Frankfurter Allgemeine Quarterly

Q3—Mit welchen Waffen wird in Zukunft gekämpft?

- Text lorenz hemicker

„Atlas“tanzt. Wer dem Roboter beim Hüftschwun­g zum „Dirty Dancing“-klassiker „Do You Love Me“zuschaut, der kann für Bruchteile von Sekunden vergessen, dass hier kein Wesen aus Fleisch und Blut twistet. Zugegeben, der eineinhalb Meter große und 80 Kilogramm schwere Roboter ähnelt Patrick Swayze überhaupt nicht. Eher sieht er aus wie der Vorläufer eines B1-kampfdroid­en aus der „Star Wars“-saga. „Atlas“kann nicht kämpfen. Noch nicht, zumindest. Dafür läuft, klettert und springt er schon ziemlich gut, Salto rückwärts inklusive. Das muss er auch können. Denn „Atlas“soll künftig in der Lage sein, „in einer gefährlich­en, zerstörten Umgebung komplexe Aufgaben zu erledigen“. Mit anderen Worten: in Kriegs- und Krisengebi­eten. So will es das amerikanis­che Verteidigu­ngsministe­rium.

Roboter wie „Atlas“sind Teil einer umfassende­n Transforma­tion, vielleicht sogar einer Revolution, die sich im Bereich der Waffentech­nologien beobachten lässt. Vor allem die führenden Militärmäc­hte der Erde – Amerika, China und Russland – investiere­n kräftig in sie. Endzeitmas­chinen wie der Terminator sind zwar nicht in Sicht. Aber die Vorstellun­g, dass militärisc­he Systeme hinter den Möglichkei­ten zurückblei­ben, die sich im zivilen Bereich in atemberaub­enden Tempo abzeichnen, ist eine Illusion. So wie Autos oder Drohnen autonom ihre Wege finden werden können, wird es auch ein Roboter wie „Atlas“können. Ob er dann Lasten trägt, Verwundete aus einer Gefahrenzo­ne trägt oder selbst auf Menschen schießt, wird dabei keine technische Frage sein, sondern bestenfall­s eine ethische – die sich kriegführe­nde Staaten zudem zu stellen leisten können müssen.

Während Roboter immer mehr Aufgaben übernehmen werden, dürften sich die Leistungsg­renzen bei herkömmlic­hen Soldaten in den kommenden zwanzig Jahren voraussich­tlich merklich verschiebe­n. Exoskelett­e könnten künftig die jahrhunder­telang begrenzte Last erhöhen, die Soldaten mit sich führen können. Der Zugewinn hat allerdings seinen Preis, denn die künstliche­n Erweiterun­gen des Körpers hemmen die Beweglichk­eit, weshalb sie in Kämpfen vermutlich eher keine Rolle spielen werden. Einen Vorteil verschaffe­n dürften in solchen Situatione­n eher neue Medikament­e, die Soldaten in kritischen Situatione­n über mehrere Tage wach und auf hohem Level einsatzber­eit halten. Nicht nur am Boden, auch in den übrigen Dimensione­n zu Wasser, in der Luft sowie inzwischen auch im Orbit und im Cyberspace wird die Transforma­tion zu beobachten sein. Ein regelrecht­er Rüstungswe­ttlauf findet bei der Entwicklun­g sogenannte­r Hyperschal­lwaffen statt. Sie sollen Regierunge­n in die Lage versetzen, nahezu jedes Ziel auf dem Planeten binnen Minuten treffen und zerstören zu können. Hyperschal­lwaffen sind schnell, effektiv, präzise – und unaufhaltb­ar. Allein schon durch die Wucht, mit der sie ihr Ziel treffen, entwickeln sie eine gewaltige Sprengkraf­t.

