Frankfurter Allgemeine Quarterly
Q12—kann man mit Haut und Blättern Musik machen?
Bei der japanischen Band Lullatone macht das Publikum die Musik. Jedenfalls wenn der Sänger Shawn James Seymour von der Bühne steigt. Er drückt dann zwei Zuschauern in der ersten Reihe kleine Plättchen aus Metall in die Hand. Alle schauen erstaunt. Die Dazwischenstehenden müssen danach Händchen halten, loslassen, einander abklatschen, im Takt hüpfen. Die Plättchen messen aufs Mikrovolt genau den Hautwiderstand – über die ganze Menschenkette hinweg. Und wenn er sich ändert, ändert sich auch der Sound. Seymour steht nur noch dabei und grinst, dieser Song spielt sich praktisch von allein.
Möglich macht das alles ein Gerät, das in Moskau erfunden wurde, aber in Berlin jetzt produziert und vertrieben wird: das „Touch Me“der kleinen Firma Playtronica. Klein, aber in der Musikszene gerade das Gespräch der Stunde.
„Alles kann ein Instrument werden“, sagt Firmengründer und Erfinder Sasha Pas. „Das war meine Vision, und nun wird sie wahr.“Der Russe hat in Barcelona studiert, auf dem dortigen Sonar-festival alle Arten von experimenteller Musik gehört, aber er wollte noch mehr, noch weiter gehen. „Denken Sie an die Idee der Synästhesie, an Kandinskys Farb-klang-assoziationen – große Ideen, die kaum weitergedacht worden sind. Jetzt ist aber die Zeit dazu.“
Hinter ihm, in seinem Kreuzberger Loftbüro, baut gerade ein Mitarbeiter an ein paar Prototypen, die Plattenspielern ähneln. Auf den drehenden Scheiben bewegen sich bunte Punkte, die man hin und her bewegen kann. Ein optischer Sensor erfasst sie und schickt sie in das Musikprogramm. Ein C ist rot, ein G ist grün, ein Fis ist gelb und so weiter. Und daneben baut ein anderer Angestellter einen Kürbis für ein Fotoshooting auf. Auf dem großen Gewächs kann man trommeln – und aus den angeschlossenen Lautsprechern ertönt dann ein elektronischer Beat.
Musikmachen mit Dingen, die nicht dafür vorgesehen sind – diese Idee gibt es natürlich schon lange. Der Komponist La Monte Young ließ seine Musiker 1960 Tische knarzend über das Parkett schieben, das war Dada-kunst, ein Antikonzert. Matthew Herbert veröffentlichte 2011 sein Album „One Pig“, es bestand ausschließlich aus den Klängen, die der Körper ein und desselben Schweins von sich gab, erst lebendig, dann tot – das waren allerdings Samples. Also computerisierte, mit dem Mikrofon eingefangene Aufnahmen. Zwei Beispiele unter vielen. Aber: Dass man mit Gurken, Kürbissen oder Zimmerpflanzen Musik macht, indem man sie drückt, streichelt oder pikt – das ist neu. Möglich macht es eine empfindliche Sensortechnik, die auch das „Touch Me“verwendet, das im Prinzip nichts weiter ist als eine kleine Platte, die via USB mit dem Computer verbunden wird. Zwei Menschen können diese Platte an je einer Seite anfassen und danach einander berühren – immer wo Haut auf Haut trifft, erklingt Musik. Entweder man betreibt das Gerät über die Website des Herstellers, dann ist es ein Spaß für Laien. Oder man verbindet es mit einem professionellen Musikprogramm wie Logic oder Ableton Live, dann ist es ein neues Gerät für Profimusiker. Eines, das es so noch nicht gab.
Einer, der solche Geräte schon für sein professionelles Musikprogramm nutzt, ist der Hamburger Sven Meyer alias Kymat (www. kymat.de). Er veröffentlichte im Sommer sein Album „Sonic Bloom“– es entstand nicht in einem Studio, sondern in einem Labor. Meyer
will vor allem Pflanzen hörbar machen. Wenn er auftritt, legt er auf der Bühne Elektroden an Ficus-blätter an, bringt Wasser in Schüsseln und Vasen zum Vibrieren oder lässt auch mal seine Katze ins Mikro schnurren.
