Frankfurter Allgemeine Quarterly
Q12—Wer kämpft gegen Lügen und Fälschungen im Netz?
Giftgrün leuchtet die Flüssigkeit in einer Spritze. Das Foto soll einen Corona-impfstoff zeigen, der angeblich aus dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BFARM) geschmuggelt wurde. Inhaltsstoff, so wird behauptet: eine radioaktive Substanz. „Warnt alle vor diesem Wahnsinn!!!“, heißt die Botschaft mit drei Ausrufezeichen, auf Telegram gepostet, per Facebook tausendfach weitergeleitet. Aber: „Bei Bild und Nachricht handelt es sich um eine Fälschung. Weder werden im BFARM Impfstoffe gelagert, noch leuchtet Radium grün“, ist im Warnkommentar zu lesen. Facebook hat das Posting nun mit einem optischen Schleier versehen, ergänzt durch ein Faktengutachten und weiterführende Beweislinks. Man kann es weiterhin lesen, doch der Algorithmus plaziert es nun weit weniger prominent. Willkommen im Dschungel der Falschmeldungen, die sich nicht erst seit den Twitter-gewittern von Donald Trump zu Brandbeschleunigern der Verschwörungsdebatten entwickelt haben.
„Fact-checking“ist ein Zukunftsberuf geworden. Einer, der viel mit digitaler Technik und oft mehr noch mit gesundem Menschenverstand zu tun hat. Texte verifizieren, Bilder überprüfen. Sind Fotos echt oder manipuliert? Stimmen die Orts- und Zeitangaben? Stehen Text und Bild im richtigen Zusammenhang? Das ist nicht immer so eindeutig wie im Fall der Fakespritze. Es ist ein Versuch, das Internet zu zivilisieren.
Stefan Voß und sein Team bei der Deutschen Presse-agentur (dpa) sind rund um die Uhr damit beschäftigt, für den deutschsprachigen Raum und die Benelux-länder. Das Projekt gewann an Dynamik und Mitarbeitern, nachdem Facebook neben den USA auch in anderen Ländern Aufträge an Faktenchecker vergeben hatte. Das Recherchezentrum Correctiv machte 2017 den Anfang, nun ist auch die Nachrichtenagentur Agence France-presse (AFP) über ihre Berliner Dependance dabei. Sie sind zertifiziert vom unabhängigen International Fact-checking Network (IFCN). International zählt das Reporters’ Lab der Duke University rund 300 Prüfteams, die als Vereine, Universitätsprojekte oder NGOS, wie das österreichische Rechercheprojekt Mimikama, die sozialen Medien durchforsten.
Nachrichtenagenturen haben jahrzehntelang vertrauenswürdige News für die klassischen Medien geliefert. Nun arbeitet man auch mit Facebook zusammen, das von vielen Pressehäusern als krakenhafter Konkurrent nicht nur bei der Vermarktung gesehen wird. Eine kritisch beäugte Zusammenarbeit, die nach festen Regeln funktioniert. Dazu gehört auch, dass Aussagen von Politikern von den Warnvermerken ausgenommen sind. „Wir geben Hinweise; sind jedoch in keiner Weise berechtigt, einen Post zu entfernen. Und von Meinungsäußerungen lassen wir grundsätzlich die Finger“, sagt dpa-verifikationschef Voß. „Laut Vereinbarung dürfen nur Faktenbehauptungen überprüft und bei Fälschung entsprechend markiert werden. Das Löschen von Hetze übernehmen die Portale selbst.“
Für ihre Bilder greifen die Fälscher schon mal auf Satire-websites zurück. Eine Fotomontage zeigt ein Neugeborenes mit einem hellblauen Corona-mundschutz, welches die fränkische Witzplattform Postillion Anfang September 2020 unter der Überschrift „Erstes Baby mit Maske geboren“als Gag veröffentlicht hatte. Wenig später verwendete Facebook-user „Jürgen“die per Cut-and-paste gemopste Optik in seinem ernstgemeinten Anklage-posting: „WAS tut man diesem armen Baby an? Schnell nach der Geburt wird einem Baby da Maske
Faktenchecker markieren Fälschungen, etwa auf Facebook. Ihr Lohn: Beleidigungen und Morddrohungen.
aufgesetzt. Es ERSTICKT ja!! Das SCHLIMMSTE Foto von dem CORONA-WAHNSINN!!!“
Oder der Tiroler Stimmungsmacher DJ Ötzi muss als Zeuge herhalten, wie dekadent das System ist: „Riesen ZDF Silvester Party! Masken? Natürlich Fehlanzeige . . .“, vermeldet eine „Lorelei Maid“über ihren Account. Die Polonaise im TV diene „der peinlichen Propaganda der Regierung, wie einst die Höflinge von Goebbels“. Dumm nur, dass das angebliche Ötzibeweisfoto aus einer Rtl-sendung stammt, die bereits an Silvester 2019 ausgestrahlt wurde, vor Ausbruch der Pandemie. Bereits über „Bildersuche rückwärts“bei Google lässt sich manchmal die Quelle aufspüren. „Ein Standard-tool, mit dem sich die erstmalige Verwendung und somit die Originalaufnahme feststellen lässt, aus der später Montagen entstehen“, erläutert Alice Echtermann, Leiterin im Team von „Correctiv.faktencheck“.
