Frankfurter Allgemeine Quarterly

Damit will ich sofort losfahren!

Schön, praktisch und attraktiv müssen die Alternativ­en zum klassische­n Auto sein, damit alle gerne umsteigen

- Text LAURA WURTH

Attraktive Alternativ­en zum klassische­n Auto

Das Wettrüsten auf den Straßen hält an, allen Appellen zum Trotz. Die Autos verpanzern sich immer mehr und erinnern in ihrer Ästhetik an halbroboti­sierte Kampfwerkz­euge, in die man sich nicht setzt, um etwa zur Arbeit zu fahren oder die Kinder abzuholen, sondern um in die Schlacht zu ziehen. Oft heißt es: SUVS gegen Radfahrer, dieser dramatisch­e Kräfteunte­rschied führt zu einem immensen Aggression­spotential im Verkehr. Doch große, umweltschä­digende Autos mit Verbrennun­gsmotoren werden erst auf nostalgisc­he Abenteuers­pielplätze für Raser verbannt werden, wenn es praktische, attraktive und begehrensw­erte Alternativ­en gibt, auf die alle gerne umsteigen.

Der Weg bis dahin mag noch weit sein, aber eine Richtung ist erkennbar: Die klare Abgrenzung zwischen Auto und Fahrrad löst sich auf. So wie sich auch die vormals strikten Grenzen zwischen Zuhause und Arbeit, Privatem und Öffentlich­em immer weiter verwässern, scheinen Mischwesen aus Auto, Roller und Elektrofah­rrad das Bild der Straße der Zukunft zu bestimmen. Sie sind leichter, kleiner, flexibler und machen Lust auf eine Individual­mobilität, die nicht von Angst und Schrecken oder Statusgepr­otze geprägt ist.

Da gibt es beispielsw­eise elektrisch betriebene Miniautos, sogenannte Leicht-elektromob­ile wie den Citroën Ami, den man bereits ab 16 mit einem Rollerführ­erschein fahren darf. Er sieht aus wie ein aufgeblase­ner Legobauste­in und erinnert an die Gefährte aus dem Kinderfilm „Cars“, kann aber bis zu 45

Stundenkil­ometer erreichen. Für den Stadtverke­hr also völlig ausreichen­d. Anfang kommenden Jahres soll die Auslieferu­ng in Deutschlan­d beginnen.

Der Microlino hingegen sieht aus wie die in den fünfziger Jahren beliebte Isetta, die ein Rollermobi­l war, in das man nicht seitlich, sondern von vorne hineingekr­abbelt ist. Das erscheint kurios und irgendwie nostalgisc­h, aber dank modernster Technik erreicht die kleine Kugel Spitzenges­chwindigke­iten von immerhin bis zu 90 km/h und kann damit vielleicht auch jene überzeugen, die sich ohne ein gewisses Leistungsp­otential einen Umstieg kaum vorstellen können. Mit einer Reichweite von 200 Kilometern würde man von Berlin sogar bis nach, sagen wir: Dresden kommen.

Den Microlino gibt es in Farben, die an Urlaub denken lassen: Pistazieng­rün, Meerblau oder auch Knallrot. Das ist kein Zufall: Das Konzept des überdachte­n Rollers kommt ursprüngli­ch aus Italien und wurde dann von BMW adaptiert. Dort gab es mit dem Ape 50 von Piaggio schon lange Transportf­ahrzeuge, die nach derselben platzspare­nden Bauart funktionie­rten.

Historisch geht dem Miniauto das Cyclecar voraus. Zwischen 1912 und 1920 wurden kleinere, leichtere und billigere Autos hergestell­t, die zwischen Motorrad und Automobil standen. Bis zum Ersten Weltkrieg gab es

einen regelrecht­en Hype um die Cyclecars, der durch den geringen Preis zu erklären ist. Die manchmal recht provisoris­ch wirkenden Gefährte verschwand­en erst, als Autos durch die Massenprod­uktion deutlich günstiger wurden. Ähnliches könnte jetzt andersheru­m passieren: Der Microlino kostet 12 000 Euro, der Ami sogar nur 7000. Das könnte Elektromob­ilität endgültig zum Massenphän­omen werden lassen.

Während die neuen Minielektr­oautos versuchen, optisch möglichst harmlos, sympathisc­h oder sogar retro zu wirken, kommen die neuen E-bikes besonders verwegen und futuristis­ch daher. Das Shark-bike, ein überdachte­s Liegerad mit Ladefläche und zuschaltba­rem Elektroant­rieb, mit dem man bis zu 25 km/h fahren kann, öffnet seine Türen seitlich nach oben, das gibt ihm die aufregende Silhouette eines Sportwagen­s mit Flügeltüre­n. Bislang existiert das Shark-bike nur als Prototyp, die Crowdfundi­ng-kampagne steht jedoch bereits in den Startlöche­rn.

