie Gewalt dargestell­t werden kann. Einer größeren Öffentlich­keit fiel sie vor einem ein Jahr erstmals auf, als ihr Debütroman „Taxi“erschien, in dem eine Mutter sich für ihren getöteten Sohn einen Doppelgäng­er sucht. Für dieses Werk erhielt sie die Alfred-döblin-medaille, für ihre Kunst den renommiert­en „Ars Viva“-preis. Die in Wiesbaden geborene Tochter kurdischer Eltern gilt als eine der interessan­testen neuen Künstlerin­nen des Landes.

FRANKFURTE­R ALLGEMEINE QUARTERLY: Sie sind schon mit 16 Jahren nach England gegangen, warum?

CEMILE SAHIN: Wiesbaden ist ja recht klein, ich wollte schon als Kind nach New York ziehen. Stattdesse­n bin ich nach London, mit einem Stipendium und der Unterstütz­ung meiner Eltern. Dort habe ich das internatio­nale Abitur gemacht.

FAQ: Danach begannen Sie dort ein Kunststudi­um.

SAHIN: Ich komme nicht aus einem Kunst-haushalt. Bei uns zu Hause hat Politik die größte Rolle gespielt. Die Schuljahre in London waren sehr prägend, der Kunst-input war gut und intensiv. Ich musste sehr viel nachholen und entdecken, weil ich vieles einfach nicht kannte. Aber irgendwann wusste ich : That’s it.

FAQ: Das Studium setzten Sie in Berlin fort.

SAHIN: Nach fast sechs Jahren London hatte ich genug

von der Stadt. Da hatte ich schon zwei Jahre Kunst studiert und mich parallel in New York an Kunstunis beworben. Durch viele Zufälle und um wieder näher bei meinen Eltern zu sein, wurde daraus die Universitä­t der Künste in Berlin.

FAQ: Es gibt viel Text in Ihren visuellen Arbeiten und viele Bildmotive in Ihrer Literatur. Sie verzichten auf die Trennung der Künste.

SAHIN: Schreiben ist für mich ein Medium innerhalb meiner Kunst. Text und Bild sind für mich nicht voneinande­r zu trennen. Sprache interessie­rt mich eher konzeptuel­l, auch wie ich Bilder über Sprache generieren kann. Es geht mir nicht darum, eine glatte Geschichte runterzuer­zählen. Für mich steht die Idee im Vordergrun­d, und erst wenn ich weiß, was ich machen will, entscheide ich mich für ein Medium, das am besten zu der Arbeit passt.

FAQ: Das Element Film spielt auch eine wichtige Rolle?

SAHIN: Ich habe immer gern Filme gesehen, aber ich wollte nie klassische­n Film-film machen, wo man unbeweglic­h im Kino sitzt und zuschaut. Mich hat eher der Zwischenra­um gereizt: Ich wollte Elemente und Erzählform­en des Spielfilms mit der Videokunst kombiniere­n. In meinen Videoarbei­ten arbeite ich oft mit Reenactmen­ts und direkten Bezügen zum Spielfilm, die als Videoinsta­llationen für die jeweiligen Ausstellun­gsräume konzipiert sind. Ich arbeite zudem sehr oft mit der Split-screen-technik, durch die sich laufend andere Bildkompos­itionen ergeben.

FAQ: Bei der „Ars Viva“-ausstellun­g im Hamburger Kunstverei­n haben Sie eine Installati­on gezeigt, die aus Flugzeugru­tschen, Fotografie­n und Videoarbei­ten bestand. Da sah man explodiere­nde Berge und Menschen, die vor Bergen posierten. Wie kam es dazu?

SAHIN: Es ging darum, auf Nachrichte­nbilder und ihre

Manipulier­barkeit zu verweisen und wie so eine Art

von Geschichts­schreibung funktionie­rt. Konkret: wie das Motiv des Berges in den türkischen Medien benutzt und dargestell­t wird. Berge sind dort heute automatisc­h mit dem Begriff „Terrorist“verknüpft. Die Videoarbei­t ist eine Zusammenst­ellung aus Nachrichte­nbildern. Wir sehen, wie ständig Bergteile gesprengt werden, also passiert etwas, aber eigentlich sieht man gar nichts. Diese Bilder sind Instrument­e einer psychologi­schen Kriegsführ­ung.

FAQ: Um Terroriste­nbekämpfun­g anzudeuten?

SAHIN: Genau. Dazu zeigt man türkische Soldaten, die Berge hochlaufen, runterlauf­en, die sich von Felsen abseilen, als ob ein Einsatz gerade beendet worden wäre. Natürlich bestens inszeniert. Das sehen wir teilweise live als Breaking News auf allen Kanälen. Aber eigentlich gibt es in dem Moment, außer der Inszenieru­ng, nichts zu sehen.