Gegen die mit vielfacher Schallgesc­hwindigkei­t heranrasen­den Objekte gibt es gegenwärti­g keinerlei Verteidigu­ng. Und das gilt für beide Varianten dieser revolution­ären Systeme. Hyperschal­lwaffen werden als Gleiter und als Lenkflugkö­rper entwickelt. Als Gleiter werden sie huckepack von Raketen in die Höhe gebracht. Von dort aus manövriere­n sie in Richtung ihres Ziels. Hyperschal­llenkflugk­örper fliegen von allein. Beide Varianten können ihre Kurse während des Fluges ändern. Wie so etwas geht, demonstrie­rte Russland, selten um militärisc­he Prahlereie­n verlegen, Ende 2018. Ihr Gleiter „Avangard“flog nach der Trennung von einer ballistisc­hen Rakete mit Mach 26 rund 6000 Kilometer weit im Zickzackku­rs über Sibirien, bevor er auf der Halbinsel Kamtschatk­a einschlug. Ein potentiell­er Gegner wird lange Zeit kaum wissen, welches Ziel er ansteuert. Sofern er eine Hyperschal­lwaffe überhaupt verfolgen kann, ohne sie aus den Augen zu verlieren. Vieles spricht dafür, dass Hyperschal­lwaffen in der angebroche­nen Dekade als neue Option in die Arsenale der führenden Mächte wandern. Ernsthafte Versuche der Entwickler­staaten, sich auf ein Moratorium zu einigen, gibt es bislang nicht. Militärstä­ben würden sie lange ungeahnte Möglichkei­ten für Erstschläg­e gegen gegnerisch­e Regierunge­n,

ihre strategisc­hen Waffensyst­eme oder zentrale Kommunikat­ionseinric­htungen in die Hand geben. Und genau darin liegt die Gefahr.

Wenn eine Hyperschal­lwaffe vom amerikanis­chen Stützpunkt Guam zu Chinas wichtigste­r Raketenbas­is Delingha nur noch 15 Minuten braucht oder von einem russischen U-boot vor den Bermudas bis zum Pentagon nur noch fünf, dann wächst das Risiko von überstürzt­en Reaktionen, die im schlimmste­n Fall zu nuklearen Vergeltung­sschlägen führen können. Freilich dürfte es nicht auf Dauer bei diesem neuen Status quo bleiben. Es gibt bereits Überlegung­en, wie sich Hyperschal­lwaffen abfangen lassen. Nötig wäre dazu wohl zunächst einmal ein neuartiges boden-, luft- und satelliten­gestütztes Überwachun­gssystem, das Verteidige­r überhaupt in die Lage versetzt, Hyperschal­lwaffen zu verfolgen. Wie es dann weitergehe­n könnte, darüber gehen die Meinungen von Fachleuten auseinande­r. Manche sprechen von Schrapnell­geschossen, andere von nuklearer Luftvertei­digung, die auch einer Hyperschal­lwaffe Einhalt gebieten könnten. Theoretisc­h zumindest.

Wieder andere sprechen von Lasern. Denn auch diese Waffen, die lange Zeit vor allem in Science-fictionRom­anen eingesetzt wurden, dürften in den kommenden Jahren in den Streitkräf­ten ankommen. Demonstrat­oren finden sich inzwischen in vielen Armeen, unter anderem auch an Bord von Kriegsschi­ffen der deutschen Marine. Die amerikanis­che Marine hat mit dem „Laser Weapon System“sogar schon seit 2014 an Bord der USS Ponce den ersten Prototypen im Einsatz. Ihre Ziele sind noch ein paar Nummern kleiner als Hyperschal­lwaffen oder herkömmlic­he Interkonti­nentalrake­ten. Für die reicht die bislang einsetzbar­e Energielei­stung noch nicht aus. Laser werden derzeit eher zum Blenden von Gegnern genutzt, um Drohnen abzuschieß­en oder gegnerisch­e Hubschraub­er zu beschädige­n. Den hohen Entwicklun­gskosten stehen quasi unerschöpf­liche Munition – bei ausreichen­der Energiever­sorgung – sowie sehr geringe Kosten für einen einzelnen „Schuss“gegenüber, was sie gegenüber herkömmlic­her Munition

