Frankfurter Allgemeine Quarterly
Q10— Wie gut klingt der Abgesang auf die Millennials?
Die große Popmusik-frage für 2021 lautet: Kann sich neue, junge Pop-, Rock- oder Folk-musik gegenüber Hiphop oder Elektronik, zwei auch schon älteren Richtungen, behaupten? Klar doch! Auch jenseits der neobeschaulichen Kölner Kumpelsband Annenmaykantereit, deren Song „Barfuß am Klavier“auf die 100 Millionen Streams zusteuert, suchen gerade viele Bands und Solisten im Alter von 19 bis 29 ihr Glück – mal mit, vielfach ohne Computersounds – in traditionellen Formaten. Wie Nora Steiner und Madlaina Pollina aus Zürich. Schon mit 16 haben sie in einer Schulband Ska zusammen gespielt. Gitarre, Klavier, lange, oft lebenskluge Texte. Sie sind nun so etwas wie neue Fackelträgerinnen einer handwerklich sehr gut gemachten Gitarrenmusik zwischen Punk/punkrock und Chanson, die ihre Generation in Songs wie „Das Schöne Leben“oder „Wenn Du mir Glaubst“auf die Analyse-couch legen: „Frauen wollen was, Männer auch. Ein schönes Haus, ein Kind im Bauch …“
Steiner & Madlaina, das klingt so schön wie bei Simon & Garfunkel, nur eben als Nachname/ Vorname-duo, sitzen in der „Vineria Centrale“im Züricher Kreis 5 und beschwören selbstironisch die eigene Zukunft. „Wir haben keine Angst, schnell reich zu werden. Es besteht auch keine Gefahr, am Erfolg zu zerbrechen wie bei Justin Bieber oder Britney Spears. Schließlich kommen wir aus Zürich, da ist amerikanische Hysterie um junge Popstars verpönt.“Ihr Publikum besteht aus vielen jungen Mädchen, aber auch Studenten mit Textsicherheit und bewunderndem Blick. Die Mittzwanzigerinnen stehen auf dem Cover des Debutalbums „Cheers“vor einem weißen Vw-golf-cabrio. Eine Streetgirlpose, die wie ein Schnappschuss wirkt. Lana Del Ray lässt grüßen. Junge Frauen, die einen eigenen Stil zwischen Sportswear, Sexyness und Normcore gefunden haben, eher resilient als zerbrechlich, unaufgeregt selbstbewusst. An Texten und Musik sitzen sie mit ihrer Band in langen Sessions. Ob das unbedingt modern ist, kümmert sie nicht.
Bereits der Treffpunkt ist ein Statement. Ein Trink-ort, der zu den Bruchlinien im sonst so aufgeräumten
Steiner & Madlaina faszinieren durch ein Gespür für Stimmungen und eine Musik fern von Hiphop und Techno.
Zürich führt. Eine rustikale Weinbar an der Ecke zur Langstraße, einige hundert Meter zwischen Rotlicht und Zocker-buden. Dieses Milieu wird angefressen von einer großflächigen Umwandlung. Statt Lagerhallen stehen hier nun Hochhäuser für Banken und Google, eine Businessmeile entsteht. „Die neutrale Schweiz ist ein Paradies“, heißt es milde sarkastisch in „Heile Welt“. Damit haben sie eine treue Gefolgschaft zwischen 17 und 27 erobert. Vom Club-level geht es demnächst in größere Venues – wenn es denn wieder richtige Konzerte gibt
Sie schätzen durchaus Cloudrap oder Berghaintechno, doch die eigene Musik mit treibenden Rockabilly-rhythmen bleibt fern von digitalen Formaten. Ihr schwyzerdütsches Idiom ist fast verschwunden. Deutschland ist der größere Markt. So haben sie bei der weserländischen Indie-plattenfirma Glitterhouse unterschrieben, die traditionell vom Psychedelic Rock kommt und inzwischen als Talentdrehscheibe für alle Genres gilt. Eine Wertschätzung für Steiner & Madlaina, die auch mit ihrer Bühnenpräsenz zu tun hat.
Wenn Steiner & Madlaina live das Elend der eigenen Generation besingen – „Komm wir trinken auf das schöne Leben, was wir niemals haben werden“–, kreist heftig die Akustikgitarre. Im aktuellen Song „Wenn ich eine Junge wäre“poltern sie mit Tote-hosenchören und New-wave-orgel gegen eine mackerhafte Musiker-welt: „Wir sind wütend, wir sind mo-ti-viert!“Sie verlangen Respekt. Steckverbindungen und Verstärker muss man ihnen natürlich nicht erklären. Doch Dutzende Male mussten sie sich beim Soundcheck gegen onkelhafte Bühnentechniker behaupten. Der breitbeinige Auftritt ist ihnen eigentlich fremd, sie sind viel eher feine Chronistinnen des Heute und groß in Abrechnungen nach grandios gescheiterten Affären und Beziehungen: „Wenn du mir glaubst, mach ich dich selig! Doch sie hat’s nicht interessiert! Und so ist es nie mehr passiert . . .“Im Kneipenfolk-song „Prost, mein Schatz“vom kommenden Album „Wünsch dir was!“heißt es: „Ich schenke ein, und Dir kein Lächeln mehr“. So boxen sie sich durch das instabile Leben ihrer Generation zwischen Tinder und Kinderwunsch. Ihr Song „Heile Welt“auf dem neuen Album ist ein zentraler Abgesang auf die Millennials und ihre Zukunft in Sicherheit und Familienglück. „Damit unsere heile Welt noch eine Weile hält, halten wir uns raus! Nur so fühlen wir uns zu Haus’…“
Mit diesem Gespür für Stimmungen und Stimmen im Jetzt verursachen Steiner & Madlaina bereits einen Wirbel, der sie noch weit treiben wird.