Frankfurter Allgemeine Quarterly
Damit will ich sofort losfahren!
Schön, praktisch und attraktiv müssen die Alternativen zum klassischen Auto sein, damit alle gerne umsteigen
Attraktive Alternativen zum klassischen Auto
Das Wettrüsten auf den Straßen hält an, allen Appellen zum Trotz. Die Autos verpanzern sich immer mehr und erinnern in ihrer Ästhetik an halbrobotisierte Kampfwerkzeuge, in die man sich nicht setzt, um etwa zur Arbeit zu fahren oder die Kinder abzuholen, sondern um in die Schlacht zu ziehen. Oft heißt es: SUVS gegen Radfahrer, dieser dramatische Kräfteunterschied führt zu einem immensen Aggressionspotential im Verkehr. Doch große, umweltschädigende Autos mit Verbrennungsmotoren werden erst auf nostalgische Abenteuerspielplätze für Raser verbannt werden, wenn es praktische, attraktive und begehrenswerte Alternativen gibt, auf die alle gerne umsteigen.
Der Weg bis dahin mag noch weit sein, aber eine Richtung ist erkennbar: Die klare Abgrenzung zwischen Auto und Fahrrad löst sich auf. So wie sich auch die vormals strikten Grenzen zwischen Zuhause und Arbeit, Privatem und Öffentlichem immer weiter verwässern, scheinen Mischwesen aus Auto, Roller und Elektrofahrrad das Bild der Straße der Zukunft zu bestimmen. Sie sind leichter, kleiner, flexibler und machen Lust auf eine Individualmobilität, die nicht von Angst und Schrecken oder Statusgeprotze geprägt ist.
Da gibt es beispielsweise elektrisch betriebene Miniautos, sogenannte Leicht-elektromobile wie den Citroën Ami, den man bereits ab 16 mit einem Rollerführerschein fahren darf. Er sieht aus wie ein aufgeblasener Legobaustein und erinnert an die Gefährte aus dem Kinderfilm „Cars“, kann aber bis zu 45
Stundenkilometer erreichen. Für den Stadtverkehr also völlig ausreichend. Anfang kommenden Jahres soll die Auslieferung in Deutschland beginnen.
Der Microlino hingegen sieht aus wie die in den fünfziger Jahren beliebte Isetta, die ein Rollermobil war, in das man nicht seitlich, sondern von vorne hineingekrabbelt ist. Das erscheint kurios und irgendwie nostalgisch, aber dank modernster Technik erreicht die kleine Kugel Spitzengeschwindigkeiten von immerhin bis zu 90 km/h und kann damit vielleicht auch jene überzeugen, die sich ohne ein gewisses Leistungspotential einen Umstieg kaum vorstellen können. Mit einer Reichweite von 200 Kilometern würde man von Berlin sogar bis nach, sagen wir: Dresden kommen.
Den Microlino gibt es in Farben, die an Urlaub denken lassen: Pistaziengrün, Meerblau oder auch Knallrot. Das ist kein Zufall: Das Konzept des überdachten Rollers kommt ursprünglich aus Italien und wurde dann von BMW adaptiert. Dort gab es mit dem Ape 50 von Piaggio schon lange Transportfahrzeuge, die nach derselben platzsparenden Bauart funktionierten.
Historisch geht dem Miniauto das Cyclecar voraus. Zwischen 1912 und 1920 wurden kleinere, leichtere und billigere Autos hergestellt, die zwischen Motorrad und Automobil standen. Bis zum Ersten Weltkrieg gab es
einen regelrechten Hype um die Cyclecars, der durch den geringen Preis zu erklären ist. Die manchmal recht provisorisch wirkenden Gefährte verschwanden erst, als Autos durch die Massenproduktion deutlich günstiger wurden. Ähnliches könnte jetzt andersherum passieren: Der Microlino kostet 12 000 Euro, der Ami sogar nur 7000. Das könnte Elektromobilität endgültig zum Massenphänomen werden lassen.
Während die neuen Minielektroautos versuchen, optisch möglichst harmlos, sympathisch oder sogar retro zu wirken, kommen die neuen E-bikes besonders verwegen und futuristisch daher. Das Shark-bike, ein überdachtes Liegerad mit Ladefläche und zuschaltbarem Elektroantrieb, mit dem man bis zu 25 km/h fahren kann, öffnet seine Türen seitlich nach oben, das gibt ihm die aufregende Silhouette eines Sportwagens mit Flügeltüren. Bislang existiert das Shark-bike nur als Prototyp, die Crowdfunding-kampagne steht jedoch bereits in den Startlöchern.
