Frankfurter Allgemeine Quarterly
Q1—wem gehört die Zukunft des Films?
Eine Notsituation in einem Zug: In einem Wagen ist anscheinend eine geheimnisvolle Krankheit ausgebrochen. Ein Passagier nach dem anderen kollabiert, diejenigen, die noch bei Bewusstsein sind, rufen um Hilfe. Ist ein Arzt im Zug? Da steht eine junge Frau (Luna Wedler) auf. Das ist Mia, die zwar noch keine Ärztin ist, aber Medizinstudentin. Im ersten Semester. Eine begabte, ehrgeizige, mutige Studentin. Entschieden setzt sie das Gerät zur Wiederbelebung an und erklärt gleich darauf der herbeigeeilten Ärztin, welches Gegenmittel helfen wird. Sie handelt, ohne um Erlaubnis zu fragen: schnell und mutig, entschieden, zielstrebig, wenn es sein muss auch rücksichtslos. Um das Vertrauen der dubiosen und erfolgreichen Professorin Tanja Lorenz (Jessica Schwarz) zu gewinnen und für sie zu arbeiten, ist ihr jedes Mittel recht.
Die Szene ist der Beginn der Netflix-serie „Biohackers“, die diesen Herbst Premiere hatte. „Vor ein paar Jahren wäre die Hauptrolle in ‚Biohackers‘ sicher noch männlich gewesen“, sagt die Hauptdarstellerin, die gerade einmal zwanzig Jahre alte Luna Wedler, als wir per Videokonferenz mit ihr sprechen. Sie ist nicht nur die derzeit interessanteste Schweizer Nachwuchsschauspielerin, die in den letzten Jahren eine ganze Reihe großer Filme gedreht hat, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit ist sie auch die Anführerin einer neuen Generation von Schauspielerinnen, für die #Metoo nicht eine hart erkämpfte Errungenschaft, sondern die Ausgangsbasis ist. Siebzehn Jahre alt war Wedler, als die Bewegung vor gut drei Jahren die Filmwelt veränderte. Natürlich prüft sie bei Nacktszenen erst einmal, ob die wirklich nötig sind, und dann, ob sie sich mit dem Setting, in dem sie gedreht werden, wohl fühlt. Sie kennt ihren Wert, sucht sich ihre Rollen selbstbewusst und selbstbestimmt aus. „#Metoo war der Anfang, wir wollen mehr!“, bekräftigt sie.
Und im Moment wirkt es ganz so, als würde Luna Wedler bekommen, was sie möchte. In Bezug auf ihre Karriere in jedem Fall. Im letzten Jahr hat sie neben der Serie und zwei renommierten deutschen und Schweizer Produktionen an der Seite etwa von Isabelle Hupperts Tochter Lolita Chammah auch im neuen Film der vielfach ausgezeichneten ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi („Körper und Seele“) gespielt, „The Story of my Wife“. Zusammen mit Léa Seydoux. „Sie ist natürlich ein ganz großes Vorbild. Ich war noch nie in meinem Leben so aufgeregt“, sagt Wedler. Einerseits wirkt sie offen und überzeugend, andererseits so entspannt und selbstsicher, dass man sich das mit der Aufregung kaum vorstellen kann.
Luna Wedlers Selbstbewusstsein, der Übermut in ihrer heiseren Stimme, der Enthusiasmus in ihrem sommersprossigen Gesicht, das tatsächlich sogar ein wenig an Léa Seydoux erinnert und mit ihrem offenen Blick doch vor allem eins ist: angstfrei – dieses Auftreten, diese Wirkung ist sicher nicht nur das Ergebnis von #Metoo. Luna Wedler, die als Tochter eines Arztes aus Hamburg und einer Schweizerin in Zürich aufwuchs, brachte diese Haltung schon mit in den Beruf. Dass es nun aber mehr und mehr auch Rollen für Frauen wie sie gibt, das hat natürlich auch mit dieser Bewegung zu tun, wie man mit großer Sicherheit annehmen kann, und mit den Weiterentwicklungen, die sie angestoßen und ermöglicht hat.
„Biohackers“ist deshalb genau die richtige Serie für sie, genau der richtige Start in ein nächstes Jahr, das mit „The Story of my Wife“, „Beast“und „Je suis Karl“gleich drei große Kinofilme mit Luna Wedler zeigen wird. Über die nächsten Filme, die mit ihr ins Kino kommen, darf sie gerade noch nicht viel erzählen. Die Spannung von „Biohackers“jedenfalls lebt vom Duell zwischen den beiden weiblichen Hauptfiguren. Es geht dabei um das illegale medizinische Forschungsprojekt Homo Deus, um Mias Familiengeschichte und um Professorin Lorenz’ Ehrgeiz. Um zwei Frauen, die sehr
klare Ziele haben und denen jedes Mittel recht ist, um sie zu erreichen. Mit Jessica Schwarz, „Jessi“, wie sie sie nennt, hat Luna Wedler besonders gern zusammengespielt. Männer spielen dabei Hilfs- und Nebenrollen: den Freund, das Love Interest, den Kollegen, den Mitbewohner.