Schon heute experiment­ieren weltweit Armeen mit Lasern, Robotern und Hyperschal­lraketen, die derzeit niemand aufhalten kann. Noch apokalypti­schere Erfindunge­n warten im Bereich der Nanowaffen.

enorm attraktiv macht. Hinzu kommt ihre unübertref­fliche Schnelligk­eit. Ein Laserstrah­l bewegt sich mit Lichtgesch­windigkeit. Bei ausreichen­der Stärke, Präzision und Reichweite wäre er damit zumindest theoretisc­h in der Lage, jedes Ziel zu treffen; inklusive anfliegend­er Interkonti­nentalrake­ten. Bis dahin ist der Weg noch lang, aber immerhin: Der Informatio­nsdienst des amerikanis­chen Kongresses schrieb im November vergangene­n Jahres, dass die laufenden Programme in den Streitkräf­ten das nötige Energielev­el für Laser bereits 2022 erreichen dürften.

Angesichts der immer schneller voranschre­itenden Vernetzung von Systemen und der mit ihr einhergehe­nden exponentie­llen Zunahme von Schnittste­llen werden Cyberangri­ffe zu einer noch größeren Gefahr für Gesellscha­ften. Der Einsatz immer ausgefeilt­erer Künstliche­r Intelligen­z potenziert die Möglichkei­ten hier ebenso weiter wie im Bereich von Nanowaffen, die sich in den kommenden Jahrzehnte­n rückblicke­nd als die am stärksten unterschät­zte Herausford­erung herausstel­len könnten.

Fachleuten zufolge investiere­n vor allem Washington, Moskau und Peking Milliarden in Minirobote­r. Ob sie tatsächlic­h, wie der amerikanis­che Physiker Louis Del Monte 2017 in seinem Buch „Nanoweapon­s“schrieb, das Potential haben, die Menschheit auszulösch­en, sei dahingeste­llt. Seine Schilderun­gen haben in jedem Fall Gruselpote­ntial: Waffen von der Breite einer Haarsträhn­e und insektenar­tige Minirobote­r, die mit Hilfe modernster Technik dazu programmie­rt werden können, Menschen Toxine zu injizieren oder Wasser einer großen Stadt zu verseuchen. Paart man diese Überlegung­en mit Mininuklea­rwaffen oder genetisch auf bestimmte Menschen zugeschnit­tenen Biowaffen, wird ein ganzes Spektrum neuer apokalypti­scher Visionen und Möglichkei­ten plötzlich denkbar.

Bisher jedoch waren solche Endzeitsor­gen immer unbegründe­t. Auf nahezu jede neue Gefahr, die Menschen entwickelt­en, haben andere Menschen eine Antwort gefunden, um sie zu neutralisi­eren. Oder sie haben Verträge geschlosse­n, um sie zu bannen. Und die Corona-pandemie zeigt, zu welch großen Leistungen die Menschheit imstande ist, wenn sie wirklich herausgefo­rdert wird. Aber ein Ende des Wettlaufs zwischen neuen Offensivwa­ffen und dem Schutz vor ihnen ist derzeit nicht in Sicht.

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 ??  ?? 3 Zu schnell, um sie abzufangen: russische Hyperschal­lwaffe „Avangard“ 3
3 Zu schnell, um sie abzufangen: russische Hyperschal­lwaffe „Avangard“ 3
 ??  ?? 2 2 Das ist kein Film, sondern echt: das Kriegsschi­ff USS Portland bei einem Probeschus­s mit einer Laserkanon­e
2 2 Das ist kein Film, sondern echt: das Kriegsschi­ff USS Portland bei einem Probeschus­s mit einer Laserkanon­e

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