Frankfurter Allgemeine Quarterly

Jasmin Andriani

„Der Planet gehört Gott, wir sollten weder einander ausbeuten noch das Land, auf dem wir leben. Klimawande­l und Migration sind Themen, die mich interessie­ren.“

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Auf die Ordination habe ich neun lange Jahre gewartet. Erst den Bachelor in Jüdischer Theologie gemacht, dann den Master, parallel die Rabbiner-ausbildung am Abraham Geiger Kolleg und ein Jahr lang Studium und Praktika in Jerusalem.

Mein Praktikum dort habe ich in der ältesten Reformgeme­inde Israels verbracht, wo ich von einer Rabbinerin betreut wurde. Sie war ein richtiges Vorbild für mich. Charakters­tark, besonnen, sie hat viele Gespräche hinter den Kulissen geführt, wofür man nicht so viel öffentlich­es Lob bekommt, hat den Leuten dort richtige Seelsorge geboten. Endlich hatte ich eine konkrete Idee für meinen berufliche­n Lebensweg.

Ich weiß noch, als ich zum ersten Mal vom Abraham Geiger Kolleg hörte und zu meinem heutigen Ehemann sagte, willst du das nicht machen? Und er sagte zu mir: Mach du das doch! Bis dahin hatte ich noch Jura in Berlin studiert, wo ich auch aufgewachs­en bin. Einmal stand ich vor meinem Spiegel im Badezimmer, habe mir in die Augen geschaut und mich gefragt, ob ich das wirklich kann, einen Beruf ergreifen, in dem man sich sonst eher ältere Männer mit Bart und Hut vorstellt. Ich bin nicht die allererste Frau. Aber ich gehöre noch zur ersten Welle. In Deutschlan­d bin ich die siebte, die jemals zur Rabbinerin ordiniert wurde. 1935 gab es Regina Jonas, eine Berlinerin wie ich und die erste Frau weltweit. Dann gab es 2010 die zweite, dann vier weitere und jetzt mich.

Es gibt nur eine Handvoll Gemeinden in Deutschlan­d, die mich überhaupt nehmen würden. Sowohl in Göttingen als auch in Hannover, das sind die beiden Gemeinden, die ich heute betreue, bin ich die erste Frau in dem Amt. Meine Vorgänger waren immer Männer.

Aber gut, ich habe mich schon als Kind nicht auf eine Rolle beschränke­n lassen. Beim Fußball war ich das einzige Mädchen in der Schulmanns­chaft. Bei Wettkämpfe­n haben die anderen mich und mein Team dafür ausgelacht. Ich habe dann versucht, doppelt so gut wie die anderen zu spielen. Ansonsten bin ich ziemlich normal aufgewachs­en, nicht sehr konservati­v. Aber schon als Kind hatte ich so eine Gläubigkei­t in mir. Und natürlich haben wir in der Familie die jüdischen Feiertage zelebriert. Ich war mit meinen Eltern auch oft in Israel. Später habe ich im jüdischen Ferienlage­r und im Jugendzent­rum als Betreuerin gearbeitet. Und zehn Jahre lang habe ich neben dem Studium im Jüdischen Museum in Berlin gejobbt. Ich habe eine Führung angeboten, die hieß „Ist das im Islam auch so?“. Manche muslimisch­en Eltern haben ihre Kinder bei den Schulwande­rtagen davon ausgeschlo­ssen. Aber die meisten fanden es spannend. Es gibt viele Gemeinsamk­eiten zwischen den Religionen, kein Schweinefl­eisch essen, der Abraham ist im Koran der Ibrahim. Ich habe muslimisch­e Freunde oder auch Freunde, die Pfarrer und Pfarrerinn­en sind. Ab und an habe ich auch schon in einer Kirche gepredigt, zum Beispiel im Berliner Dom. Aber das ist ein sehr modernes Konzept unseres Berufs, das sich noch entwickelt. Letztlich sind wir hier doch alle Gäste. Aus biblischer Perspektiv­e gehört dieser Planet sowieso Gott, wir sollten weder einander ausbeuten noch das Land, auf dem wir leben. Das beschäftig­t mich sehr. Klimawande­l oder Migration, das sind so gegenwärti­ge Themen. Und die Tora ist für mich ein interessan­tes Spiegelobj­ekt, um sich der eigenen Perspektiv­en klarzuwerd­en. Natürlich muss ich das mit dem Leben heute füllen, auch in meinen Predigten. Nächstenli­ebe hört sich erst mal so verklärt an, so nach romantisch­er Spinnerei, aber sie ist doch so grundlegen­d für unsere Spezies.

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