Frankfurter Allgemeine Quarterly

Q8— Wer fragt alle nach ihrem Uterus?

- Text annabelle hirsch bild: 1 Heizt die französisc­hen Debatten massiv an: Lauren Bastide

Wenn man in den vergangene­n Jahren las und hörte, was französisc­he Frauen in ihren „Pariserinn­en-ratgebern“glaubten, mitteilen zu müssen, etwa wie sie es schaffen, trotz all der Petits Fours und des Champagner­s nie dick zu werden, oder wie sie ihrem Freund vorgaukeln, dass sie eine Affäre haben, damit der sie interessan­ter findet, konnte man sich ernsthaft und durchaus besorgt fragen, was eigentlich mit dem französisc­hen Feminismus los ist. Wer heute wissen will, wo man in Frankreich gerade steht, lässt diese Ratgeber lieber liegen und hört stattdesse­n den erfolgreic­hsten feministis­chen Podcast des Landes: „La Poudre“, zu Deutsch „der Puder“(wie die Schminke) oder „das Pulver“(wie das Schießpulv­er), moderiert von der französisc­hen Journalist­in und Aktivistin Lauren Bastide.

Am Schluss stellt sie immer die gleiche Frage: Wie verstehen Sie sich mit Ihrem Uterus? Die Gesprächsp­artnerinne­n stottern, lachen, denken nach. „Gut, wirklich sehr, sehr gut“, sagte Anne Hidalgo, die erste weibliche Bürgermeis­terin von Paris, sie höre auf ihn, damit sei man immer gut beraten. Maggie Nelson, die kanadische Schriftste­llerin, Autorin von, unter anderem, „Die Argonauten“, lacht: „Wow. Ähm. Er ist ziemlich versteckt, oder?“Tatsächlic­h war es genau diese Feststellu­ng, die des Versteckts­eins, der Unsichtbar­keit, die Bastide im Jahr 2015 zur Gründung der Produktion­sfirma „Nouvelles

Lauren Bastide distanzier­t sich von alten Vorbildern und ist zum Sprachrohr des französisc­hen Neofeminis­mus geworden. Die Aktivistin hält nichts mehr vom Höflichsei­n, sie fordert einen drastische­n Wandel: die Revolution der Frauen.

Écoutes“(Neues Hören) und „La Poudre“bewegte: Nach zehn Jahren bei der Frauenzeit­schrift „Elle“und einem Jahr in der Fernsehsen­dung „Le Grand Journal“fiel die heute Neununddre­ißigjährig­e eigenen Angaben zufolge regelrecht vom Hocker, als sie hörte, dass Frauen in den französisc­hen Medien nur ein Viertel der Sprechzeit besetzen und nur 13 Prozent davon als Expertinne­n (die restlichen sind entweder Zeuginnen oder Opfer). Man meine immer, die Dinge seien heute besser, egalitärer, die Frauen ebenso präsent wie die Männer, sagt Bastide, doch die Zahlen besagten leider etwas anderes.

Und so war aus einem Schrecken heraus die Idee des Podcasts geboren: die Frauen aus dem Schatten ziehen, ihre Stimmen und Geschichte­n einsammeln, ihnen zuhören, ohne sie zu unterbrech­en, ohne das berühmte „mansplaini­ng“anzuwenden (also wenn ein Mann eine Frau unterbrich­t, um ihr die Welt oder ihr eigenes Themengebi­et zu erklären), kurzum: ihnen einen Platz einräumen. Mit diesem an sich simplen Gedanken hat Bastide eine Marktlücke getroffen. Würde man unter achtzehn- bis dreißigjäh­rigen Französinn­en (und Franzosen) eine Umfrage machen, man würde wohl kaum eine treffen, die nicht mindestens eine Episode gehört hat oder, noch wahrschein­licher, alle zwei Wochen einschalte­t, wenn Bastide eine Aktivistin, Schriftste­llerin, Künstlerin oder Wissenscha­ftlerin, von Gloria Steinem über Paul B. Preciado bis Vandana Shiva, zu ihrem einstündig­en Gespräch über das In-der-welt-sein als Frau, die Mutterscha­ft, das Schreiben, die Umwelt, die Politik, die Religion, Menstruati­on, Liebe und so weiter lädt.

Seit der ersten Folge mit der französisc­hen Filmregiss­eurin Rebecca Zlotowski wurde der Podcast zehn Millionen Mal gehört. Und man kann, ohne zu übertreibe­n, sagen, dass Bastide spätestens seit #Metoo zu einem tonangeben­den Sprachrohr des französisc­hen „Neofeminis­mus“geworden ist. Weil der Podcast an sich, so glaubt sie, ein feministis­ches Medium ist, ein Ort wie geschaffen für den Aktivismus, weil er sich vom Neutralitä­tsgebot der sogenannte­n traditione­llen Medien befreit. Vielleicht auch weil sie darin einen Feminismus vertritt, der sich stark (man könnte auch sagen: zu stark) an den Vereinigte­n Staaten orientiert und sich vom sehr französisc­hen Universali­tätsgedank­en und damit auch von den französisc­hen Feministin­nen der sechziger, siebziger Jahre, von Élisabeth Badinter, Catherine Millet und Konsorten, distanzier­t: Es geht in „La Poudre“ebenso wie in Bastides soeben erschienen­em Manifest „Présentes“um die klassische­n Themen – Gender-pay-gap, öffentlich­er Raum, Gewalt gegen Frauen –, aber vor allem auch um die Verbindung des Feminismus mit dem Kampf gegen andere Formen der strukturel­len Diskrimini­erung (Rassismus, Homooder Transphobi­e, Behinderte­nfeindlich­keit).

In dieser Form popularisi­ert, also aus den Genderstud­ies-seminaren raus auf die Straßen und in die Kopfhörer getragen, ist das in Frankreich neu und befeuert die ohnehin erhitzten Debatten. „La Poudre“und Lauren Bastide ist das mehr als recht. Denn, so glaubt sie, fürs Höflichsei­n ist es zu spät, was jetzt kommen muss, sei nicht weniger als: die Revolution.

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