Als wir mit ihr sprechen, dreht Luna Wedler bereits die zweite Staffel von „Biohackers“, in München. Ein langes Wochenende nutzt sie, um Zeit in ihrer Heimatstadt Zürich zu verbringen. Dort ist sie aufgewachsen, da fing alles an. Mit einem Zufall, so beschreibt sie es: „Ich habe einfach einen Job gesucht, so mit vierzehn, und bin dann auf diese Casting-anzeige gestoßen.“Es ging um den Film „Amateur Teens“, der vom Druck sozialer Medien erzählt. Luna Wedler bekam die Rolle. Und seitdem viele, viele weitere. Sie war in der vielfach preisgekrönten Coming-of-age-tragödie „Blue My Mind“(2017) zu sehen, in der Komödie „Flitzer“(2017), in „Das schönste Mädchen der Welt“(2018) und der Verfilmung des Erfolgsromans „Auerhaus“(2019).
Vergangenes Jahr war sie European Shooting Star bei der Berlinale, dieses Jahr wurde sie mit dem Bayerischen Filmpreis als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet. In den Filmen, für die sie prämiert wurde, spielte sie zum Teil noch typische Teenagerrollen. Die Figur der Mia in „Biohackers“ist eine Weiterentwicklung. Die Serie ist nicht perfekt, hat einige klischeehafte Momente, trotz der gelungenen Spannung. Was sie aber ausmacht, ist ihre Hauptdarstellerin, die so viel Energie, Charme und Leichtigkeit ausstrahlt, dass man ihr wie gebannt zusieht.
Die größte Herausforderung in „Biohackers“war für sie, „dass Mia jederzeit eine Rolle spielt“. Luna Wedler dagegen zieht ihre Energie gerade daraus, sie selbst zu sein. „Ich tue nicht so, als wäre ich jemand, der ich nicht bin. Ich habe einfach wirklich so Bock, das zu machen“, sagt sie.
Sie schwärmt von ihrem Beruf, an dem sie besonders mag, dass sie sich so hineinwerfen könne in jede Rolle, „ganz damit verschmelzen“. Schwierigkeiten hat sie manchmal mit der Wahrnehmung durch andere: „Dass die Leute oft vor allem den Glamour sehen und nicht verstehen, dass Schauspielen auch wirklich harte Arbeit ist, körperlich und psychisch.“Sich abzugrenzen nach einem intensiven Dreh, musste sie erst lernen. Aber etwas Neues zu lernen gefällt ihr. Sie würde zum Beispiel gern mal eine sehr introvertierte Person spielen, sagt sie, weil ihr das vermutlich schwerer fallen würde. Auch der Dreh der Szene im Zug am Anfang von „Biohackers“war sehr fordernd. Gerade deshalb sei es ihre liebste Szene bei den Dreharbeiten gewesen: „Sie ist fast ohne Schnitt gedreht worden, und wir mussten sie 32 Mal wiederholen“, erzählt sie, noch immer fasziniert. Luna Wedler mag solche Herausforderungen, sie machen ihr keine Angst, weil sie die innere Sicherheit spürt, dass sie sie bewältigen wird.
Luna Wedler lässt so vieles so einfach wirken, um das sich Menschen in der Filmwelt gerade Sorgen machen: starke weibliche Hauptrollen, Selbstbestimmtheit, eine eigene Identität entwickeln als junge Schauspielerin. Nachher wird sie sich noch mit ihrer Schauspielkollegin Ella Rumpf (Porträt in FAQ 2/2017) treffen, die ebenfalls in Zürich lebt. Man kann sich die beiden vorstellen, wie sie zusammensitzen und die Zukunft des Films planen. Ach was: Sie sind ja die Zukunft des Films. Danach gefragt, was sie unbedingt noch erreichen will, sagt sie: „Ich möchte unbedingt einmal zum Filmfestival von Cannes!“
In Frankreich kann man ruhig schon mal damit beginnen, ihr einen roten Teppich auszurollen. Und wenn nicht, dann kümmert sie sich vielleicht einfach selbst darum. Kein Problem für Luna Wedler. Ein Glück für die Filmwelt.
Luna Wedler ist angstfrei, überzeugend, selbstbewusst, enthusiastisch und sagt: „#Metoo war der Anfang. Wir wollen mehr.“