Ähnlich funktioniert das Podbike, das man bereits vorbestellen kann. Das ist ein vierrädriges E-bike mit einer wetterfesten Fahrerkabine. Es sieht aus wie ein Einer-bob, auch wenn man laut Website noch ein 22 Kilogramm schweres Kind mitnehmen könnte. In einem Imagefilm erzählt der Erfinder, dass sie ein Rad für Autofahrer erschaffen wollten, das selbst den überzeugtesten „Petrol Head“lieber zum Podbike greifen lässt. Besonders interessant in Zeiten, in denen man laufend der Gefahr von unangenehmen Aerosolen ausgesetzt sein könnte: Man kann einen Filter einsetzen, der die Luft in der Fahrerkabine reinigt. Für eine fitte Klientel eine attraktive Alternative zum Auto: Man bewegt sich selbst mit zugeschaltetem Elektroantrieb zumindest ein bisschen, man hat kein Parkplatzproblem, weil man das Podbike einfach auf seine Nase stellen kann – und für Kunden in kalten Regionen gibt es eine Heizung; in Spanien eine sehr starke Belüftung. Man kann sich also im wahrsten Sinne von seiner Umgebung abkapseln. Man braucht dank der vier Räder etwas mehr Platz, aber wenn der Ausbau der Radwege weiter voranschreitet, könnte das Podbike auch im Winter ein realistisches Fortbewegungsmittel sein.
Aber es geht nicht nur um Personen-, sondern auch um Lastentransport, der sauberer sein Ziel erreichen soll. Auch da gibt es erste Möglichkeiten: Bis zu 150 Kilogramm kann man auf die pedalbetriebene Version eines Kleinsttransporters, das EAV 2Cubed ecargo, packen. Bei diesem Lastenfahrrad hat man die Wahl zwischen einer offenen Ladefläche und einer geschlossenen Cargobox. Die Mischung aus eigener Körperkraft mit elektrischer Verstärkung wird hier als „biomechanisch“bezeichnet, was innerstädtisch wohl die Antriebskraft der Zukunft wird.
Der Fahrradhersteller Canyon hat die interessanteste und für die deutschen Behörden auch herausforderndste Chimäre gebaut. Ein Velomobil mit elektrischem Antrieb. Bis 25 km/h kann man damit auf dem Radweg unterwegs sein, aber auf Knopfdruck auch komplett zum Elektroantrieb wechseln, mit dem man bis 60 km/h fahren kann. Mit dem Bike von Canyon könnte man munter zwischen Radweg und Straße hin- und herwechseln. Wie man ein solches Mischwesen zulassen soll, überfordert anscheinend noch die deutschen Behörden. Auto oder Fahrrad – alles dazwischen kann man nicht kategorisieren und demnach nicht zulassen, geschweige denn versichern. So existiert bislang nur ein Exemplar aus dem 3D-drucker. Dabei wäre genau diese Mischung eine, die am ehesten den neuen, flexibleren Nutzungsgewohnheiten entspricht und so das Kräftemessen auf den Straßen maßgeblich, auch durch den beständigen Wechsel der Perspektive, positiv beeinflussen könnte.
Das durch die Digitalisierung und die Coronaerfahrungen immer weiter verbreitete Homeoffice wird dazu führen, dass weniger Menschen mit dem Auto zur Arbeit fahren müssen. Stauverursachende, übermüdete und genervte Büropendler würde es dann theoretisch viel seltener geben. Wenn dann auch noch Shark, Ami und Canyon die Straßen übernehmen, gäbe es sauberere Luft, mehr Sicherheit und bessere Stimmung. Die Frage, wie viel Platz man braucht und wie viel Platz einem zusteht, wird in Zukunft in allen Lebensbereichen radikaler gestellt. Auch auf der Straße. Die Antworten sehen vielversprechend aus.
Die Trennung zwischen Fahrrad und Auto löst sich in der Stadt in Zukunft zunehmend auf. Muskelkraft und elektrischer Antrieb ergänzen sich.