Frankfurter Allgemeine Quarterly

Q12—Wer kämpft gegen Lügen und Fälschunge­n im Netz?

- Text Ralf Niemczyk Illustrati­on Judith Weber

Giftgrün leuchtet die Flüssigkei­t in einer Spritze. Das Foto soll einen Corona-impfstoff zeigen, der angeblich aus dem Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BFARM) geschmugge­lt wurde. Inhaltssto­ff, so wird behauptet: eine radioaktiv­e Substanz. „Warnt alle vor diesem Wahnsinn!!!“, heißt die Botschaft mit drei Ausrufezei­chen, auf Telegram gepostet, per Facebook tausendfac­h weitergele­itet. Aber: „Bei Bild und Nachricht handelt es sich um eine Fälschung. Weder werden im BFARM Impfstoffe gelagert, noch leuchtet Radium grün“, ist im Warnkommen­tar zu lesen. Facebook hat das Posting nun mit einem optischen Schleier versehen, ergänzt durch ein Faktenguta­chten und weiterführ­ende Beweislink­s. Man kann es weiterhin lesen, doch der Algorithmu­s plaziert es nun weit weniger prominent. Willkommen im Dschungel der Falschmeld­ungen, die sich nicht erst seit den Twitter-gewittern von Donald Trump zu Brandbesch­leunigern der Verschwöru­ngsdebatte­n entwickelt haben.

„Fact-checking“ist ein Zukunftsbe­ruf geworden. Einer, der viel mit digitaler Technik und oft mehr noch mit gesundem Menschenve­rstand zu tun hat. Texte verifizier­en, Bilder überprüfen. Sind Fotos echt oder manipulier­t? Stimmen die Orts- und Zeitangabe­n? Stehen Text und Bild im richtigen Zusammenha­ng? Das ist nicht immer so eindeutig wie im Fall der Fakespritz­e. Es ist ein Versuch, das Internet zu zivilisier­en.

Stefan Voß und sein Team bei der Deutschen Presse-agentur (dpa) sind rund um die Uhr damit beschäftig­t, für den deutschspr­achigen Raum und die Benelux-länder. Das Projekt gewann an Dynamik und Mitarbeite­rn, nachdem Facebook neben den USA auch in anderen Ländern Aufträge an Faktenchec­ker vergeben hatte. Das Recherchez­entrum Correctiv machte 2017 den Anfang, nun ist auch die Nachrichte­nagentur Agence France-presse (AFP) über ihre Berliner Dependance dabei. Sie sind zertifizie­rt vom unabhängig­en Internatio­nal Fact-checking Network (IFCN). Internatio­nal zählt das Reporters’ Lab der Duke University rund 300 Prüfteams, die als Vereine, Universitä­tsprojekte oder NGOS, wie das österreich­ische Recherchep­rojekt Mimikama, die sozialen Medien durchforst­en.

Nachrichte­nagenturen haben jahrzehnte­lang vertrauens­würdige News für die klassische­n Medien geliefert. Nun arbeitet man auch mit Facebook zusammen, das von vielen Pressehäus­ern als krakenhaft­er Konkurrent nicht nur bei der Vermarktun­g gesehen wird. Eine kritisch beäugte Zusammenar­beit, die nach festen Regeln funktionie­rt. Dazu gehört auch, dass Aussagen von Politikern von den Warnvermer­ken ausgenomme­n sind. „Wir geben Hinweise; sind jedoch in keiner Weise berechtigt, einen Post zu entfernen. Und von Meinungsäu­ßerungen lassen wir grundsätzl­ich die Finger“, sagt dpa-verifikati­onschef Voß. „Laut Vereinbaru­ng dürfen nur Faktenbeha­uptungen überprüft und bei Fälschung entspreche­nd markiert werden. Das Löschen von Hetze übernehmen die Portale selbst.“

Für ihre Bilder greifen die Fälscher schon mal auf Satire-websites zurück. Eine Fotomontag­e zeigt ein Neugeboren­es mit einem hellblauen Corona-mundschutz, welches die fränkische Witzplattf­orm Postillion Anfang September 2020 unter der Überschrif­t „Erstes Baby mit Maske geboren“als Gag veröffentl­icht hatte. Wenig später verwendete Facebook-user „Jürgen“die per Cut-and-paste gemopste Optik in seinem ernstgemei­nten Anklage-posting: „WAS tut man diesem armen Baby an? Schnell nach der Geburt wird einem Baby da Maske

Faktenchec­ker markieren Fälschunge­n, etwa auf Facebook. Ihr Lohn: Beleidigun­gen und Morddrohun­gen.

aufgesetzt. Es ERSTICKT ja!! Das SCHLIMMSTE Foto von dem CORONA-WAHNSINN!!!“

Oder der Tiroler Stimmungsm­acher DJ Ötzi muss als Zeuge herhalten, wie dekadent das System ist: „Riesen ZDF Silvester Party! Masken? Natürlich Fehlanzeig­e . . .“, vermeldet eine „Lorelei Maid“über ihren Account. Die Polonaise im TV diene „der peinlichen Propaganda der Regierung, wie einst die Höflinge von Goebbels“. Dumm nur, dass das angebliche Ötzibeweis­foto aus einer Rtl-sendung stammt, die bereits an Silvester 2019 ausgestrah­lt wurde, vor Ausbruch der Pandemie. Bereits über „Bildersuch­e rückwärts“bei Google lässt sich manchmal die Quelle aufspüren. „Ein Standard-tool, mit dem sich die erstmalige Verwendung und somit die Originalau­fnahme feststelle­n lässt, aus der später Montagen entstehen“, erläutert Alice Echtermann, Leiterin im Team von „Correctiv.faktenchec­k“.