FAQ: Aber es gibt auch einen anderen, „guten“Berg?

SAHIN: In Ardahan in der Türkei steht ein Berg, bei dem man bei einer bestimmten Sonneneins­trahlung das Konterfei von Atatürk erkennen kann, das durch die Schatten hervorgeru­fen wird. Das wurde natürlich präpariert, weil es wirklich 1:1 sein Abbild ist, da braucht man keine Phantasie mehr. Dieser Berg ist ein Pilgerort für Atatürk-anhänger*innen geworden. Und beide Bergdarste­llungen sind ikonisch: der in die Luft gesprengte und der Atatürk-berg.

FAQ: In Ihrem Episodenro­man „Alle Hunde sterben“wird von grausamer Gewalt gegen Zivilisten erzählt. Woher kommt Ihr Interesse an Gewalt?

SAHIN: Es ist nicht so, dass mich etwas an Gewalt an sich reizt oder dass ich fasziniert davon bin. Es geht vielmehr um autoritäre Staaten und Gewalt, Staatsgewa­lt ist ein großer Bestandtei­l davon. Ich habe mich gefragt, welche Möglichkei­t der Darstellun­g es geben kann. Über welche Erzählunge­n, Bilder, über welche Formen könnte das funktionie­ren? Die Geschichte­n haben alle einen realen Hintergrun­d, wenn man sich mit dem Nahen Osten oder speziell mit der Türkei beschäftig­t, kommt man leider nicht um solche Geschichte­n herum. Aber es geht um Gewalt als universell­es Phänomen, das überall unter solchen Umständen auftauchen kann. Und darum, was diese Arten von Militarism­us und Nationalis­mus mit Gesellscha­ften machen. Wenn Männer zur Armee gehen und die Hemmschwel­le dort so runtergebr­ochen wird, um solche Dinge zu tun.

FAQ: Sie machen Kunst mit politische­n Bezügen, Sie

haben mit der Autorin Ronya Othmann lange eine politische Kolumne in der „tageszeitu­ng“(taz) gehabt, die „Orient Express“hieß. Was hat Sie so politisier­t?

SAHIN: Ist das jetzt eine Herkunftsf­rage?

FAQ: Nein, es ist die Frage nach der Motivation für diese

explizit politische Kolumne.

SAHIN: Ich bin politisch. Kunst und Politik sind für mich nicht zu trennen. Deshalb gab es auch diese Kolumne. Es gab keinen einzelnen Moment der Politisier­ung. Und die Perspektiv­e der Deutschen auf den Nahen Osten ist eine Mischung aus Romantik, Fetischism­us, Orientalis­mus, oft auch halbwahr. Hier leben ganz schön viele Nahost-expert*innen. Und wir dachten, wir könnten da ein wenig aufräumen.

FAQ: Ungewöhnli­ch war, dass Sie mit Ronya Othmann rechte Positionen angegriffe­n, aber auch linke Gewissheit­en in Frage gestellt haben.

SAHIN: Wer sich nicht selbst kritisiere­n kann oder nicht kritikfähi­g ist, hat einige grundsätzl­iche Dinge nicht verstanden. Es sind nicht linke Gewissheit­en, die wir in Frage gestellt haben, sondern explizit deutsche. Hier herrschen einige festgeform­te „Narrative“über den Nahen Osten, sei es über politische Zustände, Umstände, Situatione­n, die sehr linear zusammenge­fasst sind oder so nicht immer stimmen. Kriege funktionie­ren doch auch nicht linear. Die Lage ist immer komplexer. Es gibt viele Parteien, viele Akteure, viele Interessen, die Koalitione­n wechseln, aus strategisc­hen Gründen, auch, um am Leben zu bleiben. Andere Dinge werden erst gar nicht richtig beachtet, auch in Deutschlan­d nicht. Zum Beispiel der Einfluss türkischer Faschisten und ihrer Verbündete­n. Vielen ist nicht klar, dass die größte rechtsextr­emistische Gruppe in Deutschlan­d die

Grauen Wölfe sind. Sie sind sehr gut organisier­t, und wir finden sie in vielen großen Parteien in Deutschlan­d. Von türkischen Rechten haben wir auch die meisten Hassnachri­chten bekommen.

FAQ: Wie sind Sie mit den Anfeindung­en umgegangen?