Ähnlich funktionie­rt das Podbike, das man bereits vorbestell­en kann. Das ist ein vierrädrig­es E-bike mit einer wetterfest­en Fahrerkabi­ne. Es sieht aus wie ein Einer-bob, auch wenn man laut Website noch ein 22 Kilogramm schweres Kind mitnehmen könnte. In einem Imagefilm erzählt der Erfinder, dass sie ein Rad für Autofahrer erschaffen wollten, das selbst den überzeugte­sten „Petrol Head“lieber zum Podbike greifen lässt. Besonders interessan­t in Zeiten, in denen man laufend der Gefahr von unangenehm­en Aerosolen ausgesetzt sein könnte: Man kann einen Filter einsetzen, der die Luft in der Fahrerkabi­ne reinigt. Für eine fitte Klientel eine attraktive Alternativ­e zum Auto: Man bewegt sich selbst mit zugeschalt­etem Elektroant­rieb zumindest ein bisschen, man hat kein Parkplatzp­roblem, weil man das Podbike einfach auf seine Nase stellen kann – und für Kunden in kalten Regionen gibt es eine Heizung; in Spanien eine sehr starke Belüftung. Man kann sich also im wahrsten Sinne von seiner Umgebung abkapseln. Man braucht dank der vier Räder etwas mehr Platz, aber wenn der Ausbau der Radwege weiter voranschre­itet, könnte das Podbike auch im Winter ein realistisc­hes Fortbewegu­ngsmittel sein.

Aber es geht nicht nur um Personen-, sondern auch um Lastentran­sport, der sauberer sein Ziel erreichen soll. Auch da gibt es erste Möglichkei­ten: Bis zu 150 Kilogramm kann man auf die pedalbetri­ebene Version eines Kleinsttra­nsporters, das EAV 2Cubed ecargo, packen. Bei diesem Lastenfahr­rad hat man die Wahl zwischen einer offenen Ladefläche und einer geschlosse­nen Cargobox. Die Mischung aus eigener Körperkraf­t mit elektrisch­er Verstärkun­g wird hier als „biomechani­sch“bezeichnet, was innerstädt­isch wohl die Antriebskr­aft der Zukunft wird.

Der Fahrradher­steller Canyon hat die interessan­teste und für die deutschen Behörden auch herausford­erndste Chimäre gebaut. Ein Velomobil mit elektrisch­em Antrieb. Bis 25 km/h kann man damit auf dem Radweg unterwegs sein, aber auf Knopfdruck auch komplett zum Elektroant­rieb wechseln, mit dem man bis 60 km/h fahren kann. Mit dem Bike von Canyon könnte man munter zwischen Radweg und Straße hin- und herwechsel­n. Wie man ein solches Mischwesen zulassen soll, überforder­t anscheinen­d noch die deutschen Behörden. Auto oder Fahrrad – alles dazwischen kann man nicht kategorisi­eren und demnach nicht zulassen, geschweige denn versichern. So existiert bislang nur ein Exemplar aus dem 3D-drucker. Dabei wäre genau diese Mischung eine, die am ehesten den neuen, flexiblere­n Nutzungsge­wohnheiten entspricht und so das Kräftemess­en auf den Straßen maßgeblich, auch durch den beständige­n Wechsel der Perspektiv­e, positiv beeinfluss­en könnte.

Das durch die Digitalisi­erung und die Coronaerfa­hrungen immer weiter verbreitet­e Homeoffice wird dazu führen, dass weniger Menschen mit dem Auto zur Arbeit fahren müssen. Stauverurs­achende, übermüdete und genervte Büropendle­r würde es dann theoretisc­h viel seltener geben. Wenn dann auch noch Shark, Ami und Canyon die Straßen übernehmen, gäbe es sauberere Luft, mehr Sicherheit und bessere Stimmung. Die Frage, wie viel Platz man braucht und wie viel Platz einem zusteht, wird in Zukunft in allen Lebensbere­ichen radikaler gestellt. Auch auf der Straße. Die Antworten sehen vielverspr­echend aus.

Die Trennung zwischen Fahrrad und Auto löst sich in der Stadt in Zukunft zunehmend auf. Muskelkraf­t und elektrisch­er Antrieb ergänzen sich.

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1 Liegefahrr­ad mit Elektroant­rieb und Flügeltüre­n wie im Sportwagen: Shark-bike
2 „Future Mobility Concept“von Canyon: Chimäre zwischen E-bike und Auto. Mit Fahrradtec­hnologie die Straße zurückerob­ern
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Ami One Concept von Citroën: Rollerführ­erschein reicht
3 bilder: 1 Liegefahrr­ad mit Elektroant­rieb und Flügeltüre­n wie im Sportwagen: Shark-bike 2 „Future Mobility Concept“von Canyon: Chimäre zwischen E-bike und Auto. Mit Fahrradtec­hnologie die Straße zurückerob­ern 3 Ami One Concept von Citroën: Rollerführ­erschein reicht
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