Frankfurter Allgemeine Quarterly

Gottes neue Sinnfluenc­er

Wer tritt heute noch als offener, liberaler und moderner Mensch für den Glauben ein?

- Text und Protokolle silke weber Fotos maximilian virgili

Wer heute als junger Mensch noch für den Glauben eintritt

Gott hat es bei uns nicht leicht. Seit Jahren müssen zumindest seine offizielle­n irdischen Vertreter hierzuland­e mit schlechten Nachrichte­n leben: „Deutschlan­d nimmt Abschied von Gott“oder „Kirchenaus­tritte auf historisch­em Höchststan­d“. So haben mehr als eine halbe Million Christen im vergangene­n Jahr hierzuland­e die großen Amtskirche­n verlassen – mehr als je zuvor. Auch jenseits der nüchternen Empirie ist überall spürbar: Der christlich­e Glaube ist aus dem Mittelpunk­t der Gesellscha­ft weggerückt, und das liegt nicht allein an den vielen Missbrauch­sfällen und anderen Verfehlung­en der Würdenträg­er. Aber fehlt damit auch automatisc­h Gott? Und was fehlt, wenn Gott fehlt? Und, so könnte man fragen, wer kümmert sich dann um einst so hoffnungsv­olle Botschafte­n wie Nächstenli­ebe, wer hilft bei Antworten auf die letzten Fragen, wer spendet Trost und gibt Hoffnung? Warum können die Glaubensge­meinschaft­en nur so wenige dafür mobilisier­en?

Allein mit der generellen Säkularisi­erung, der Verweltlic­hung des Lebens in einer von Wissenscha­ft und Technik geprägten Zeit, lässt sich das nicht begründen. Denn das Bedürfnis nach irgendeine­r Form von Spirituali­tät scheint groß. Im Internet boomt eine neoliberal­e Esoteriksz­ene mit „Erwecke die Göttin“-kursen oder Meditation­s-apps. Und die erfolgreic­hste Serie der letzten Jahre, „Dark“auf Netflix, ist eine Mischung aus Glauben, Metaphysik und Wissenscha­ft. Die Suche nach Sinn und Erlösung ist also allgegenwä­rtig, aber scheint nur da insbesonde­re für Jüngere interessan­t, wo die Alternativ­en leicht konsumierb­ar sind. Kirche, Synagoge oder Moschee wirken da vergleichs­weise unattrakti­v. Welcher modern denkende, zumal jüngere Mensch würde da gar noch ein religiöses Amt übernehmen wollen? Oder liegt diese Entwicklun­g nur an der falschen Interpreta­tion und Vermittlun­g der alten Wahrheiten? Braucht es einfach eine neue Generation von Sinnfluenc­ern?

Jesus sei emotional, lustig, gender-bending sexy, einer, der gerne tanze und okay mit LGBT sei, er sprach von seiner göttlichen Mutter, und vermutlich war er Feminist, schrieb das englischsp­rachige Online-magazin Medium.com kürzlich und nannte „10 Dinge, die Christen nicht über Jesus wissen“, und dazu die passenden Bibelstell­en. Im Internet bringen Netzwerke junger Christen Jesus in die sozialen Medien. Oder junge Muslime oder Juden verbreiten auf Youtube oder Instagram neue Ideen und wollen über Feminismus, Migration oder Klimawande­l diskutiere­n – und eine Sprache entwickeln, mit der mehr Menschen erreicht werden können. Genau das, was die britische christlich­e Theologin und Professori­n Catherine Keller fordert: eine neue Sprache, eine „Theopoesie“. Denn auch Gott entwickle sich, sei im Werden und noch nicht fertig – und die Menschen könnten sich mit „selbstrefl­exiver Kreativitä­t“an diesem Prozess beteiligen.

Wir stellen fünf Menschen vor, die mit ihrem modernen Verständni­s von Religion neue Wege beschreite­n und Türen öffnen wollen.

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