Frankfurter Allgemeine Quarterly
Q5—Wie sicher ist im Sommer unsere Wasserversorgung?
Rissig wie der versteinerte Kadaver eines Sauriers liegt der Grund des ehemaligen „Ostsees“bei Cottbus in der Gluthitze. Seit Monaten hat es nicht geregnet. Hier sollten einmal Segelboote kreuzen, Kinder im gefluteten Krater des stillgelegten Braunkohletagebaus planschen. Dumpfe Schläge lassen die aufgeheizte Luft vibrieren – Jets des Umweltbundesamtes durchbrechen die Schallmauer und rasen in die Atmosphäre, um den Himmel mit Schwefeldioxid-aerosolen zu impfen, die sich wie Puderzucker verteilen und Sonnenstrahlen reflektieren – damit die Landschaft etwas abkühlt.
Noch klingen solche drastischen Maßnahmen wie eine Zukunftsdystopie – in Südafrika wären sie beinahe im vergangenen Jahr eingesetzt worden. Es hatte wenig geregnet, die Stauseen waren so gut wie leer. „Day Zero“stand bevor, das Ende der Versorgung Kapstadts mit Trinkwasser. Es wurde sogar darüber nachgedacht, mit Schiffen einen Eisberg aus der Antarktis heranzuschaffen. Dann entschärften starke Regenfälle die Situation.
Die Wasserprobleme kommen näher – auch die Türkei fürchtet einen Day Zero –, den großen Städten droht das Trinkwasser auszugehen. Durch Wasserknappheit können weltweit Konflikte entstehen. Der Weltwasserbericht der Vereinten Nationen (UN) von 2018 sagt voraus, dass 2050 voraussichtlich 3,6 Milliarden Menschen von Wassermangel betroffen sein werden. Müssen auch wir uns in Deutschland vor Trockenheit, ausbleibenden Regenfällen, Dürrestress und Wasserknappheit fürchten?
Die Jahre 2018 und 2019 waren extrem heiß und trocken, 2020 wurde es noch schlimmer – es war nach 2016 das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Eine derartige Dürreperiode gab es seit 250 Jahren nicht mehr. Vor allem die tieferen Bodenschichten Nordund Mitteldeutschlands sind kaum durchfeuchtet. Die Regenmengen in den vergangenen zehn Jahren gingen zurück, stiegen aber andererseits durchschnittlich seit 140 Jahren leicht an. Die Niederschläge fallen aber nicht mehr gleichmäßig über das Jahr verteilt, sie verschieben sich in den Herbst und Winter, Frühling und Sommer sind zu trocken. Im Frühjahr 2020 fielen nur zwanzig Prozent der üblichen Niederschlagsmenge. Ausgetrocknete Böden können Wasser nicht gut aufnehmen, es fließt oberflächlich ab. Tiefere Grundwasservorkommen werden nicht wieder aufgefüllt und sind langfristig in Gefahr. Satellitendaten belegen den Rückgang der Wasserspeicher in Mitteleuropa 2019 um 94 Prozent im Vergleich zu den normalen Schwankungen – die Niederschläge müssten mehr als doppelt so hoch ausfallen, um die Defizite auszugleichen.
Im Süden Spaniens etwa sieht man die Folgen. Exzessive Brunnenbohrungen zur Bewässerung der Obstund Gemüseplantagen ließen die Grundwasserpegel weiter sinken – Landschaften werden zu öden Wüsten. Auch bei uns sind die Folgen der Dürrezeiten sichtbar: Der deutsche Wald ist in einem erbärmlichen Zustand. 50 Prozent der Waldflächen in Baden-württemberg sind geschädigt. In den Berliner Wäldern sollen sich nur noch sieben, im Frankfurter Stadtwald allenfalls ein Prozent der Bäume in akzeptablem Zustand befinden.
Ob weitere Dürrejahre folgen, ist nicht vorhersehbar – etwas Entspannung durch leicht sinkende Durchschnittstemperaturen könnte vorerst das Klimaphänomen La Niña bringen, das durch kaltes Tiefenwasser des Pazifischen Ozeans vor der Küste Südamerikas angetrieben wird. Sicher ist: Der Wasserverbrauch wird steigen, wenn es wärmer wird. In Deutschland stammt das Trinkwasser zu 70 Prozent aus Grund- und Quellwasser, 13 Prozent aus Stauseen und Flüssen, 17 Prozent werden aus versickertem Oberflächenwasser oder Uferfiltrat aus dem Boden gepumpt. Mehr als die Hälfte des Wassers verbrauchen die Energieversorger, etwa zur Kühlung von Kraftwerken, etwa ein Viertel fließen in Bergbau und Industrie, 22 Prozent in die Trinkwasserversorgung, nur ein Prozent verbraucht die Landwirtschaft – in Spanien sind es 20 Prozent.