Das Album klingt höchst angenehm – über dem rätselhaft vibrierenden Klangteppich, den er aus seinen Pflanzen holt, klingt ein scharfes Fender-rhodes-piano, das eine Erinnerung an die Welten von Funk und Jazz hervorruft. Meyer arbeitet mit Hamburger Lokalgrößen wie Das Bo, Fünf Sterne Deluxe oder Erobique zusammen, offenbar teilen sie alle seinen Hang zum Spirituellen. Denn der Grundton dieser Musik ist meditativ – das ist wohl das, was wir mit Pflanzen verbinden.
Letztlich erinnert das alles an das Großprojekt „Nada Brahma – Die Welt ist Klang“, eine vierstündige Radiosendung des Musikjournalisten Joachim Ernst Berendt. Der fuhr in den Achtzigern um die ganze Welt, sammelte Klänge des Gesangs von buddhistischen Mönchen, der Buckelwale im Pazifik, ließ sich von Physikern die Töne errechnen, die unsere Nachbarplaneten theoretisch erzeugen, wenn sie um die Sonne kreisen. Das Radioprojekt (das zweimal verlängert und durch einen Buch-bestseller ergänzt wurde) war ein Schlüsselwerk des New Age, der neuen Esoterik der Jahre kurz vor der Wende. Aber: Peter Sloterdijk attestierte ihm damals „philosophischen Tiefgang“.
Heute erleben wir eine neue spirituelle Welle, und die Welt wird wieder Klang – aber diesmal funktioniert alles andersherum. Damals wurde mit Supermikrofonen in den bereits vorhandenen Klängen der Welt ein tieferer Sinn gesucht. Heute schnappen sich die Bastler der Doit-yourself-szene die Dinge und lassen mit beliebigen Gegenständen ihre Computer klingen.
Dabei hat Sasha Pas, der mit seinen Playtronicainstrumenten für diese Szene nun so wichtig geworden ist, sich alles ganz anders vorgestellt: „Ich wollte ein neuartiges Instrument für das Erziehungswesen erfinden. Kinder sollten damit an das Arbeiten mit Klang herangeführt werden, bevor sie ein schweres Instrument jahrelang erlernen.“Es gab nur ein Problem: Die Schulen wollten nicht. Wo auch immer Pas es anbot, alle winkten ab. Also sprach er DJS an. Und die wollten alle mitmachen.
Tatsächlich ist Berlin derzeit auch die Welthauptstadt der Musik-tech-community. Dort sitzen die weltweit bedeutenden Hersteller Native Instruments und Ableton, die unter anderem Software-instrumente programmieren. Dort baut „Schneiders Laden“große Synthesizer nach Maß, unter anderem für Stars wie Jean-michel Jarre. Wer etwas Verrücktes mit Sound gebastelt hat, kann es dort auf der Messe Superbooth der Welt vorstellen.
Und wenn es kein großer Hersteller kauft, funktioniert es eben als Graswurzelbewegung. Genauso ging es auch Playtronica. Was sie bauen, wird zuerst über Crowdfunding finanziert. Und: „Wir haben keinen ganz großen Musiker, der mit unseren Geräten arbeitet, sondern ganz viele kleine“, erklärt Pas. In der Facebook-gruppe seines Unternehmens machen die Nutzer Hunderte Vorschläge, was man mit dem kleinen Gerät so anstellen kann. Musik mit Füßen, die einander berühren, passend zur Angst vor Krankheiten. Songs mit Wassergläsern, in die jemand rhythmisch den Finger steckt, oder mit verkabelten Skulpturen, an die eine Person sich schmiegt. Oder mit Geleeklumpen. Sie haben den Vorteil, dass man sie leicht streifen oder tief eindrücken kann, ganz wie ein sensitives Instrument eben.
Wer das alles für einen großen Jux hält, hat ja sogar auch ein wenig recht. Der Franzose Marc Mezergue alias Mezerg, der gerade mit einer Kreuzung aus Klaviermusik und Dancefloor-beats bekannt wird, hatte im Sommer erst ein Video, das man mit seinen mehreren hunderttausend Views als viralen Erfolg bezeichnen kann: Er sitzt an einem Pool und spielt einen Funk-bass auf einer in 18 Scheiben zerschnittenen Melone. Die Nutzer begeistern sich in Hunderten von Kommentaren. Etwa: „Das ist aber eine schöne Melon-die“oder „Zum Glück hat seine Mutter nie gesagt, man spielt doch nicht mit Essen“.
Dass man aus Gurken, Kürbissen und Topfblumen einen neuen Sound kreiert, indem man sie drückt oder streichelt, das ist neu.