Frankfurter Allgemeine Quarterly
„Tourismus hat mit Freiheit nichts zu tun!“
Was, wenn Reisen doch nicht die große Erfüllung bringt? Der Historiker Valentin Groebner hat darüber ein Buch geschrieben: „Ferienmüde. Als das Reisen nicht mehr geholfen hat“.
FRANKFURTER ALLGEMEINE QUARTERLY: Sie schreiben, Reisen sei praktisch zur Pflicht geworden. Was meinen Sie damit?
VALENTIN GROEBNER: Reisen hat einen eigenartigen Doppelcharakter. Auf der einen Seite ist es ein soziales Privileg, das war es schon vor dem Ersten Weltkrieg. Kleine Angestellte, Fabrikarbeiter, Dienstmädchen sind nicht in den Urlaub gefahren, das konnten die gar nicht. Erst die faschistische Bewegung in Italien und später die Nationalsozialisten haben „Urlaub für alle“zu ihrem sozialen Programm gemacht und mit staatlichen Interventionen verbunden. Die sozialistisch-kommunistische Volksfront in Frankreich, die 1936 an die Macht kam, stand unter dem Eindruck dieser erfolgreichen Propaganda und verkündete deshalb: Jeder werktätige Franzose hat das Recht auf zwei Wochen bezahlten Jahresurlaub.
FAQ: Also ist der Jahresurlaub für alle sozusagen eine
Idee aus dem Dritten Reich?
GROEBNER: Unter den Nationalsozialisten gab es dann in den dreißiger Jahren große Massenurlaubsprojekte. Die verkündeten: Jeder Deutsche hat die Pflicht, seine Arbeitskraft wieder auf Vordermann zu bringen – der Volkskörper muss in den Urlaub. Seitdem gibt es diese Doppelung: Einerseits wird Urlaub als nationales Vorrecht definiert. Wir fahren in die Ferien, weil wir angeblich mehr arbeiten als die anderen. Andererseits ist er jährliches Ritual, die Möglichkeit, für zwei oder vier Wochen so zu tun, als sei man selbst eine wohlhabende Person ohne Sorgen, Zwänge und alltägliche Verpflichtungen. So ist das Konzept vom Urlaub als eine Mischung aus nationalem und sozialem Privileg entstanden, und so funktioniert es bis heute.
FAQ: Damals konnten die Leute aber noch keine
Fernreisen machen.