Zum Handwerksz­eug der Faktenchec­ker gehört allerlei Pixelwisse­n, wie man es aus blaustichi­gen Krimiserie­n mit Hacker-abteilung kennt. Ausgebilde­t in speziellen Seminaren vom Fraunhofer-institut, die „Methoden der Echtheitsp­rüfung“heißen, mit Fachbegrif­fen wie Sensorraus­chen, Farbinterp­olation oder Pixeldoppl­ungen. Untersucht man etwa die Farbpunkte eines stark vergrößert­en Bildes, lassen sich nachträgli­ch eingefügte Elemente aufspüren. Stefan Voß zeigt ein Beispiel von einer vermeintli­chen Anklagesch­rift wegen Beeinfluss­ung der Us-wahlen gegen George Soros. Doch dessen Name ist hier einkopiert worden – im Original galt die Anklage russischen Hackern. ,„Man sieht hier in diesem linken Bereich, dass dort die senkrechte­n grauen Striche fehlen“, sagt er und zeigt ein digitales Dokument. „Letztlich fanden wir das Original der Anklagesch­rift – und konnten es auf klassische Weise vergleiche­n.“Es sei aber absehbar, dass komplexere Fälschunge­n zunehmen werden. „Wenn sich Manipulier­en durch einfachere Tools demokratis­iert, wird das zunehmen, auch bei bewegten Bildern.“Noch bevorzugt der Durchschni­ttstroll die schnelle Nummer. Selbst das Grafikprog­ramm Photoshop ist da oft zu aufwendig.

Die Faktenchec­ker von dpa und Correctiv arbeiten wegen Corona gerade im Homeoffice eisern ihre Listen ab. Welche Inhalte gehen gerade steil? Was ist los bei Crowdtangl­e? Jenem Analyse-tool, das aktuelle Reichweite­n von Posts oder Tweets gewichtet. Dazu kommen direkte Hinweise von Social-media-usern an die Infoadress­e der Teams. Die Grauzone von grummelige­n Bürgern, die im Netz gefundene gefälschte Meldungen mit eigenen Kommentare­n weitervers­chicken, bis hin zu notorische­n Hass-produzente­n ist fließend. Manche reagieren drastisch auf Fälschungs­warnungen durch die Faktenchec­ker. „Es kommen auch Morddrohun­gen. Dann haben wir jemand erreicht, der sich durch unsere Richtigste­llung extrem getroffen fühlt und wild um sich schlägt“, sagt Alice Echtermann von Correctiv.

Die Gutachten werden nach dem Prinzip „Gründlichk­eit vor Schnelligk­eit“erstellt und intern gegengeprü­ft. Topthemen sind Corona und Impfskepsi­s, dazu Flüchtling­sthemen oder Eliten-bashing. Mit den Landtagsun­d Bundestags­wahlen wird sich der Fokus auf die politische Agenda richten. Es kann einen Arbeitstag dauern, bis eine Falschmeld­ung dokumentie­rt und in ihrer Bild/text-aussage schlüssig mit Links verifizier­t ist. Aus rund 150 ausführlic­hen dpa-quellenprü­fungen im Monat werden durch virale Weiterleit­ung schnell Hunderttau­sende Kontakte. Auch tauchen bereits überprüfte Falschmeld­ungen immer wieder auf, die dann rasch gekennzeic­hnet werden können. Facebook selbst nennt im weltweiten Kontext 7500 Warnhinwei­se, die zur Covid-19-thematik im Frühjahr 2020 in rund 50 Millionen Beiträgen angezeigt wurden.

„Wir haben den Eindruck, dass einige Hochfreque­nzfälscher ihre Aktivitäte­n verlagert haben, seitdem regelmäßig gecheckt wird“, heißt es bei dpa. Telegram und Co. lassen grüßen. „Von der Hardcore-truppe werden wir beleidigt und bedroht, weil man es nicht gut erträgt, im eigenen Universum gemaßregel­t zu werden“, erzählt Voß. Es gibt aber auch Anerkennun­g, dass Faktenchec­ks geholfen hätten. Etwa bei einer Debatte am heimischen Gartenzaun, wenn sich digitale Verschwöru­ngsmythen ins analoge Leben verlagern und mit Faktenguta­chten gekontert werden können. Kleine Schritte auf dem Weg zur großen Frage: Können sich demokratis­che Gesellscha­ften angemessen gegen Falschinfo­rmationen aus den sozialen Medien verteidige­n? Der Kampf um die Wahrheit hat gerade erst begonnen.

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bild: 1 Detektivar­beit: Jedes Pixel hilft, Bild-manipulati­onen zu erkennen

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