Experten beklagen hierzulande noch keinen generellen Wasserstress – regionale Wasserknappheit gab es aber bereits: Im niedersächsischen Lauenau etwa musste im vergangenen Sommer die Feuerwehr bei der Trinkwasserversorgung aushelfen; im August 2018 wurde die Binnenschifffahrt auf der Elbe bei Dresden eingestellt – knapp 50 Zentimeter tief war der Fluss noch; auf dem Rhein konnten Frachtschiffe wegen Niedrigwasser nicht mehr schwer beladen fahren.
Ostdeutschland ist besonders stark von Trockenheit betroffen. Die Spree, die Berlins Grundwasserreserven versorgt, schwappte im August mit niedrigem Wasserpegel durch die Stadt. Aus dem Süden kam kaum noch etwas an, das Speicherbecken vor der Talsperre Spremberg, südlich von Cottbus, war im Dezember noch immer halb leer. Auch im Seddiner See bei Potsdam sinkt der Wasserstand seit Jahren, die Reusen der Fischer baumeln oft in der Luft. Dass Berlin aufgrund stockender Zuflüsse in heißen Jahren noch nicht wie ein stinkender Stockfisch im Urstromland ausdörrte, liegt an den noch gut gefüllten Grundwasserspeichern unter der Stadt – und am Berliner Wasserversorgungssystem. In einer Art geschlossenem Kreislauf werden die Wasserentnahmen durch das Zurückführen von gereinigten Abwässern in die Gewässer ausgeglichen. Das System hat seine Grenzen; fehlen Niederschläge, steigt der Anteil Abwassers. Grenzwerte für Arzneimittelrückstände und Chemikalien könnten dann überschritten werden. Wie in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft und Viehzucht: Fällt dort weniger Regen, steigt die Konzentration der Nitrate und Pestizidrückstände.
Wie also könnten Strategien und Technologien aussehen, um die Wasserversorgung in der Zukunft zu sichern? Das Land Berlin und die Wasserwerke etwa gründeten 2018 die Berliner Regenwasseragentur – ihr Ziel: die sogenannte „Schwammstadt“, die möglichst viel Wasser aufsaugt. Grünflächen, Hausdächer und Straßen sollen nicht mehr über die Kanalisation entwässert werden, sondern Regenwasser durch Versickerung in unterirdische Auffangbecken und zurück in das Grundwasser leiten. Freie Flächen in der Stadt, so die Agentur, dürfen nicht weiter überbaut und versiegelt werden. Eine nationale Wasserstrategie will Bundesumweltministerin Svenja Schulze noch im Frühjahr vorstellen. Auch um den steigenden Wasserbedarf in der Landwirtschaft wird es gehen. Denn auf unseren Äckern wird der Wasserverbrauch bei steigenden Temperaturen zunehmen. Eine großflächige Bewässerung mit Sprengern sollte reduziert werden – einige Landwirte testen bereits andere Methoden und vergraben Bewässerungsrohre in Wurzeltiefe; durch gezielte Tröpfchenbewässerung können große Mengen Wasser eingespart werden.
In Entwicklungsländern haben Menschen oft überhaupt kein Wasser in der Nähe. Hier können intelligente Technologien helfen, wie etwa der Phantor der beiden Österreicher Walter Kreisel und Manfred Ledermüller. Im schiffscontainergroßen Phantor steckt ein atmosphärischer Wassergenerator, der feuchter Umgebungsluft Wasser entzieht – bis zu 10 000 Liter am Tag sollen möglich sein. Kommt der Strom für das Wasserwerk aus einer mobilen Photovoltaikanlage, könnte es sogar abgelegene Dörfer versorgen. Ebenfalls solarbetrieben ist die Erfindung des Berliner Start-ups Boreal Light. Der Winture Planet-cube oder Wasserkiosk ist eine Art robustes Mini-wasserwerk – es kann Meerwasser entsalzen und Schmutzwasser reinigen, desinfizieren und daraus hygienisch sauberes Trinkwasser erzeugen. Und auf der Suche nach Wasservorkommen hat ein internationales Team in Zusammenarbeit mit Geomar, dem Helmholtz-zentrum für Ozeanforschung Kiel, gerade weltweit riesige Frischwasservorkommen in Küstennähe unter dem Meeresboden entdeckt. Ob es wirtschaftlich sein wird, diese anzuzapfen, und welche Folgen das für die Umwelt haben könnte, ist bisher nicht untersucht.
Wenn alle Mittel zur Wasserversorgung auf der Erde versagen, bleiben den Wissenschaftlern immerhin noch die skurrilen und visionären Werkzeuge des Geoengineerings – die legen dann eine kosmische Wasserleitung vom Mars bis auf die Erde.
Ein Dürrejahr folgt dem nächsten, Felder und Wälder leiden unter Regenmangel und Heißsommern. Weltweit wird Wasserknappheit zu einem großen Problem. Hierzulande sind einige Regionen besonders von der Trockenheit betroffen.