Zum Handwerkszeug der Faktenchecker gehört allerlei Pixelwissen, wie man es aus blaustichigen Krimiserien mit Hacker-abteilung kennt. Ausgebildet in speziellen Seminaren vom Fraunhofer-institut, die „Methoden der Echtheitsprüfung“heißen, mit Fachbegriffen wie Sensorrauschen, Farbinterpolation oder Pixeldopplungen. Untersucht man etwa die Farbpunkte eines stark vergrößerten Bildes, lassen sich nachträglich eingefügte Elemente aufspüren. Stefan Voß zeigt ein Beispiel von einer vermeintlichen Anklageschrift wegen Beeinflussung der Us-wahlen gegen George Soros. Doch dessen Name ist hier einkopiert worden – im Original galt die Anklage russischen Hackern. ,„Man sieht hier in diesem linken Bereich, dass dort die senkrechten grauen Striche fehlen“, sagt er und zeigt ein digitales Dokument. „Letztlich fanden wir das Original der Anklageschrift – und konnten es auf klassische Weise vergleichen.“Es sei aber absehbar, dass komplexere Fälschungen zunehmen werden. „Wenn sich Manipulieren durch einfachere Tools demokratisiert, wird das zunehmen, auch bei bewegten Bildern.“Noch bevorzugt der Durchschnittstroll die schnelle Nummer. Selbst das Grafikprogramm Photoshop ist da oft zu aufwendig.
Die Faktenchecker von dpa und Correctiv arbeiten wegen Corona gerade im Homeoffice eisern ihre Listen ab. Welche Inhalte gehen gerade steil? Was ist los bei Crowdtangle? Jenem Analyse-tool, das aktuelle Reichweiten von Posts oder Tweets gewichtet. Dazu kommen direkte Hinweise von Social-media-usern an die Infoadresse der Teams. Die Grauzone von grummeligen Bürgern, die im Netz gefundene gefälschte Meldungen mit eigenen Kommentaren weiterverschicken, bis hin zu notorischen Hass-produzenten ist fließend. Manche reagieren drastisch auf Fälschungswarnungen durch die Faktenchecker. „Es kommen auch Morddrohungen. Dann haben wir jemand erreicht, der sich durch unsere Richtigstellung extrem getroffen fühlt und wild um sich schlägt“, sagt Alice Echtermann von Correctiv.
Die Gutachten werden nach dem Prinzip „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“erstellt und intern gegengeprüft. Topthemen sind Corona und Impfskepsis, dazu Flüchtlingsthemen oder Eliten-bashing. Mit den Landtagsund Bundestagswahlen wird sich der Fokus auf die politische Agenda richten. Es kann einen Arbeitstag dauern, bis eine Falschmeldung dokumentiert und in ihrer Bild/text-aussage schlüssig mit Links verifiziert ist. Aus rund 150 ausführlichen dpa-quellenprüfungen im Monat werden durch virale Weiterleitung schnell Hunderttausende Kontakte. Auch tauchen bereits überprüfte Falschmeldungen immer wieder auf, die dann rasch gekennzeichnet werden können. Facebook selbst nennt im weltweiten Kontext 7500 Warnhinweise, die zur Covid-19-thematik im Frühjahr 2020 in rund 50 Millionen Beiträgen angezeigt wurden.
„Wir haben den Eindruck, dass einige Hochfrequenzfälscher ihre Aktivitäten verlagert haben, seitdem regelmäßig gecheckt wird“, heißt es bei dpa. Telegram und Co. lassen grüßen. „Von der Hardcore-truppe werden wir beleidigt und bedroht, weil man es nicht gut erträgt, im eigenen Universum gemaßregelt zu werden“, erzählt Voß. Es gibt aber auch Anerkennung, dass Faktenchecks geholfen hätten. Etwa bei einer Debatte am heimischen Gartenzaun, wenn sich digitale Verschwörungsmythen ins analoge Leben verlagern und mit Faktengutachten gekontert werden können. Kleine Schritte auf dem Weg zur großen Frage: Können sich demokratische Gesellschaften angemessen gegen Falschinformationen aus den sozialen Medien verteidigen? Der Kampf um die Wahrheit hat gerade erst begonnen.