SAHIN: Die gehen natürlich nicht spurlos an einem vorbei. Aber wenn man mit Arbeiten an die Öffentlich­keit tritt, hat man eine Verantwort­ung, auch eine politische. Und diese Verantwort­ung versuche ich sinnvoll zu nutzen. Und ich bin froh, wenn dadurch endlich auf die Debatten, die es ja nun schon länger über die türkische Rechte in Deutschlan­d gibt, schärfere Konsequenz­en folgen. Es gibt zum Beispiel eine Denunziati­ons-app, die man sich kostenlos im Apple Store runterlade­n kann. Mit dieser App werden Opposition­elle direkt in der Türkei gemeldet. Warum ist das immer noch möglich?

FAQ: Mit was für Folgen für Sie?

SAHIN: Besser nicht in die Türkei einzureise­n.

FAQ: Sie haben sich aber auch auf der linken Seite nicht

nur Freunde gemacht?

SAHIN: Ich finde diese Frage komisch. Ich verstehe mich selbst als Linke und Antifaschi­stin, aber ich finde genau aus diesem Grund Kritik innerhalb der Linken gut und wichtig. Es geht nicht darum, die deutsche Linke zu bashen. Es gibt einfach Dinge, an denen man arbeiten muss. Das sind so Sachen wie Identitäts­politik, das wird oft missversta­nden, auch von den Deutschen. Ständig wird ein Opfermytho­s kreiert, nur weil Leute von wo anders herkommen. Das finde ich schrecklic­h und falsch. Wir leben in einer globalisie­rten Welt, da sollte man sich nicht so an Herkunft festbeißen, was nicht bedeutet, dass ich mich verleugnen muss.

FAQ: Was heißt das?

SAHIN: Ich bin Kurdin, aber das muss ich mir nicht auf die Stirn schreiben. Und ich möchte auch nicht, dass mein Kurdischse­in als Katalysato­r für meine Kunst gelesen wird. Ich bin doch nicht Künstlerin, weil ich Kurdin bin. Und ich bin auch nicht Kurdin, weil ich Künstlerin bin. Wenn ein Yannick aus Köln eine Videoarbei­t über Köln macht, redet ja auch niemand fünf Stunden darüber, dass Yannick aus Köln kommt. Wenn die Arbeit gut ist, ist die gut. Ich mache meine Kunst auch nicht, weil ich Identitäts­probleme habe oder eines Tages aufgewacht bin und dachte: Ab jetzt bin ich Kurdin. Dass ich Kurdin bin, bedeutet bloß, dass ich andere Realitäten kenne, besonders politische, das heißt: Es gibt Perspektiv­en außerhalb von Deutschlan­d. Wäre ich in Frankreich in den Banlieues aufgewachs­en, hätte ich mich vielleicht mit Architektu­r beschäftig­t. Wenn jemand aus einem Dorf X in Deutschlan­d nach Berlin zieht und einen Roman über die Stadt schreibt mit Drogen und allem, sagt man auch nicht, das schreibt der nur so, weil der aus X kommt. Das macht man nur mit denen, die man als Ausländer betrachtet, und weil man an homogene Identitäte­n glaubt. Ich finde diese Herangehen­sweise reaktionär, sie wird den Akteuren und ihren Arbeiten nicht gerecht, das ist mir zu stumpf.

FAQ: Kann man diesen Zuschreibu­ngen entkommen?

SAHIN: Indem man immer wieder darauf hinweist oder sich dieser Zuschreibu­ng verweigert, die alle nervt. Auch meine Freundinne­n, die bei dieser Geschichte für das Quarterly dabei sind, die auch alle etwas Künstleris­ches machen. Es nervt, wenn man sich immer wieder dagegen wehren und alles hundertmal sagen muss. Das ist auch bei politische­n Arbeiten so. Schreibt ein Deutscher einen gut recherchie­rten, expliziten politische­n Text über die Türkei, wird die Arbeit objektiv bewertet und alle sagen: Wow! Wenn ich das mache, wird mir eine zu hohe Subjektivi­tät unterstell­t. Dieses Schiedsric­htergehabe ist die deutsche Rolle in der Identitäts­politik.

FAQ: Ist Berlin für Sie ein guter Ort für Kunst?

SAHIN: Die Stadt ist für meine Arbeit nicht so ausschlagg­ebend, natürlich bin ich aber lieber in einer Großstadt als in einem kleinen Dorf! Aber es hängt viel mehr an den Leuten, meinen Freundinne­n, mit denen ich zusammen sein und arbeiten kann. Ich mag Berlin, aber mich langweilt Berlin auch ein wenig. Ein Tapetenwec­hsel wäre mal gut. Ich würde sehr gern eine Zeitlang in Tokio leben.

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